Schlüter sieht's

«Schlüter sieht's»: Bist du zwischen 14 und 49?

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Erfolg einer TV-Sendung wird durch die 14- bis 49-Jährigen entschieden. Eine völlig veraltete Denkweise.

Deutschland, ein werktäglicher Nachmittag, irgendwann zwischen 15 und 16 Uhr: Der 14-jährige Jugendliche schaut Fernsehen, «Mitten im Leben!» oder ein ähnliches Programm zu dieser Zeit auf einem großen Privatsender. In der ersten Werbepause werden die üblichen Produkte, also Shampoos, Lebensmittel oder Bier, vorgestellt. Im Nebenzimmer schaut die Mutter des Jugendlichen, 45 Jahre alt, ebenfalls fern und wird in den Werbepausen mit denselben Produkten konfrontiert, die auch schon ihr Sohn kaufen sollte. Alltag in deutschen Wohnungen, aber was läuft verkehrt? Die Antwort ist einfach: Beide Personen, trotz ihres gewaltigen Altersunterschiedes, gehören für die Werbewirtschaft zu der gleichen Zielgruppe, die sich da „14- bis 49-Jährige“ nennt.

Zugegebenermaßen ist das oben beschriebene Beispiel sicher ein Extrem des Zielgruppen-Desasters, das allerdings verdeutlicht, wie sich in unseren Köpfen ein Wert festgelegt hat, der nicht nur überholt ist, sondern auch unterschiedlichste Personengruppen in einen werbewirtschaftlichen Topf wirft, die nur wenig oder gar nichts miteinander gemeinsam haben und somit werbemäßig auch verschieden angesprochen werden müssen – dennoch gehören sie alle zu einer einzigen Gruppe, der 14- bis 49-Jährigen.

Dieser Wert wurde einige Zeit nach dem Start der Privatsender in Deutschland erfunden, als es darum ging, mehr und mehr Profit zu machen. Noch heute sind die Marktanteile der Sendungen, die in der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen erreicht werden, der Richter über Erfolg oder Misserfolg einer Sendung. Nun, warum hat es diesen Richtwert dann überhaupt jemals gegeben?

Die Werbewirtschaft argumentiert damit, dass Menschen im Alter von 14 bis 49 Jahren einerseits eine sehr hohe Kaufkraft besitzen. Dieser Aspekt war möglicherweise einige Zeit korrekt, allerdings hat der krasse demographische Wandel die Kaufkraft der Deutschen massiv verändert: Heute sind große Teile der über 50-Jährigen die wohlhabendsten Menschen der Republik.

Andererseits sind die 14- bis 49-Jährigen in diesem Alter am leichtesten beeinflussbar, um sie beispielsweise durch gezielte Werbung oder „Product Branding“ auf bestimmte Marken zu polen, die sie idealerweise dann ihr Leben lang bevorzugen. In diesem Punkt könnte man zustimmen – sicherlich sind Menschen über 50 nicht mehr so einfach manipulierbar wie Mittzwanziger. Dennoch wird hier erneut der eigentliche Sinn von Werbung übergangen: Die bestimmte Zielgruppe, die für den Kauf eines Produktes in Frage kommt, anzusprechen.

Richtig wäre es eigentlich, mehrere Zielgruppen für die Sender zu definieren, je nach ihrem Programmschwerpunkt. Sicher gibt es für ProSieben die Kernzielgruppe der 14- bis 29-Jährigen oder ähnliche Werte, doch das über Allem schwebende Dogma sind die 14- bis 49-Jährigen. Es ergibt sich schon rein aus dem Gedankenzusammenhang, dass ein stärkerer Fokus auf solche spezifischeren Werte richtig und logisch wäre. Denn dann würden auch manche TV-Programme, die vielleicht bei der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen gescheitert sind, die aber in ihren Kernzielgruppen sehr erfolgreich waren und viele Zuschauer mit der dann gesendeten Werbung ansprechen konnten, im Fernsehgeschäft überleben. Für einen solchen Fall gäbe es unzählige Beispiele: Wie viele 40-Jährige schaut sich beispielsweise «Wipeout» an? Oder «TV total»? Umgekehrt: Viele junge Menschen sehen keine deutschen Serien oder Dokus wie «Einsatz in vier Wänden»…

Abgesehen von einer Abkehr einer universell geltenden Zielgruppendefinition hin zu mehr Kernzielgruppen ist natürlich auch die Altersspanne der 14- bis 49-Jährigen selbst fraglich: Die meisten Medienschaffenden wissen, dass die Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen veraltet ist und nicht mehr zur heutigen Gesellschaft passt. Aber niemand traut sich, den ersten Schritt zu tun, um eine Veränderung erreichen zu wollen. Verständlich, da bei einer Neudefinition die gesamte Branche mitziehen müsste – bis sich die konkurrierenden Firmen auf einen gemeinsamen Nenner verständigt hätten, würde wohl viel Zeit vergehen. Allerdings sagte Martin Krapf, Geschäftsführer des RTL-Vermarkters IP Deutschland, kürzlich in einem Interview, er könne sich eine neue Zielgruppe vorstellen. Vielleicht gibt es also bald doch neue Werte, mit denen Erfolg im Fernsehen gemessen wird. Warten sollte man darauf aber nicht…

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt ein paar neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Freitag nur auf Quotenmeter.de.

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