Interview

Sebastian Ströbel: ‚Ich habe gemerkt, wie wenig ich über die Arktis eigentlich weiß‘

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Im Interview spricht Ströbel über seine eigenen Wissenslücken, das Leben in radikaler Einfachheit, politische Spannungen in Grönland – und darüber, warum Begegnungen vor Ort mehr verändern können als jede Theorie.

Herr Ströbel, Sie sind seit Jahren als «Bergretter» mit extremen Naturbedingungen vertraut – aber die Arktis ist noch einmal eine ganz andere Dimension. Was hat Sie persönlich an diesem Projekt gereizt?
Die Arktis war für mich schon immer ein Sehnsuchtsort. Mich haben die Entdecker der Polarkreis schon immer fasziniert. Doch erst mit der Beschäftigung dieser Reise und Expedition, ist mir klar geworden, wie wenig ich über diese Region weiß. Was ist die Arktis ist eine Insel ein Land wer lebt dort, wie lebt man dort? All diese Fragen haben wir bewusst gemacht, dass ich eigentlich überhaupt nichts weiß, wenn ich an die Arktis gedacht habe, habe ich immer an Eis und Schnee gedacht, an lebensfeindliche äußere Umstände. Diese Blindspots in meinem Wissen wollte ich unbedingt tilgen. Ich fand es einen bereichernden und faszinierenden Gedanken, sowohl mit meinem Buch als auch mit der Dokumentation mir (und damit auch den Menschen hier in Deutschland) diese wunderbare und so unglaublich wichtige Region der Welt sichtbar zu machen.

In Tinit gibt es keine Straßen, kaum Versorgung, monatelang kein Schiff. Wie haben Sie diese radikale Einfachheit des Lebens empfunden – vor allem als Vegetarier, der dort teilweise hungrig blieb?
Ja, (lacht) das mit dem Essen war wirklich ein wenig schwierig. Vor allem, wenn man weiß, dass Monate lang kein Versorgungsschiff kommt und Obst und Gemüse recht rar sind. Ich habe mich tatsächlich dabei ertappt, wie ich mich freue, wenn ich in Deutschland wieder in einen Apfel beißen kann.

Aber man passt sich an alles an. Und Reis und Tiefkühlgemüse, was ich tatsächlich fast durchgängig gegessen habe, können ja auch ganz lecker sein. Ich finde es tatsächlich auch immer sehr reizvoll, dass wenn man in der Natur ist, man sehr schnell geerdet wird. Die äußeren Einflüsse des Wetters helfen einem gnadenlos sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, zu sich zu kommen. Gleichzeitig hat es mich fasziniert zu sehen, wie sich die Menschen in so unwirtlichen Gegenden an die äußeren Gegebenheiten anpassen.

Sie begleiten Jäger Salo Kunuk auf Robbenjagd. Wie schwierig war es für Sie, diese traditionelle Praxis emotional und moralisch einzuordnen?
Es war komischerweise so, dass ich im Vorfeld schon gedacht habe „auweia, dass wird was mit dem Jagen, das ist ja nicht so deins“. Aber wenn man dann vor Ort ist, das alles in einer so natürlichen und selbstverständlichen Umgebung passiert, dann ist das das Normalste auf der Welt. Da merkt man, wie sehr man alles durch seine westliche Wohlstandsbrille sieht. Die Jagd gehört zu diesen Menschen wie diese Menschen in diese Gegend. Es hat einem wieder vor Augen geführt, wie vorsichtig man mit seinen Bewertungen und Einordnungen sein sollte. Wie schwierig, es ist, objektiv zu sein und zu bleiben das Leben der Menschen dort hilft einem sehr bei dieser Einordnung.

Die Menschen in der Arktis stehen zwischen Tradition und Moderne. Was hat Sie an diesem Spagat der Inuit-Gemeinschaft besonders beeindruckt?
Es ist nicht zu übersehen, wie sehr die Menschen auf Grönland versuchen, einerseits ihre Traditionen zu erhalten und andererseits mit der Globalisierung zurecht zu kommen. Man sieht an vielen Orten die Probleme die damit ein herkommen. Das Erbe der Kolonisation, die finanzielle Abhängigkeit zu Dänemark, die eigenen wirtschaftlichen, Schwierigkeiten. Dennoch versuchen die Menschen alles, beides in Einklang zu bekommen. Sie versuchen, die Tradition zu erhalten und dennoch mit Zuversicht und Raffinesse die technischen Fortschritte und Neuerungen zu ihren Gunsten zu benutzen. Gerade der Tourismus bietet den Menschen vor Ort viele Möglichkeiten, was die wirtschaftliche Stärke (gerade die Rohstoffreserven unter dem Eis) angeht, ist noch nicht einmal der Anfang gemacht. Kein Wunder, dass sowohl die USA, als auch Europa ein großes Interesse an dieser Region haben. Aber darüber müssen alleine die Grönländer entscheiden. Diesen Stolz auf ihre Vergangenheit auf ihre Kultur und auf die Stärke ihres Landes, den spürt man überall vor Ort.

Auf dem Weg zur Sermilik-Forschungsstation geraten Sie in ein gefährliches White Out. Wie nah war dieser Moment daran, wirklich kritisch zu werden?
Wenn man sich auf Grönland irgendwo alleine auf einem Gletscher in einem Schneesturm befindet, dann ist das immer auf einer Art bedrohlich. Natürlich hatte mir in diesem Moment meine eigene Erfahrung geholfen, das Wissen, dass man jetzt nicht einfach wild weiter drauf losfährt, sondern stehen bleibt und auf Hilfe wartet. Dennoch bist du dir auch ganz schnell im Klaren, dass du hier, wenn irgendetwas passiert, in eine sehr kritische Lage geraten kannst.

Und trotzdem: gerade in solchen Situationen spürst du jeden Sinn in dir, nimmst die Weite und Majestät der Natur im ganzen Umfang wahr.

Die Polarforschung wirkt in der Doku fast wie ein Überlebenskampf. Was hat Sie an den Bedingungen der Forscher am meisten überrascht – oder schockiert?
Ich glaube, dass es gerade diese Umstände sind, die die Wissenschaftler auch dorthin locken. Die Aussicht auf die Polarnacht, auf die einzigartigen Bedingungen, die sie dort finden. All das macht den Polarkreis beziehungsweise die Arktis zu dem Hotspot für WissenschaftlerInnen aus aller Welt. alle, die dort waren, waren Serien Täter oder (falls Sie das erste Mal da waren) sie wurden es ganz schnell. Was mich persönlich immer betroffen gemacht hat, war, wenn man mitbekommen hat, wie frustriert die Wissenschaftlerinnen Wissenschaftler über die öffentliche Rezeption ihrer Arbeit sind sie fühlen sich nicht gehört, nicht wirklich wertgeschätzt. Ich sehe es als einer der größten Aufgaben, dass Öffentlichkeitsarbeit/Medien und Wissenschaft Hand in Hand versuchen, die Probleme unserer Zeit zu kommunizieren und den Menschen ohne Angst und Hetze zu vermitteln.

In Grönland erleben Sie politische Spannungen, etwa rund um US-Interessen und die lokale MAGA-Bewegung. Wie präsent war dieses politische Klima im Alltag der Menschen?
Egal, wo man war auf Grönland: Donald Trump war dabei. Egal ob an der Ostküste oder in der Hauptstadt Nuuk. Wobei die Stimmung ganz klar selbstbewusst und trotzig war. Niemand will sich von Donald Trump einschüchtern lassen. Das Gegenteil war der Fall, dass man sich eher wieder an Dänemark und die EU annähern wollte. Aber über allem steht das nationale und unabhängige Selbstverständnis aller Menschen auf Grönland. In insofern könnte das Interesse Donald Trumps an Grönland eher den nationale Zusammenhalt gefördert haben als die Angst vor einer Invasion.

Die Geschichte um die Zwangsspiralen ist ein schweres Kapitel dänischer Kolonialpolitik. Wie haben Sie diesen Moment der Begegnung mit Betroffenen erlebt?
Dieses Kapitel der grönländischen Geschichte hat mich sehr betroffen gemacht. Der Kolonialismus hat tiefe Furchen und Schuld überall auf der Erde hinterlassen. Ich empfinde tiefes Mitgefühl. Umso wichtiger ist es, dass man die Geschehnisse aufarbeitet und sichtbar macht.

In Folge 2 erleben Sie die Polarnacht auf Spitzbergen – monatelange Dunkelheit, mehr Eisbären als Menschen. Welche psychische Wirkung hat diese dauerhafte Finsternis auf Sie gehabt? Und stinkt es auf Spitzbergen wirklich so?
Nein, auf Spitzbergen stinkt es nicht. Die Polarnacht war einmaliges Erlebnis. Alleine schon wenn man anfliegt und sieht, wie man immer weiter in der Dunkelheit versinkt. Vor Ort selber hat mich das aber gar nicht so sehr gestört. Klar, man verliert jeden Bezug zur Echtzeit. Weiß oft nicht, ob es früh oder spät ist. Aber ehrlich gesagt hatte ich eher ein ständiges adventlichtes Gefühl, weil alles durch den Schnee und die Dunkelheit sehr weihnachtlich wirkt. Allerdings merkt man sehr schnell, wenn man an die Stadt oder Dorfränder kommt, dass dieser scheinbare Frieden nur oberflächlich ist: Überall gibt es die Hinweisschilder, dass man ab hier nicht unbewaffnet unterwegs sein darf.

Nach all den Eindrücken: Hat diese Reise Ihr eigenes Verhältnis zu Natur, Klimawandel und Verantwortung verändert – vielleicht stärker, als Sie es erwartet hätten?
Nein, das hat es nicht. Es hat mich nur bestärkt und bestätigt in all dem, was ich seit Jahren sehe und erfahre. Aber um positiv zu bleiben: Ich nehme jede Menge tolle und eindrückliche Erlebnisse und Begegnungen mit, die mich prägen und bestärken. Wir müssen den Fokus darauf richten, von all den Menschen erzählen und berichten, die etwas verändern wollen oder bereits verändern. Wir müssen an das Gemeinsame glauben, die Kraft, dass wir Menschen, im Einklang mit der Natur, all diese Schönheit erhalten und bewahren können

Vielen Dank für Ihre Arbeit!

«Sebastian Ströbel – Meine Arktis» ist am 1. Weihnachtsfeiertag um 19.15 Uhr zu sehen, der zweite Teil kommt am Dienstag, den 30. Dezember, um 22.15 Uhr. Beide Teile können seit 1. Dezember im ZDF gestreamt werden.

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