Die Kritiker

«Bloß kein Stress»

von

In «Stromberg» ist er der etwas dümmliche Westentaschenmacho Ulf. In «Bloß kein Stress» unterhält Oliver Wnuk als hinterfotziger, karrieregeiler Spießbürger.

Cast und Crew

  • Regie: Lars Jessen
  • Darsteller: Katharina Wackernagel, Fritz Karl, Oliver K. Wnuk, Rike Schmid, Robert Köhler, Sina Knecht, Vincent Grages, Pia Koch, Dorothea Schenck, Jan Georg Schütte, Meike Droste
  • Drehbuch: Stefan Rogall
  • Kamera: Michael Tötter
  • Szenenbild: Dorle Bahlburg
  • Schnitt: Sebastian Schultz
  • Musik: Stefan Wulff
  • Produktionsfirma: Zieglerfilm Köln
Die lieben, lieben Nachbarn: Laut einer GfK-Umfrage aus dem Jahr 2013 zogen 38 Prozent aller Deutschen wegen Nachbarschaftsstreitigkeiten vor Gericht. Kein Wunder, dass dieses Thema als Inspiration für zahlreiche Fernsehproduktionen dient. Allein in den vergangenen zwei Jahren gingen diverse reinrassige Komödien über skurrile Zwistigkeiten unter Nachbarn auf Sendung (u.a. «Ein Reihenhaus kommt selten allein» im ZDF und «Der Weihnachtskrieg» in Sat.1) sowie zwei Thriller zu dieser Thematik («Unter Nachbarn» und der Grimme-nominierte «Sechzehneichen», beide für die ARD entstanden).

Der neuste Film, der sich in den langen Reigen der Gartenzaunkriegsfilme einreiht, geht einen weniger außergewöhnlichen Weg als die zwei letztgenannten Produktionen. Zumindest auf dem ersten Blick. Statt einer bedrückenden Auseinandersetzung mit seiner Grundthematik geht es in «Bloß kein Stress» betont humorvoll zu. Und die grundlegende Prämisse wirkt wie aus dem Einmaleins solcher Filme: Eine frisch in die Vorstadt gezogene Patchworkfamilie teilt sich ein Doppelhaus mit einer Vorzeigefamilie. Sie ist besser in der Kindererziehung, lebt umweltbewusster, hat mehr Erfolg im Beruf und ist in der Gemeinde beliebter. Einzig unsere Protagonisten Heller glauben, die Monster hinter der strahlenden Fassade der Trimmborns zu erkennen …

Statt einer Fernsehkomödie der Marke „Malen nach Zahlen“ überrascht «Bloß kein Stress» aber mit einem unterhaltsamen Clou. Ähnlich, wie sich die Nachbarsfamilie Trimmborn als mustergültige Bilderbuchfamilie des 21. Jahrhunderts gibt, in Wahrheit allerdings vor Niederträchtigkeit strotzt, ist auch dieser Film mehr als es den Anschein hat. Drehbuchautor Stefan Rogall und Regisseur Lars Jessen liefern nämlich eine doppelbödige Vorstadtsatire ab, die sich bloß in die Formalien einer durchschnittlichen „Unsere Nachbarn ärgern uns, wie gemein!“-Komödie hüllt. Denn «Bloß kein Stress» nutzt sein konventionelles Kleid, um sich mit spitzer Zunge über das glattgebügelte, besserwisserische neue Kleinbürgertum lustig zu machen. Dabei verfolgen Jessen & Rogall aber keine Agenda, sondern treten in alle Richtungen dieses facettenreichen Menschenschlags.

Anders als in TV-Familienkomödien vom Fließband, in denen nur zu gern eine „Ach, die lieben Kinder, sind sie nicht süß, so lange sie keine Teenager sind?“-Attitüde vorherrscht, ist gerade der Nachwuchs häufig Zielscheibe des Spotts. Sowie die „Man muss Kinder einfach lieb haben, oder?!“-Plattitüden, die in der Familienpolitik und in nicht unerheblichen Teilen der Gesellschaft vorherrschen. Beispielsweise wird in einer Szene eine Lehrerin malträtiert, ohne dass sie mit der Wimper zuckt. Man solle sich ja nicht über alles aufregen, heißt es von ihr staubtrocken. Allein das macht schon das in öffentlich-rechtlichen Komödien gern propagierte Bild der bezaubernden Rasselbande kaputt. Dann setzt die Lehrerin einen drauf: Wenn sie sich aufregen würde, hagelte es ja nur Unterlassungsklagen der Eltern. Gegrüßt seit ihr, jene Eltern, die keine Lust haben, selbst die Erziehung in die Hand zu nehmen, sich aber dennoch erlauben, die Lehrkörper abzustrafen, wann immer sie es zu behaupten wagen, die lieben Kleinen seien keine Engel.

Einige weitere Szenen setzen diese „Kinder können anstrengend sein, redet uns nichts ein!“-Farbe von «Bloß kein Stress» fort, und sie alle werden herrlich strikt ausgespielt, ganz ohne sich als wichtig zu verkaufen. Ähnliches gilt für die Seitenhiebe auf Spießbürger, die sich selber als weitsichtig und weltverbessernd verkaufen, ohne wirklich etwas zu leisten. Gleichermaßen bekommen aber auch diejenigen ihr Fett weg, die sich übermäßig über umweltbewusst handelnde Nachbarn aufregen, weil die sich ja für was besseres halten würden. Kurzum: Wir alle können an unseren Einstellungen und an unserem Handeln feilen. Statt dies aber mit dem erhobenen Zeigefinger zu vermitteln, bringt «Bloß kein Stress» es mit Understatement und Dialogspitzen rüber.

Zumindest in den ersten 65 bis 70 Filmminuten. Zum Ende hin schleicht sich dann doch etwas Konventionalität in die Handlung ein, fast so, als müsste man durch das Ausformulieren der Moral und leicht gelöste innerfamiliäre Probleme irgendwelche Memos von Senderseite abarbeiten. Sonst könnten manche Zuschauer ja beleidigt wegschalten!

Dank des bemerkenswerten Ensembles bricht «Bloß kein Stress» auf der Zielgeraden jedoch nicht in sich zusammen. Es ist zwar bedauerlich, dass der Film seine hinterlistige Ader nicht bis zum Schluss auslebt, trotzdem unterhält er bis in die letzten Minuten hinein. Gerade die letzten Szenen hätten rasch kitschiger ausfallen können. Doch die Regie lenkt kaum Aufmerksamkeit darauf, dass die im Zentrum des Geschehens stehende Familie Heller sowie ihre „Widersacher“ gerade eine Lektion lernen. Ein zusätzliches Schmankerl sind von Randfiguren rein gebrüllte Kommentare wie „Aber wer hat jetzt gewonnen?!“, die nochmal unterstreichen: Obwohl gerade eine Geschichte zu Ende erzählt wird, wird das menschliche Naturell stets erlauben, dass andere Fälle von unsinnigem Kräftemessen stattfinden werden.

Darstellerisch treffen in «Bloß kein Stress» zwei Welten aufeinander. Katharina Wackernagel und Fritz Karl spielen das zentrale Ehepaar Heller glaubwürdig und bodenständig. Völlig beiläufig lassen sie in den Augen ihrer Figuren mehr und mehr Wut und Verzweiflung aufsteigen, sobald sich abzeichnet, dass sie im Leistungs- und Kräftemessen mit ihren Nachbarn enttäuschend abschneiden.

Rike Schmid und Oliver Wnuk dagegen agieren wie aus einem anderen Film – was hier wohlgemerkt eine spürbar bewusste kreative Entscheidung ist und das satirische Element von «Bloß kein Stress» aufpeppt. Schmid gibt sich wie eine der «Frauen von Stepford», unnatürlich selbstbewusst, in allem talentiert und schmierig freundlich. Im wirklichen Leben würde sie wohl jeder hassen, könnte sie nicht durch ihr Modelaussehen zumindest die Männer um den Finger wickeln. Wnuk wiederum vermengt mit freundlichem Lächeln und lieben Augen einerseits, schneidendem Tonfall andererseits den klassischen Kumpeltypen mit einem feisten Schlitzohr. Beide Akteure haben gemeinsam, dass nicht nur sie Spaß an der Schurkenrolle haben, sondern auch in ihrem Spiel klar machen, dass auch ihre Figuren selber wissen, wie fies sie sind. Das hebt sie von üblichen Nachbarschaftsstreitkomödien ab: Sollen die Figuren dort oftmals durch Ignoranz die Identifikationsfiguren stören, will Familie Trimmborn abscheulich sein. Denn Dreistigkeit gewinnt?

Die Teenagerrollen (und ihre Darsteller) gehen dabei leider unter. Ballast für den Film sind sie zwar keinesfalls, eine Bereicherung sind sie aber ebenso wenig. Dennoch ist «Bloß kein Stress» überaus vergnüglich und unerwartet scharfsinnig. Wer hätte das einer auf dem Papier so alltäglich wirkenden Fernsehkomödie zugetraut?

«Bloß kein Stress» ist am 30. April 2015 ab 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.

Eigentlich war die Ausstrahlung des Films schon kurz vor Weihnachten 2014 geplant. Das ZDF änderte damals aber kurzfristig das Programm. Diese Kritik erschien daher erstmals schon im Dezember.

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