Die Kino-Kritiker

«Gullivers Reisen»

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In «Gullivers Reisen» mag Jack Black ganz groß sein, doch Einfallsreichtum und Humor werden in der Neuverfilmung eher klein geschrieben.

Jonathan Swifts «Gullivers Reisen» ist einer der literarischen Klassiker, denen viel zu selten Recht getan wird. Das sozialsatirische Werk wurde zu einer konformen Kinderbuchausgabe runtergestutzt, welche wiederum als Vorlage für die meisten Adaptionen der Geschichte diente. Das im kollektiven Gedächtnis vorherrschende Kinderimage von «Gullivers Reisen» wird nun durch eine Leinwandadaption als 3D-Familienkomödie mit Jack Black weiter zementiert. Die haarsträubend klamaukigen Trailer lassen bereits das schlimmste befürchten, und nach den zahlreichen Startverschiebungen, dürfte das Vertrauen der Kinogänger in den hierzulande dämlich untertitelten «Gullivers Reisen - Da kommt was Großes auf uns zu» endgültig gegen Null gesunken sein. Seit dem 10. Februar läuft der für eine Goldene Himbeere, dem Anti-Oscar, nominierte Film auch in den deutschen Kinosälen. Und an dieser Stelle sei die gute Nachricht zuerst genannt: Dieses Jack-Black-Vehikel wird entgegen einiger Befürchtungen nicht von Fremdscham erdrückt. Dafür ist es nämlich viel zu öde.

Kleiner Mann, ganz groß


Die in die Gegenwart verlegte, sich inhaltlich zahlreiche Freiheiten gönnende, Neuverfilmung in New York City, wo Lemuel Gulliver (Jack Black) in der Postabteilung eines großen Zeitungsverlags versauert. Als er innerhalb eines Arbeitstags auf der Karriereleiter von seinem neuen Dienstassistenten überholt wird, überdenkt er sein Leben. Um die von ihm seit Jahren angehimmelte Reisejournalistin Darcy (Amanda Peet) zu beeindrucken, versucht er sich ebenfalls als reisender Schreiberling und sein erster Auftrag führt ihn prompt ins Bermudadreieck. Ein unerklärliches Wetterphänomen später erwacht Gulliver von Liliputanern gefesselt an einem Sandstrand. Er wird von den winzigen Anwohnern für ein Ungetüm gehalten und zu Zwangsarbeit verurteilt. Doch nach und nach erarbeitet sich Guliver das Vertrauen des aufgrund seines unhöfischen Verhaltens ebenfalls verurteilten Horatio (Jason Segel), der Prinzessin Mary (Emily Blunt) und schließlich des ganzen Volkes, bei dem sich Gulliver mit irrwitzigen Lügengeschichten zur Legende aufbauscht. Bloß General Edward (Chris O’Dowd) traut dem seine Stellung im Militär überflüssig machenden, haarigen Riesen nicht und schmiedet ein Komplott, um Gulliver loszuwerden.

Schon direkt nach dem Vorspann, der mittels spezieller Kameratechniken New York City wie eine belebte Miniaturausgabe aussehen lässt, schlägt dem Zuschauer die Moral des Films ins Gesicht: Man muss nicht von großem Stande oder körperlicher Größe sein, um große Dinge zu tun. Alles was zählt, ist die Größe des Herzens. Sicherlich nicht die schlechteste Moral, die einem Regisseur Rob Letterman da auftischt, wenngleich auch bei weitem nicht die einfallsreichste. Ruft man sich allerdings die junge Zielgruppe dieser Komödie ins Gedächtnis, wird einem ebenso schnell klar, dass der belehrende Zeigefinger sicher mehr als einmal ausgepackt wird. Und wie einem die Dialoge und die, unsagbar vorhersehbaren, Storywendungen immer wieder beweisen: Diese Befürchtung kommt nicht von ungefähr.

Innovation aus Liliput


Die Vehemenz, mit der das Publikum an die Lektion des Abends erinnert wird, gehört zu dabei noch zu den geringsten Problemen von «Gullivers Reisen»: Letterman, der zuvor für Dreamworks-Animation den grauenvollen Fisch-Trickfilm «Große Haie, kleine Fische» verwirklichte, zeigt keinerlei komödiantisches Feingefühl, so dass sich die meisten Gags meilenweit ankündigen. Andere Pointen, die vielleicht gesessen haben, lässt Letterman so lange auf sich beruhen und nachhallen, dass sie dadurch an Wirkung verlieren. Lettermans größte Sünde ist aber, dass er Hauptdarsteller Jack Black offenbar zu straffe Zügel anlegte. Denn eines von Blacks größten Talenten, dass ihm auch jene anerkennen müssen, die mit ihm wenig anfangen können, ist seine energetische Spielfreude. Mit dieser kann er selbst in grottenschlechten Filmen die Flamme hochhalten und wenigstens für ein Minimum an Unterhaltung sorgen. «Gullivers Reisen» gehört nicht zu den Filmen, die Black retten kann. Zu routiniert und spröde spult er sein Standardprogramm ab. Im Grunde spielt Black bloß sich selbst. Im ersten Gang. Mit angezogener Handbremse. Eingefleischte Black-Fans werden hie und da noch schmunzeln, den Preis für eine Kinokarte rechtfertigt dies allerdings noch lange nicht. Gleiches gilt für Jason Segel («How I Met Your Mother»), der nicht viel mehr tut, als nett zu sein. Der Rest des Ensembles ist, mit Ausnahme von Emily Blunt und Chris O’Dowd, schnell vergessen. Blunt scheint szenenweise in einem völlig anderem Film mitzuspielen, wodurch sie ein wenig Verwirrung stiftet, während sich O’Dowd als missgünstiger Feind Gullivers durch entgleisende Gesichtszüge und übertrieben ulkiger Betonung zum Trottel macht.

Die unterdurchschnittlichen Darstellerleistungen sind zu weiten Teilen sicherlich dem ideenarmen Drehbuch verschuldet. Joe Stilman («Percy Jackson – Diebe im Olymp») und der zumindest in seinen Zusammenarbeiten mit Jason Segel recht talentierte Nicholas Stoller («Nie wieder Sex mit der Ex») trampeln handlungstechnisch auf längst ausgelatschten Pfaden: Der moderne Gulliver mischt mit seinen aus Filmen entliehenen Lügengeschichten, seiner Gegenwartssprache und zeitgenössischen Sitten einen veralteten, adeligen Hofsstaat auf. Alle dazugehörigen, und sehr lustlos runtergeleierten, Ideen sind klar aus den zahllosen modernen Verfilmungen von Mark Twains «Ein Yankee am Hofe des König Artus» geklaut. Um es zusammenzufassen: Ein altbekannter Stoff wird mit Ideen aus einem anderen, altbekannten und zahllos verfilmten Stoff gestreckt. Das schreit doch geradezu nach frischem Kinospaß…

Ähnlich uninspiriert bleiben auch die meisten Witze in «Gullivers Reisen». Sind Gullivers Ammenmärchen anfangs noch recht amüsant, sofern man sie nicht längst mittels der Trailer auswendig gelernt hat, gestaltet sich das Warten auf einen treffenden Gag schnell zur Geduldsprobe. Meistens bleibt «Gullivers Reisen» einfach nur vorhersagbar, wenn Gulliver jedoch den Liliputanern modernen Slang beibringt, findet dann letztlich doch die Fremdscham Einzug in den Film. Einzig mit visuellem Humor landet «Gullivers Reisen» ein paar unerwartete Treffer, etwa bei der Enthüllung von Gullivers neuem Gemach, nachdem er von den Liliputanern als Held akzeptiert wurde. Die dort gewonnenen Sympathiepunkte machen sich die Autoren mit dem Auftritt einer lächerlichen Transformers-Kopie sowie dem peinlichen, deplatzierten Finale mit seiner exzentrisch vermittelten Anti-Kriegs-Botschaft schnell wieder kaputt.

Für die Effekte und Produktionswerte muss man «Gullivers Reisen» allerdings Lob aussprechen. Für eine solch klamaukige und lustlose Komödie wurden die Kostüme und Sets mit erstaunlicher Sorgfalt erstellt. Zur gelungenen Optik von «Gullivers Reisen» gehört auch die mit Computer- und Kameratricks sowie Miniatursets errungene Täuschung, dass Jack Black tatsächlich ein Mordsriese ist, beziehungsweise die Liliputaner verschwindend klein sind. Die Trickserien bezüglich der Perspektive sorgen für eine kaum gebrochene Illusion. Dieses Lob lässt sich aber dadurch geschmälert, dass das Team um Walt Disney bereits 1959 mit «Das Geheimnis der verwunschenen Höhle» eine ähnlich starke Täuschung auf Zelluloid bannte. Komplett ohne digitale Unterstützung. Und das Drehbuch dieses Fantasymärchens mit Sean Connery taugte wenigstens was.

Fazit: «Gullivers Reisen» ist eine langweilige, mit selten zündendem Klamauk und abgedroschenen Ideen unterfütterte Neuverfilmung, die selbst von dem sonst als Energiebündel bekannten Jack Black nicht vor der Belanglosigkeit gerettet werden kann. Für eingeschworene Fans des Darstellers bestenfalls als DVD-Tipp aus der Grabbelkiste zu empfehlen, der Rest des Publikums kann ihn sich gänzlich sparen.

«Gullivers Reisen» ist seit dem 10. Februar in vielen deutschen Kinos zu sehen.

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