Die Kritiker

«16xDeutschland»

von

Medienschaffende porträtieren ihr Bundesland – und kreieren so ein überraschendes TV-Highlight.

Was macht Deutschland aus? Was bedeutet Heimat? Jeder von uns kann diese Begriffe mit eigenen Erinnerungen und Erfahrungen beleben. Nun haben sich namhafte Regisseure, Schauspieler und Autoren aufgemacht, ihre Sicht auf ‚ihr‘ Deutschland zu suchen. Entstanden sind 16 sehr eigenwillige, einfühlsame
Porträts von Menschen und Regionen aus Deutschland. Zusammengenommen ergeben sie ein vierstündiges dokumentarisches Gemälde, einen subjektiven Blick auf unser Land.
Volker Herres, Programmdirektor Das Erste
Nachdem RTL am Tag der Deutschen Einheit mit «Helden» der Bundesrepublik einen unfreiwillig komischen, von Pathos geschwängerten Katastrophenfilm widmete, sorgt nun Das Erste für einen facettenreichen und deutlich sehenswerteren Blick auf Deutschland. In «16xDeutschland» wird jedem der deutschen Bundesländer ein knapp 15-minütiges Porträt gewidmet. Diese Einblicke in das Wesen der jeweiligen Bundesländer stammen von prominenten Medienschaffenden, die ihre Heimat beleuchten und dabei ihren markanten Stil mit einfließen lassen. Und somit unterscheiden sich die 16 Kurzdokumentationen nicht allein aufgrund der darin präsentierten Region Deutschlands voneinander, sondern auch durch die kreative Stimme, die zugleich zum Ausdruck gebracht wird.

Konsequenterweise variieren daher auch Tonfall und Form der Impressionen aus den deutschen Landen. «Tatort»-Schauspieler Udo Wachtveitl etwa widmet seiner weiß-blauen Heimat Bayern eine abwechslungsreiche, zügig geschnittene Collage mit augenzwinkerndem Off-Kommentar, in der Klischees, Vorzüge und Kuriositäten Bayerns abgehandelt werden. Neben diesem umfassenden Rundumschlag über Bayern gibt es allerdings auch zahlreiche Reportagen zu bestaunen, die sich im Detail mit einem einzelnen Aspekt des thematisierten Bundeslands befassen. Lars Jessen und Rocko Schamoni beispielsweise widmen sich in einer melancholischen Reportage dem großen Gaststättensterben in Schleswig-Holstein, faktenreicher und dennoch charmant geht es in Andreas Dresens Brandenburg-Beitrag zu, der von einer zierlichen 28-Jährigen handelt, die in sechster Generation ein Kohleabbauunternehmen führt. Skurriler sind derweil die Doku aus Sachsen-Anhalt, in der Marcus Fitsch von einem Kung-Fu-Lehrer berichtet, oder auch der trocken-humorige, gleichfalls ehrfürchtige Bericht über Deutschlands dienstältesten Fahrlehrer, den Andreas Veiel als Repräsentant für Baden-Württemberg drehte.

Näher an den bekannteren Merkmalen ihres Bundeslands orientieren sich wiederum Sarah Moll und Sandra Maischberger: Während Moll sich auf eine kurzweilige und informative Spurensuche nach den französischen Einflüssen im Saarland macht, rückt Maischberger (leider relativ uninspiriert) die Arbeitnehmer des Bundestags ins Zentrum. Thüringen hingegen wird von Dominique Horwitz anhand der Bemühungen Weimars dargestellt, die Erinnerungen an die Zeiten als Kulturstadt aufrecht zu erhalten. Dieser 15-Minüter ist oberflächlich betrachtet schlicht ein kleiner Tatsachenbericht, aber in ihm schwingt auch eine betrübende Aussage darüber mit, dass in Deutschland um das Erbe der großen Dichter und Denker gekämpft werden muss.

Andere Beiträge umreißen unterdessen, welch gegensätzliche Herzen in der Seele deutscher Regionen schlagen können. Ambitioniert, aber ein wenig bemüht, blicken Nico Hofmann und Julian Vogel von den zwei großen Wirtschaftszweigen in Rheinland-Pfalz: Den Weinbau und der ihm vermeintlich nur wenig ähnelnden Chemieindustrie. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Schauspieler Charly Hübner in seinem Regiedebüt über Mecklenburg-Vorpommern. Dieses persönliche, im Vergleich zu den anderen Kurzdokus wohl auch ziellose sowie dröge Essay handelt von der friedlichen Naturliebe der Bewohner dieses Bundeslands sowie von Hübners Erklärungsversuchen, weshalb rechte Politiker in Mecklenburg-Vorpommern so viel Gehör finden.

Doch selbst kleinere Ausrutscher innerhalb «16xDeutschland» sind noch immer prägnant und bleiben in Erinnerung, womit sie weit über dem Durchschnitt der üblichen Fernsehkost liegen. Zudem werden die ungeschliffenen Filme Hübners und Maischbergers von absoluten Höhepunkten aufgewogen, wie etwa Rosa Hannah Zieglers Niedersachsen-Impression, die sich stellvertretend für die vielen gebeutelten Jugendlichen Deutschlands eine 19-Jährige ausguckt, die von Heim zu Heim und Pflegefamilie zu Pflegefamilie gereicht wurde. Ziegler offenbart in ihrer intimen, einfühlsamen und ehrlichen Reportage bemerkenswerte Einblicke ins Denken und Fühlen einer jungen sowie starken Frau, die ihre erste eigene Wohnung zu ihrem emotionalen Ankerpunkt aufbauen will. Nicht ganz so berührend, durch eine reizvolle Mischung aus stillem Humor und nachvollziehbarer Nachdenklichkeit aber ähnlich gelungen, ist Sung-Hyung Chos Ergründung der Frage „Wie werde ich eine echte Hessin?“. Die südkoreanische «Full Metal Village»-Regisseurin vermengt in ihrem Doku-Essay ihre eigenen Gedanken über Heimat und Integration, Gespräche mit offenherzigen Hessen, in Cartoonform visualisierte Anekdoten über Verständigungsprobleme und ihren bürokratischen Weg zur Einbürgerung zu einem geistreichen sowie kurzweiligen Gesamtergebnis.

Der stärkste Beitrag in «16xDeutschland» stammt jedoch von Jan Böhmermann, der sich mit der Frage auseinandersetzt, weshalb die Stadt Bremen ein eigenständiges Bundesland ist. In seiner Reportage stürzt er sich auf eine unglaubliche Recherchereise, während der er Erstaunliches über seine eigene Vergangenheit erfährt und die Behörden gegen sich aufhetzt. Fakt und Fiktion verschmelzen so immer mehr zu einer ungeheuerlich witzigen sowie mit Informationen (und Wahnsinn) gespickten Erkundungstour. Darüber hinaus umfasst das einmalige Experiment der ARD auch eine vielseitige Doku von Claus Wischmann über eine Kölner Kneipe und ihr alterndes Stammpublikum, Ina Borrmanns persönliches und packendes Essay über ihre in Sachsen eingeholten ersten Liebeserfahrungen sowie Özgür Yildirims Skizzierung des Alltags einer Hamburger Newcomerband.

Kurzum: «16xDeutschland» ist ein faszinierendes Mosaik, dass die sozialen, kulturellen und geographischen Facetten Deutschlands darstellt und im selben Zuge auch unter Beweis stellt, welch schillernde Vielfalt an schöpferischen Stimmen in der hiesigen Medienwelt schlummert.

Das Erste zeigt «16xDeutschland» als zweiteiliges Dokuevent am Samstag, dem 5. Oktober, und Sonntag, dem 6. Oktober. Beide Ausstrahlungen beginnen jeweils um 16 Uhr und umfassen acht der insgesamt 16 Kurzfilme.

Kurz-URL: qmde.de/66524
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