Ich hatte mich schon vorher 25 Jahre lang mit dem Thema Terrorismus beschäftigt, also auch mit den Bereichen Islamismus und Linksterrorismus. Beim Islamismus konnte man schon vor vielen Jahren sehen, dass es diese internationale Zusammenarbeit gab und sich manche Täter international inspirierten. Und Ähnliches sah ich dann auch bei den Rechtsextremisten. Und genau das wollte ich dokumentieren, zeigen, wie man sich also auch in dieser Szene international inspiriert und zum Teil zusammenarbeitet. Ich habe dann einen Produzenten gefunden, der auch an diesem Thema interessiert war und gemeinsam sind wir dann die Serie angegangen. Die Arbeit war dann natürlich sehr aufwendig – ein globales Thema, komplex in der Recherche und auch komplex in der Finanzierung, aber eben ein Beispiel dafür, wie unsere Welt inzwischen funktioniert, und genau das müssen wir abbilden, um der rechten Erzählung etwas entgegenzusetzen.
In Ihrer Dokumentation sprechen Sie von einer „rechten Internationalen“. Was unterscheidet diese neuen globalen Netzwerke von früheren rechtsextremen Strukturen?
In der Tat arbeiten schon seit vielen Jahren verschiedene Rechtsextremisten weltweit zusammen, schon früher kooperierten – Neonazis in Deutschland und in den USA zum Beispiel. Aber es war nie einfacher als heute – das liegt natürlich an der Ausbreitung der digitalen Räume. Früher musste man sich noch persönlich kennen, hat sich etwa bei Rechtsrock-Konzerten getroffen oder war gemeinsam Mitglied in bestimmten Organisationen. Jetzt jedoch lernt man sich zum Teil ausschließlich in diesen digitalen Echo-Kammern kennen, radikalisiert sich gemeinsam und mordet sogar füreinander. Da finden sich gleich mehrere Fälle. So hat ein junger Mann in Bratislava auch deswegen ein Attentat begangen, weil eine Extremistin in den USA ihm versprochen hat, sein Manifesto, wenn er denn wirklich tötet, als Hörbuch zu vertonen – was sie dann tatsächlich nach dem der Täter zwei junge Männer erschossen hatte, auch getan hat.
Die Serie zeigt eindrucksvoll, wie sich junge Menschen im Netz radikalisieren. Wie groß ist aus Ihrer Sicht die Verantwortung von Plattformbetreibern, und tun sie genug?
Die Verantwortung der Plattformbetreiber kann man gar nicht unterschätzen. Das gilt sowohl für die großen bekannten Plattformen und Anbieter, sei es jetzt Telegram, YouTube, Twitter oder Meta. Aber es gilt eben auch für viele kleinere Anbieter, die teilweise auch von Kindern genutzt werden. Sie alle haben gemein, dass die Unternehmen selber viel zu wenig Aufsicht organisieren, obwohl sie die Mittel dazu hätten. Man hat so größtenteils rechtsfreier Räume geschaffen. Daher fragt man sich, wie am Ende der Staat es so weit kommen lassen konnte. Wir haben uns ja auch Attentate angeguckt, die schon einige Jahre her sind, wo es dann bereits sehr dezidierte Untersuchungen über die Rolle der sozialen Medien gab und trotzdem hat man immer noch das Gefühl, es passiert viel zu wenig. Die großen Digitalkonzerne wehren sich mit Händen und Füßen gegen längst überfällige Regelungen. Letztendlich wehren sie sich so, weil sie eben unter dem Strich Geld sparen wollen, gleichzeitig ihr Geschäftsmodell nicht gefährden wollen, und das ist natürlich im Angesicht von Terroropfern und Todesopfern unerträglich.
Wo endet Medienfreiheit – und wo beginnt fahrlässige Verbreitung von Hass?
Naja, es wird ja oft so getan, als müssten wir hier etwas neu verhandeln, aber dass die Pressefreiheit Grenzen hat, ist ja nichts Neues. Jeder Journalist kennt das, man muss bestimmte Aussagen gegebenenfalls auch von Anwälten überprüfen lassen, weil etwa Privatpersonen zum Teil sehr geschützt sind, und das ist ja auch gut so. Es ist völlig klar: Wenn ich zu Gewalt aufrufe, wenn ich ganze Bevölkerungsteile verhetze, also Volksverhetzung begehe, wenn ich den Nationalsozialismus verherrliche usw. – immer dann greifen auch die Grenzen der Pressefreiheit, dann greift zum Teil auch das Strafrecht. Das Problem ist nur, dass diese Mittel sehr selten angewendet werden. Und wir sehen ja gerade, wenn sich der Staat wehrt und es etwa bei Tätern zu Hausdurchsuchungen kommt, dann gibt es inzwischen sofort eine sehr große Gegenbewegung, die so tut, als würde hier die Meinungsfreiheit unterdrückt. Manch einer erinnert sich in diesem Zusammenhang vielleicht an die Rede von JD Vance in Deutschland – das ist eine klassische Täter-Opferumkehr. Es wird also so getan, als gäbe es nicht schon lange Regeln für diesen Bereich – dahinter steckt natürlich der Plan, die Grenzen des Sagbaren weiter zu verschieben.
Welche Rolle spielt die Wut als Motor rechter Radikalisierung – und woher kommt diese Wut in Gesellschaften, die objektiv gesehen eher friedlich und wohlhabend sind?
Die Wut, und am Ende der Hass ist immer der entscheidende Motor von jeder extremistischen Bewegung, insbesondere natürlich auch von der rechten Szene. Woher diese Wut kommt, ist im Einzelnen unterschiedlich, ganz oft hat das sehr persönliche Gründe. Wir sehen das eben bei diesen sehr jungen Tätern – meistens junge Männer. Die sind sehr einsam, nicht zufrieden mit ihrer sozialen Stellung in der Schule, in der Universität oder vielleicht auch nur im Leben, weil sie keinen Job haben. Und diese Wut projizieren sie auf andere. Letztendlich geht es um ein tiefsitzendes Minderwertigkeitsgefühl, was da verarbeitet werden muss. Das ist einer der Gründe, warum die Ideologie des White Supremacy, also der „weißen Überlegenheit“, so gut funktioniert – weil eben jungen Männern eingeredet wird, sie seien gar keine Verlierer, sondern im Gegenteil, sie sind eigentlich die Avantgarde der Gesellschaft, aber durch diverse Intrigen und durch Machenschaften der Politik wird ihnen diese Rolle vorenthalten und deswegen dürfen und müssen sie sogar auch mit Gewalt gegen diese Situation vorgehen. So wird ihnen das eingeredet – in zig Filmen und Audio-Files online.
In der Doku-Serie werden erschreckende Parallelen zwischen Attentätern wie Tarrant, Gendron oder Breivik deutlich. Was verbindet diese Täter – und was unterscheidet sie in ihrer Radikalisierung?
Wenn man sich die Fälle anguckt, also Tarrant, Gendron und Breivik, so wird klar, dass die alle drei zwar isoliert gehandelt haben, es waren also sogenannte Einzeltäter – aber sie waren eben auch eingebettet in eine internationale digitale Bewegung. Schon Breivik war Teil des digitalen Kosmos, er hat online Artikel geschrieben über die Themen, die ihn interessiert haben, insbesondere über die Migration nach Europa. Er hatte dann das Gefühl, er kommt nicht weiter, er muss zu Gewalt greifen, um die angebliche Invasion durch Muslime zu stoppen. Er wurde dabei auch sehr von bestimmten Autoren online inspiriert. Das gilt eben auch für den ganz jungen 18-jährigen Peyton Gendron aus den USA, der, wie wir in unserem Film zeigen, im engen Kontakt mit einem auch ebenfalls 18-jährigen aus England stand. Und dieser 18-jährige Engländer hat letztendlich Peyton Gendron auch mit dazu gebracht, das Attentat zu begehen. Brenton Tarrant wiederum hat mit Breivik und Gendron gemeinsam, dass er ein starkes Sendungsbewusstsein hatte, dass er sich also wie ein Missionar fühlte, der die Welt darauf aufmerksam zu machen hat, dass etwas geschehen muss, dass die weiße sogenannte Rasse so in ihrer Existenz gefährdet sei, dass man sich eben auch mit Gewalt wehren müsse. Deswegen haben auch alle drei Manifestos geschrieben, Breivik hat zudem ein Video vor seiner Tat aufgezeichnet und Tarrant wiederum war ja dann der erste, der seine Tat live per Stream übertragen hat, was sehr viele Nachahmer inspiriert hat, unter anderem Peyton Gendron, der eben auch sein Attentat live gestreamt hat und wiederum: die Digitalkonzerne haben das eben auch zugelassen.
Sie zeigen auch Fälle in Deutschland – Hanau, Halle, München. Inwiefern verharmlosen wir in Deutschland noch immer die Gefahr, die vom Rechtsterrorismus ausgeht?
Die Gefahr von Rechts wird insofern in Deutschland immer noch verharmlost, weil man vielfach nicht einsieht, dass es seit dem zweiten Weltkrieg immer eine Gefahr von Rechts in Deutschland gab – die Nazis waren nie alle weg. Wir dürfen also nicht immer so tun, als müssten wir das Phänomen völlig neu verstehen, sondern es geht eigentlich immer nur darum, die aktuelle Intensität und den Grad der Organisation der Bedrohung zu begreifen. Also wie gut sind Rechtsterroristen vernetzt, wie gut sind sie organisiert und so weiter. Wir erleben jetzt, dass auch Deutschland, an der ersten Stelle sogar zusammen mit den USA, eben sehr viele Anschläge erlebt hat, weil sich eben so viele Täter hierzulande auch digital im Internet radikalisiert haben. Und viele Täter haben auch für diese abstrakte Online-Gemeinschaft getötet, wie man das in Halle sehr gut erkennen konnte. Im Fall von München zeigte sich, dass der Täter Waffen im Darknet besorgt hatte. Trotzdem wird zu oft abstrakt über diese Gefahr gesprochen und dabei legen wir immer noch alte Maßstäbe an. Man denkt, es ist nur dann Terror, wenn eine Gruppe zuschlägt oder wenn eine Gruppe, die sich ein Namen gegeben hat, zuschlägt. Man denkt zudem zu oft, es ist nur dann rechter Terror, wenn der Täter also eindeutig deutschstämmig ist, den man diesen Herkunft auch ansieht. Tatsächlich hatten wir ja München einen Täter mit persischen Wurzeln, der ganz eindeutig rassistisch gehandelt hat, sicherlich auch psychisch erkrankt war, aber dennoch eben ein klarer Rechtsterrorist war. Man will zu oft nicht verstehen, dass sich die Szene radikal verwandelt, dass politische, psychische Motive alle ineinander verschwimmen. Man muss also als Gesellschaft viel flexibler darauf reagieren, was rechten Terror eigentlich ausmacht und nicht nur die alten Maßstäbe anlegen.
Gibt es im öffentlichen Diskurs oder bei den Behörden blinde Flecken?
Es hat ja etwas gedauert, aber inzwischen zieht ja die Öffentlichkeit nach, es gab jüngst sehr viele Berichte über die sehr jungen Täter. Man hat also durchaus verstanden, dass eben auch 12, 13, 14-Jährige zu Terroristen werden können. Das ist etwas, was die Behörden schon sehr lange sehen – eben, weil sie einige Fälle sehr einfach enthüllen konnten, und das deswegen, weil sich diese sehr jungen Täter zum Glück nicht besonders gut im Internet tarnen, man kann sie also sehr leicht dort aufspüren. Das Problem, was die Behörden dennoch mit diesen Fällen haben, ist, dass sie es zum einen eben mit Minderjährigen zu tun haben, da hat man halt ein juristisches Problemen, und zum anderen gibt es einfach eine enorme Menge an jungen Menschen, die auf wahnsinnig vielen Plattformen ihren Hass ausleben und artikulieren. Hinzu kommen auch ältere Kandidaten. Und dann ist eben die riesige Herausforderung, dass man herausfinden muss, wer von denen, die so viel reden, macht ernst und wer nicht. Das war und ist im Islamismus genau so – das heißt, man hat es mit einem Massenproblem zu tun.
In einem Ihrer Interviews wird deutlich, dass manche Täter aus bürgerlichen Milieus stammen. Wie wichtig ist es, mit diesem Klischee des „sozial Benachteiligten“ zu brechen?
Die meisten Klischees, die man über den Hintergrund von Tätern hat, stimmten eigentlich noch nie. Das gilt sowohl für islamistische Täter als auch für rechtsextremistische Täter, zum Teil auch für linksextremistische Täter. Das heißt, es gibt nicht das eine Muster, das man angehen könnte. Man kann schon gar nicht davon ausgehen, dass soziale Gründe entscheidend sind. Im Gegenteil, man hat es sehr oft mit Menschen zu tun, die aus scheinbar stabilen Verhältnissen kommen, wo also soziale Gründe überhaupt nicht die Hauptrolle spielen. Im Endeffekt geht es immer darum, dass es Menschen in einer Krise sind und die suchen sich einen Mittel aus dieser Krise heraus und folgen schließlich diesem extremen Weg. Insofern sind individuelle Charakterzüge viel wichtiger als die soziale Herkunft. Das hätte man eigentlich schon sehr, sehr lange lernen können, aber es ist in der Tat so, dass man auch an dieser Stelle, immer wieder versucht, alte Muster zu finden, die eigentlich noch nie gestimmt haben.
«World White Hate» zeigt aber auch hoffnungsvolle Stimmen des Widerstands. Welche Initiativen oder Personen haben Sie besonders beeindruckt?
Was die Initiativen und Personen anbelangt, die sich eben gegen den Rechtsextremismus wehren, muss ich sagen, haben mich alle beeindruckt. Das ist wirklich so, weil jeder, der sich wehrt, hat Respekt verdient. Ganz oft ist es so, dass ja diese Menschen, die sich wehren, traumatisiert sind, weil sie eben einen Familienmitglied durch ein Attentat verloren haben oder ein Mitglied wurde schwer verletzt. Da gibt es Menschen, die sich eben ganz alleine gegen den Rechtsextremismus stellen, teilweise mit ganz kleinen Mitteln und letztendlich auch eine Rolle übernehmen, die eigentlich die Gesellschaft oder der Staat und seine Behörden in Gänze ausfüllen müssten. Aber wir sehen das jetzt ja auch gerade im Umgang mit der AfD, wie schwer sich die demokratische Gesellschaft tut, eine Linie zu finden und eine Linie zu halten und konsequent gemeinsam für bestimmte Werte zu kämpfen. Das bleibt vielmehr sehr oft an engagierten Einzelpersonen hängen. Sie alle sind bewundernswert, weil man ja auch in unserer Serie ganz deutlich spürt, wie schwer dieser Kampf ist und wie zermürbend. Diese Menschen müssen sehr oft eben auch Niederlagen verkraften.
Sie arbeiten investigativ und mit vielen internationalen Quellen. Wie gefährlich ist diese Arbeit für Sie persönlich – und was muss sich ändern, damit Journalismus in diesem Bereich sicherer wird?
Ich mache diese Arbeit schon sehr lange und natürlich gibt es ein gewisses Risiko, was sich allerdings tatsächlich geändert hat, ist die Arbeit in Deutschland. Das geht ja vielen anderen Kollegen auch so, wenn man also ganz konkret in Ostdeutschland auf Demonstration dreht, so wie wir das gemacht haben für diese Serie und so viele andere Kollegen das machen; dann wird man eben beleidigt und bedrängt. Teilweise steht die Drohung des körperlichen Angriffs im Raum. Die Polizei tut ja sehr wenig. Da werden auch wiederum Sachen, die eigentlich strafrechtlich nicht in Ordnung sind, also vor allem Beleidigungen, durchgelassen von der Polizei, weil man vielleicht die Situation nicht weiter aufheizen will. Und da ist einfach das Problem, dass auch die Solidarität seitens der Gesellschaft fehlt. Also dass wir akzeptiert haben, dass Journalisten, die eine klar definierte Rolle haben, zum Feindbild und angegriffen werden. Und trotzdem passiert nichts, es gibt keine messbare Reaktion. Das Gleiche gilt ja auch für kommunale Politiker und Politikerinnen, die im zunehmenden Maße bedroht werden. Auch da fehlt oft der Aufschrei und auch der Schutz und die Solidarität durch den Rest der Gesellschaft.
Vielen Dank für Ihre Arbeit!
«World Wide Hate» ist ab 8. Juli um 20.15 Uhr bei arte zu sehen. Die drei Teile sind auch in der arte-Mediathek abrufbar.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel