Die Kino-Kritiker

«Nightcrawler»

von

Jake Gyllenhaals beste Performance, schneidende Spannung und bittere Mediensatire machen «Nightcrawler» zu einem absoluten Muss!

Hinter den Kulissen

  • Regie und Drehbuch: Dan Gilroy
  • Produktion: Jennifer Fox, Jake Gyllenhaal, Tony Gilroy, David Lancaster und Michel Litvak
  • Darsteller: Jake Gyllenhaal (als Louis Bloom), Rene Russo (als Nina), Riz Ahmed (als Rick), Bill Paxton (als Joe Loder)
  • Musik: James Newton Howard
  • Kamera: Robert Elswit
  • Schnitt: John Gilroy
Obwohl Jake Gyllenhaal mit «Donnie Darko» einen großen Kultfilm in seiner Vita hat, für «Brokeback Mountain» bereits eine Oscar-Nominierung einheimste und er zudem dank des Big-Budget-Abenteuers «Prince of Persia: Der Sand der Zeit» als LEGO-Figur verewigt wurde, gilt der 1980 geborene Schauspieler noch immer nicht als ganz große Marke in Hollywood. Weshalb, ist schier unerklärlich. Denn der begnadete Bruder der ebenfalls sehr talentierten Maggie Gyllenhaal («Crazy Heart») liefert seit mehreren Jahren regelmäßig beachtliche Darbietungen ab. Nach dem rauen Found-Footage-Actiondrama «End of Watch» und dem hochspannenden Sebstjustizdrama «Prisioners» begeisterte Gyllenhaal zuletzt im surreal angehauchten Psychothriller «Enemy», den er mit einer filigran gezeichneten Doppelrolle aufwertete.

Diesen beeindruckenden Lauf toppt der Studienabbrecher nun jedoch mit der besten Schauspielleistung seiner bisherigen Karriere: Im Zentrum des medien- und gesellschaftssatirischen Kriminalthrillers «Nightcrawler» zeichnet er das einnehmende Psychogramm eines psychosozial gestörten Einzelgängers, der sich im Haifischbecken der US-Nachrichtenbranche nach oben arbeitet. Und in eben dieser Rolle weiß Gyllenhaal nicht nur darstellerisch zu verblüffen und auf düstere Weise zu unterhalten, sondern auch zu verstören.

„Stell dir eine schreiende Frau vor, die eine Straße entlang rennt – mit durchschnittener Kehle.“
Getrieben vom Kampf um die Quote sowie vom immer härter werdenden Wettstreit mit den neuen Medien werden die US-Lokalfernsehnachrichten immer skrupelloser. Die Folge dessen: Obwohl die Kriminalstatistiken abwärts zeigen, steigt in der Bevölkerung die Angst vor Gewaltverbrechen. Denn durch die reißerische, pausenlose Berichterstattung der TV-News entsteht ein Gefühl der permanenten Bedrohung. Zu verdanken haben die Nachrichtenmacher ihr Bildmaterial unter anderem sogenannten Nightcrawlern, freischaffenden Reportern, die nachts Jagd auf spektakuläre Aufnahmen machen. Sie hören den Polizeifunk ab und fahren durch die Stadt, um bei einem Unfall oder Verbrechen idealerweise noch vor der Polizei und den Sanitätern vor Ort zu sein. In dieser kompetitiven Subkultur journalistischen Schaffens werden Schnelligkeit und Dreistigkeit belohnt, ebenso wie ein Mangel an ethischen Bedenken.

In diesem desensibilisierten Markt entstehen Newsmagazine wie das der erfahrenen Nachrichtenchefin Nina (effizient: Rene Russo), die auf Anfrage ihre Sendung ohne mit der Wimper zu zucken als Horrorszenario beschreibt: „Stell dir eine schreiende Frau vor, die eine Straße entlang rennt – mit durchschnittener Kehle.“ Autor und Regiedebütant Dan Gilroy («Das Bourne Vermächtnis») befasst sich in «Nightcrawler» damit, was passiert, wenn sich dieser amoralischen, zügellosen Branche ein von der Welt entfremdeter Einzelkämpfer wie Lou Bloom (Jake Gyllenhaal) anschließt.

Lou ist zu Beginn des Films ganz unten angekommen: Ohne feste Anstellung und ohne Bestimmung hangelt er sich von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob. Notgedrungen vertickt der überaus eloquente, gleichwohl unterkühlte Tagelöhner Metallreste, die er auf der Straße findet oder gelegentlich auch mal stiehlt. Als der Nachtschwärmer aber mitansieht, wie der Kameramann Joe Loder (Bill Paxton) die dramatische Rettung einer Frau aus ihrem Autowrack filmt, glaubt Lou, darin seine Berufung entdeckt zu haben. Mittels Internetkursen erlernt er eilig das Handwerk des TV-Journalismus und macht sich bald darauf mit einem günstig erworbenen Camcorder ans Werk. Technisch besteht bei ihm zunächst viel Luft nach oben, aber Lous Anpassungsfähigkeit verhilft ihm dennoch zu einem Engagement für Ninas auf wackligen Beinen stehendes Nachrichtenformat.

Daran, dass diese unheilige Ehe nicht gut gehen kann, lässt Gilroy keinerlei Zweifel entstehen. Dies bedeutet aber nicht, dass «Nightcrawler» ohne Suspense auskommt. Viel mehr gewinnt die Story ihre Spannung aus dem unwohlen Gefühl, das sich ab dem ersten Aufeinandertreffen zwischen Nina und Lou einstellt. Denn obwohl klar ist, dass Schlimmes geschehen wird, so ist lange Zeit nicht abzusehen, in welche Richtung sich Ninas und Lous Zusammenarbeit entwickelt – wer ist der Wolf und wer ist das Lamm?

Ein grausames Produkt seiner Welt


Mehr noch als die Anspannung, die durch das verschlagene Skript entsteht, fesselt in «Nightcrawler» jedoch die preisverdächtige schauspielerische Leistung Jake Gyllenhaals, der sich völlig in seiner Rolle verliert. Er kreiert mit Lou einen der packendsten Anti-Helden des Kinojahres, ohne sich dabei auf die üblichen Manierismen solcher Figuren zu verlassen. Mit mechanisch vorgetragenen Monologen, weit hervorstehenden, neugierigen Augen und kontrollierter Mimik und Gestik ist Lou nicht nur faszinierend befremdlich, sondern lässt auch unausgesprochen eine Erklärung für sein Verhalten zu. Lou trampelt nicht auf den Gefühlen seines Umfelds herum, weil er raffgierig ist. Und er misst der Perfektion seiner Kameraaufnahmen nicht etwa einen höheren Wert als der Pietät zu, weil er seinen Anstand runter schluckt. Lou hat ganz klar eine psychosoziale Störung, irgendwo auf dem breiten Spektrum von Asperger-Erkrankungen – er kann keine Gefühle deuten, er ist ohne neuen Input unfassbar gelangweilt und dafür umso engagierter, wenn er Informationen verarbeiten oder möglichst akkurat wiederholen kann.

Lou verkörpert am Anfang der Geschichte die entfremdete, junge Generation mit düsteren Zukunftsaussichten. Statt Karriere und Vollzeitarbeit haben Sie nur noch Praktika und Mindestlohn zu erwarten. Ich will die schreckliche Wahrheit aufzeigen, dass nicht Lou das eigentliche Grauen ist, sondern die Welt, die ihn geschaffen hat und für sein Handeln belohnt.
Regisseur und Autor Dan Gilroy
Dies entschuldet Lou nicht für seine im Namen des TV-Journalismus getätigten Verletzungen ethischer Regeln, allerdings macht ihn dies viel interessanter, als es schiere Habgier würde. Zumal sein kindliches Strahlen, wann immer er einen perfekten Kamerawinkel gefunden hat, ihm lange all seinen Taten zum Trotz ein Minimum an Sympathie sichert. Er ist einfach zu froh, endlich etwas gefunden zu haben, das er wirklich beherrscht und für das er entlohnt wird, als dass er von vornherein dafür verurteilt werden könnte. Dass er moralische Grenzen übertritt, welche er ja eh nicht begreift, ist schlussendlich auch Schuld seiner Auftraggeber – immerhin verlangen sie immer derberes Material. Trotzdem macht Gyllenhaal seinen Soziopathen nie zu einem verkannten Helden – dank kleiner Gesten unterstreicht er unentwegt, dass Lou jemand ist, der in seinem Streben nach Effizienz keinen Makel erkennt und dem man sich daher besser nicht anvertrauen sollte.

Obwohl Gyllenhaals Performance allein reichen würde, um «Nightcrawler» zu einem Kino-Pflichttermin zu machen, trumpft Gilroys Journalismusthriller auch mit starker Bildästhetik auf. Kameramann Robert Elswit («There Will Be Blood») kreiert großartige Nachtaufnahmen, mit glänzenden Farben und tiefem, sattem Schwarz, die aus dem nächtlichen Los Angeles einen gleichermaßen visuell ansprechenden wie atmosphärisch einschüchternden Ort machen. Komponist James Newton Howard derweil unterstützt tatkräftig die zweischneidige Stimmung des Films, indem er grausige Szenen mit coolen E-Gitarren-Riffs untermalt, während harmlosere Momente durch ruhigere, schaurigere Musik beklemmend werden.

So lassen sich auch ohne Weiteres die einzelnen, kleinen Schwächen von «Nightcrawler» verschmerzen. Zum Beispiel ist Lous Assistent Rick (Riz Ahmed) vergleichsweise blass geschrieben, weshalb seine Szenen den immensen Drive dieses Films leicht ausbremsen. Ganz verzichtbar ist diese Figur indes nicht, ist Rick doch wichtiges Element mehrerer Szenen, die «Nightcrawler» um ein nachhallendes Element bereichern. Denn Gilroys satirische Seitenhiebe enden nicht allein bei blutgeifernden Lokalnachrichten. «Nightcrawler» attackiert den Stand des Journalismus an sich sowie die Zahlungs- und Ausbildungsmoral, die sich generell in vielen weiteren Branchen verbreitet. Diese Mentalität ist nämlich der wahre Schurke in diesem Ausnahmefilm. In einem Arbeitsmarkt, der einer ganzen Generation von Jobsuchenden keine langfristigen Aussichten ermöglicht und der eine Ellenbogenmentalität befürwortet, sind wir bedrohlich nah daran, Tausende Lou Blooms heranzuzüchten.

Fazit: «Nightcrawler» ist spannend, unheilvoll sowie bitterböse. Und Jake Gyllenhaal gibt die beste Leistung seines Lebens!

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