360 Grad

Da wo für die Jugend noch Platz ist

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Der Jugendkanal kommt - und mit ihm die perfekte Ausrede für ARD und ZDF, im Hauptprogramm ungestört jede Innovation zu vermeiden. Ein Kommentar.

Seit einer Woche ist es amtlich: Der öffentlich-rechtliche Jugendkanal kommt. Zwar ist uns der Unsinn eines so gearteten linearen Programmangebots erspart geblieben. Aber doch: 45 Millionen Euro stellen die Ministerpräsidenten ARD und ZDF nun zur Verfügung, um Alibiprogramm für die Jüngeren zu machen. Im Internet. Da, wo’s nicht stört.

Alibi? Ja, Alibi. Keine neue Argumentation, aber eine, die nun wieder wichtig wird.

Es ist bereits absehbar: Jedes Mal, wenn in den nächsten Jahren jemand sagen wird, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ein hoffnungslos altmodisches Programm für ein hoffnungslos überaltertes Publikum machen, werden Volker Herres und Thomas Bellut einmal tief schnaufen und „Aber wir haben doch unseren Jugendkanal“ rüffeln. Und außerdem ist der Böhmermann ja jetzt im Hauptprogramm. Und «Big Bang Theory» würde man ja kaufen, wenn man uns denn ließe. Und «Champions League» gucken die Jungen doch auch, und zwar bei uns, gelle.

Der Jugendkanal ist für all die Bestandsverwalter ein Geschenk des Himmels: Sie werden die nächsten Jahre seelenruhig weiter «Um Himmels Willen» und «Traumschiff» produzieren und senden können, am Samstagabend Shows zeigen, die vor dreißig Jahren vielleicht mal originell gewesen wären, und am Vorabend in Gestalt einer datenden Daisy oder tatteriger Dorf-Sheriffs jede Innovation vermeiden dürfen. Denn Innovation und Jungsein, dafür haben wir doch den Jugendkanal. Für 45 Millionen Euro. Im Internet. Da geht’s ab.

Der Jugendkanal ist ein Garant für Stillstand im Hauptprogramm – an der Stelle, an der sich gerade das Meiste tun müsste, an der, gerne behutsam, aber bitte auch entschlossen, die größten Änderungen nottäten.

Man muss ja nicht gleich dem altehrwürdigen «Musikantenstadl» an die Lederhose. Aber das Grundproblem wird durch den Jugendkanal nur noch weiter forciert: Jung ist etwas, das ARD und ZDF am liebsten auslagern wollen, weit weg vom Hauptprogramm, während dort das immer älter werdende Publikum bei der Stange gehalten werden soll. Das mag aktuell noch zu zählbaren Ergebnissen in den Quotentabellen führen, wird sich aber auf lange Sicht rächen: dann nämlich, wenn die angestammten «Musikantenstadl»-Zuschauer nicht mehr unter uns sind und keine Jüngeren nachkamen, weil die mit dem Jugendkanal am Katzentisch vorlieb nehmen mussten – und deswegen ganz woanders hin sind. Da, wo man sie schon lange findet. Im nicht öffentlich-rechtlichen Internet.

Auf die Beitragdebatte, die ARD und ZDF dann bevorstehen wird, können wir uns jetzt schon freuen.

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