Statistisch gesehen

Ein Friseur für ProSieben

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Fünf Dokusoaps testete ProSieben je eine Woche lang, alle liefen schlecht. Oder deutet sich doch noch irgendwo Potential an?

Statistisch gesehen sind 84 Prozent der Deutschen mit ihrem Friseur zufrieden. Mit dem Fernsehprogramm sieht es da anders aus. Vor allem am Nachmittag.

Lange Zeit drehte ProSieben die Sparschraube an seinem Nachmittagsprogramm immer weiter bis im letzten Jahr die endgültige Quittung der Zuschauer kam, die dem auf Beitragsrecycling und Umetikettieren ausgelegtem Sendekonzept in Scharen den Rücken kehrten. Nach Flops wie «Reality Affairs» im Herbst sollte nun im Akkord der Stein der Weisen gefunden werden. Gleich fünf Formate testete ProSieben in den vergangenen Wochen auf dem Sendeplatz um 16 Uhr, allesamt Dokusoaps, größtenteils gescriptet, um die ein oder zwei Ideen herauszufiltern, mit denen nachhaltig den Nachmittag wieder auf Vordermann gebracht werden kann. Es ist bezeichnend, dass es nicht einmal alle fünf Formate überhaupt eine Woche lang im Programm aushielten. «Das Internat» flog nach zwei Tagen aus dem Sendeplan.

Das Dilemma ist genauso groß wie vorher. Von den rund 30 Prozent, die RTL mit seinen Scripted Reality Serien einfährt, wird ProSieben wohl nicht geträumt haben, aber was am Ende der fünf Wochen zu Buche steht, untertrifft wohl ebenso die schlimmsten Befürchtungen. 9,4 Prozent, das ist das durchschnittliche Ergebnis, das «Der Salonretter» erzielen konnte - es war das beste der fünf Testballons und trotzdem gut zwei Prozentpunkte unter ProSiebens Durchschnitt. Also alles ab auf den Fernsehfriedhof? Oder finden sich vielleicht doch zwei Formate, bei denen Anlass zur Hoffnung besteht?

Klar, die Durchschnittswerte sind schlecht bis katastrophal, aber genauso auch tückisch. Nur fünf Folgen wurden jeweils gesendet - wie soll sich da ein Stammpublikum finden? Nicht umsonst üben sich die Sender bei neuen Formaten oft in Geduld. Wie zum Beispiel Sat.1 bei der «Oliver Pocher Show». Oder Sat.1 bei «Eine wie keine». Oder Sat.1 bei «Kerner». Und bei letzterem könnte die Rechnung langsam sogar aufgehen. Die Frage muss also lauten, wie viel Zuschauerpotential die fünf Dokusoaps angedeutet haben, nicht wie viele Zuschauer von vornherein dabei waren. Bei einem quasi unbeworbenen Neustart auf einen großen Erfolg vom Start weg zu hoffen, wäre schließlich illusorisch. Wir müssen also einen Blick auf die Entwicklung der Quoten werfen, um eine Aussage über ihre Zukunftsaussichten zu treffen.

Ich habe ein mathematisches Modell gewählt, das zwei Dinge berücksichtigt: Zum einen ist bei der ersten Folge (und in geringem Maße bei den nachfolgenden) das Interesse hoch, weil etwas Neues startet. Zum anderen schaltet nicht jeder, dem die Sendung gefällt gleich bei der ersten Folge ein - das Stammpublikum findet sich also erst nach und nach. Die mathematische Formel steht zwar mit in der Grafik, ist aber sehr unintuitiv und sicher verbesserungswürdig. «Das Internat» fehlt. Zwei Folgen sind für die Rechnungen zu wenig und wer noch auf eine Rückkehr von Emma und ihres Blogs hofft, der glaubt auch noch an den Weihnachtsmann.



Die Kurven von «Der Salonretter» und «The Secret» spiegeln sehr schön die beiden getroffenen Annahmen wieder. Interessant ist nun, dass jede dieser Ausgleichskurven sich auf einem bestimmten Niveau einpendelt: das Stammpublikum, das erreichbar scheint. Keine Überraschung ist, dass auch hier «Der Salonretter» vorne liegt. Bei etwa 770.000 jungen Zuschauern würden sich die Reichweiten demnach einpendeln, das wären über 15 Prozent Marktanteil! Die weiteren Formate zeigen, wie uns bloße Durchschnitte an der Nase herumführen können. «Love Diary», die Sendung mit den zweitbesten Durchschnittsreichweiten findet sich auf dem letzten Rang wieder: 460.000 Zuschauer aus der Zielgruppe lautet die Prognose. Es fehlte schlicht der Aufwärtstrend. Wenn ProSieben aus lauter Verzweiflung und Ideenlosigkeit tatsächlich zwei der Testreihen in Serie schickt, sollte lieber «4 kämpfen für dich» dazugehören. 590.000 junge Zuschauer wären machbar, das wären Quoten von knapp zwölf Prozent.

Wie verlässlich diese Prognosen sind? Nun, bezeichnen wir sie als in höchstem Maße spekulativ. Bei nur fünf Werten reichen kleine Schwankungen, um große Veränderungen in der Prognose zu bewirken und überhaupt sind Zukunftsprognosen eine ziemlich knifflige Angelegenheit. Aber wichtig ist: Manchmal lohnt sich ein zweiter Blick auf die Quoten bevor eine Sendung in ihrer ersten Woche als Erfolg oder Misserfolg abgestempelt wird. Vor allem von großen Serien im Abendprogramm ist ja der Effekt bekannt, dass Pilotfolgen besonders gut abschneiden und damit das Gesamtergebnis lange Zeit ziemlich beschönigen. ProSieben erlebt das gerade mit «The Vampire Diaries».

Seit dieser Woche sendet ProSieben um 16 Uhr wieder «Der Salonretter - Waschen, schneiden, fönen». Von Montag bis Mittwoch schauten im Schnitt 510.000 14- bis 49-jährige zu. Es geht tatsächlich weiter aufwärts. Ob ProSieben langfristig auch mit der Leistung seines Friseurs zufrieden sein kann?

Oft steckt mehr hinter den Zahlen des TV-Geschäfts als man auf den ersten Blick sieht. Oder weniger. Statistisch gesehen nimmt sie unter die Lupe

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