Die Kritiker

«Kleine große Stimme»

von

Alltagsrassismus im Österreich der 50er, die Magie der Musik und ein großartiger Hauptdarsteller: «Kleine große Stimme» möchte ein wichtiges Thema an die ganze Familie heranführen.

Cast und Crew

  • Regie: Wolfgang Murnberger
  • Darsteller: Wainde Wane, David Rott, Karl Merkatz, Miriam Stein, Tyron Ricketts, Erwin Steinhauer, Philipp Hochmair, Branko Samarovski, Margarethe Tiesel
  • Drehbuch: Rupert Henning, Eva Spreitzhofer, Michaela Monzoni
  • Produktion: Thomas Hroch, Gerald Podgornig
  • Musik: Roman Kariolou
  • Kamera: Peter von Haller
  • Schnitt: Britta Nahler
Es ist eine Story, wie sie einst in einer Disney-Channel-Eigenproduktion hätte vorkommen können, bevor der Familienkanal seine TV-Filmproduktion im Zuge von «High School Musical» in eine grellere, aufgedrehtere Richtung verlagerte: In familientauglicher Weise erzählt «Kleine große Stimme» die Geschichte eines jungen Buben, der im Österreich der 50er-Jahre wegen seiner Hautfarbe angefeindet wird und sich kurzerhand bei den Wiener Chorknaben bewirbt, weil er hofft, so bei der kommenden US-Tournee der Gesangstruppe seinen Vater (seines Zeichens US-Besatzungssoldat) ausfindig machen zu können. Es folgen: Klassische sowie beschwingte Gesangseinlagen, zahlreiche Sequenzen, in denen das aufgeklärte Publikum am liebsten den Fernseher einschlagen würde, um den diversen Rassisten im Figurenrepertoire von «Kleine große Stimme» Vernunft einzudreschen, und als Nebenschauplatz auch eine Romanze und ein Subplot, der von generationenübergreifender Verständigung handelt.

Regie führt Routinier Wolfgang Murnberger («Das ewige Leben»), der «Kleine große Stimme» leider keinen persönlichen, charakteristischen Anstrich verleiht. Wohl aber vermag er es dank seiner Erfahrung, den zwischen verzaubert-idealistisch, dramatisch mit Rassismus abrechnend, und beiläufig-versöhnlich schwankenden Tonfall des Drehbuchs so zu orchestrieren, dass die Handlung kohärent erscheint. Murnberger erschafft mit lichtdurchfluteten, zu Sepiatönen neigenden Bildern (passend zur frei erfundenen Handlung) das Bild eines unaufgeklärten Fabel-Österreichs, welches noch allerhand in Sachen Kulturaustausch und Nächstenliebe zu lernen hat – oder schlicht hinsichtlich des gesunden Menschenverstands. Dass die Dialoge da teilweise ins Karikatureske überkippen, ist zwar nicht Murnbergers Vergehen, allerdings macht er sich mitschuldig, einige der diskutabelsten Zeilen mit einem inszenatorischen Ausrufezeichen zu versehen. Einer der größten Peiniger des jungen Benedikts (grandios: Wainde Wane) begründet etwa sein hasserfülltes, impulsives Verhalten mit einem dahingestammelten: „Der ist einfach … fremd!“ Und auch wenn die Autoren da spürbar versuchen, den Finger in die Wunde zu legen, und vorzuführen, wie dumm und blind Rassismus im Kern ist, so erscheint dieses Zitat im Kontext von «Kleine große Stimme» zu simpel, zu gerade heraus, zu ungelenk, um nachzuhallen.

Von solchem, vereinzelten Gestolper abgesehen, zu dem auch eine „progressive“ Lektion des von David Rott insgesamt sehr charismatisch verkörperten Kapellmeisters Max Goldberg zählt (die nach dem Motto funktioniert: „Benedikt ist schwarz, wir sind weiße Europäer, wenn ich Klassik mit Boogie Woogie mische, ist das so, als würden wir uns bestens verstehen!“) hat «Kleine große Stimme» aber das Herz am rechten Fleck. Beziehungsweise: Eben nicht am rechten Fleck, denn «Kleine große Stimme» findet (lobenswerterweise) harsche Worte für Alltagsrassismus und engstirnige „Jo, mei, andersch kennisch halt niascht“-Denkweisen. Die holprige Hauruckdramatik des Drehbuchs nimmt dieser Vorgehensweise aber ein wenig von ihrer Wirkkraft, wozu die zwar süß gespielte, aber überflüssige Dreiecksgeschichte zwischen dem aufgeklärten Max Goldberg, seinem rückständigen Nebenbuhler Roschek (Philipp Hochmair) und der gutmütigen Elsa (Miriam Stein) auch einen Beitrag leistet.

Zur Entschädigung gibt es handwerklich sehr gelungene Musikeinlagen (eingespielt vom Radiosymphonieorchester Wien und nicht nur typische Knabenchormusik abdeckend) sowie in Form von Hauptdarsteller Wainde Wane eine Neuentdeckung, die Gold wert ist. Besonders rührend, wenn auch dramaturgisch bemüht eingeführt, ist dessen Interaktion mit Karl Merkatz als Goldberg senior, der für den Buben ein offenes Ohr hat. Denn der ältere Herr musste mit ansehen, wie seine Ehefrau zur Zeit des NS-Regimes von den Nazis verschleppt wurde, und weiß dadurch, wie egal es seinen Nachbarn war, dass der angeblich unbescholtene Normalbürger voller Hass und Ignoranz sein kann.

Fazit: «Kleine große Stimme» ist ein solide gemachtes, optimistisches und dennoch kritische Töne anschlagendes Rassismus-Drama für das Familienpublikum, das trotz Holperdramaturgie und eines unnötigen Subplots mit Charme aufwarten kann.

«Kleine große Stimme» ist am 30. Dezember 2015 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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