Interview

Sven Voss: ‚DNA-Abgleich ist natürlich der Gamechanger in der Verbrechensbekämpfung‘

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Im Juni moderiert Voss eine neue Staffel des «Aktenzeichen XY… ungelöst»-Ablegers «XY gelöst». Im Gespräch mit Quotenmeter erläuterte er die Arbeit vor Ort und wie Smartphones die Ermittlungen veränderten.

Herr Voss, «XY gelöst» beschäftigt sich mit Fällen, die durch akribische Ermittlungsarbeit aufgeklärt wurden. Was reizt Sie persönlich an dieser Form der journalistischen Kriminalaufarbeitung?
Auch in der neuen «XY gelöst»-Staffel geht es wieder um aufsehenerregende Verbrechen, die so komplex waren, dass die Aufklärung fast gescheitert wäre. Dass mir die Ermittler an den Original-Tatorten erzählen, wie sie diese Fälle doch noch lösen konnten, ist unglaublich spannend. Aber wir sprechen hier nicht von Superhelden, es geht auch um Fehler und Ungenauigkeiten bei den Ermittlungen.

Sie führen Gespräche mit Ermittlerinnen, Forensikern, Angehörigen und Opfern. Wie bereiten Sie sich emotional und journalistisch auf diese intensiven Begegnungen vor?
Für die ErmittlerInnen war es meist der Fall ihres Lebens. Da sind die Erinnerungen noch so präsent, als wäre es gestern gewesen. Das macht es auch für mich so emotional. Denn natürlich lassen mich die Verbrechen nicht kalt. Durch unsere Herangehensweise aus verschiedenen Blickwinkeln wird das Verbrechen dreidimensionaler und wir geben Antworten auf die Frage: „Warum tut jemand einem anderen Menschen das an?“

Im neuen Fall um die getötete junge Frau spielte ein DNA-Treffer auf einem Kaugummipapier eine zentrale Rolle. Welche Bedeutung hat forensische Technik heute im Vergleich zu früheren Ermittlungszeiten?
Der DNA-Abgleich ist natürlich der Gamechanger in der Verbrechensbekämpfung. Somit können auch uralte Cold Cases nochmal bearbeitet werden. Aber auch die Auswertung von Handydaten bringt Fortschritte. Heute hat jeder sein Smartphone dabei, das hinterlässt digitale Spuren und Zeugen filmen mit ihren Geräten vielleicht sogar, wenn ihnen etwas verdächtig vorkommt. Das können die Ermittler nutzen. Im Fall der getöteten jungen Frau in Niedersachsen hätte das Sammeln von Spuren nichts genutzt, wenn man nicht die richtigen Schlüsse daraus gezogen hätte.

Die Frage nach dem Umgang mit gefährlichen Tätern im offenen Vollzug stellt sich nach diesem Fall besonders drängend. Was haben Sie bei der Recherche über Lücken im System gelernt?
Der Einblick in die Kriminalpsychologie hat mir vor Augen geführt, wie manipulativ und irreführend menschliches Verhalten sein kann. Ein Gutachten und eine Wahrscheinlichkeits-Studie kann zu fatalen Fehleinschätzungen führen.

Der spektakuläre Banküberfall von 1995 mit Tunnelbau gehört zu den filmreifsten Kriminalfällen in Deutschland. Wie gelingt es Ihnen, zwischen Faszination für die Raffinesse und Sensibilität für die Opfer zu balancieren?
Ich gebe zu, dass ich bei der Recherche durchaus Bewunderung für die Kühnheit der Verbrecher hatte. Die gesamte Berliner Polizei an der Nase herumzuführen, das muss man sich erstmal ausdenken. Aber am Ende liegt mir viel an der Gerechtigkeit und der Überzeugung, dass das Gute stärker ist, als das Böse. Selbst wenn die Bankräuber niemanden direkt getötet haben, sie haben ihre Geiseln bedroht und sie glauben lassen, dass sie sterben werden. Da hört die Faszination auf!

Inwiefern hilft die Nachbetrachtung gelöster Fälle auch dabei, das Vertrauen der Bevölkerung in Polizei und Justiz zu stärken?
Das ist eine wichtige Motivation für «XY gelöst». Unsere Fälle zeigen, wie wichtig es ist, dass kluge ErmittlerInnen an Fällen dranbleiben und sich regelrecht daran festbeißen. Oft ist eine Soko schon aufgelöst, aber die Kommissare ermitteln weiter. Das macht am Ende die Opfer nicht mehr lebendig, aber für die Angehörigen ist die Aufklärung eines Falls und ein Abschluss des Leids unglaublich wichtig. Und ja – es ist auch eine vertrauensbildende Maßnahme, wie ich finde.

Viele Fälle spielen in der Vergangenheit – 1995, 2013. Was fasziniert Sie daran, zurückzublicken und diese alten Spuren neu zu verfolgen?
Es gibt so viele komplexe und spektakuläre Verbrechen aus der Vergangenheit. Faszinierend finde ich vor allem die, bei denen zwischen Verbrechen und Verhaftung viele Jahre vergangen sind. Wo hat die Polizei die Spur falsch gedeutet? Wie hat der Täter mit seiner Schuld leben können? Welche neuen Erkenntnisse tauchten plötzlich auf. Der Berliner Bankraub war mit der Entdeckung des Unterirdischen Tunnels längst noch nicht aufgeklärt...

Die Inszenierung der Fälle erfolgt teils mit Reenactments an Originalschauplätzen. Welche Rolle spielt Authentizität für das Erzählen dieser wahren Geschichten?
Wir sprechen von True Crime, da hilft natürlich jeder Bezug zur Realität. Nur als Beispiel. Wenn ich mit einem Ermittler an einem Fundort einer Leiche bin und er mir sagen kann: „Damals war hier noch keine stark befahrene Straße, deshalb konnte niemand die Leiche entdecken und die Tat blieb lange unbemerkt.“ dann ist das so banal wie einleuchtend. Ganz oft ergeben sich Fragen, wenn man erstmal am Ort des Geschehens ist. Außerdem lässt es meist die Erinnerungen der Ermittler sprudeln.

Beim Mord an der Buchhalterin war der Zeugenschutz entscheidend. Welche Einblicke konnten Sie über die Herausforderungen und Risiken von Zeugenschutzprogrammen gewinnen?
Zeugenschutz ist schon ein kniffliges Thema. Unser Experte hat mir nochmal erklärt, dass es sich bei Kronzeugen meist selber um Verbrecher handelt, die sich natürlich etwas davon versprechen, wenn sie einen Täter verpfeifen. In den seltensten Fällen handelt es sich um den netten Nachbarn von nebenan, der für die Staatsanwaltschaft so wichtig ist, dass man ihn in ein Zeugenschutzprogramm. Abgesehen davon ist das Ganze unglaublich teuer. Für die Beamten ist es meist ein Deal, den sie eingehen, und der muss sich lohnen.

Der Fall Jochen Strecker wirft ein Schlaglicht auf das Berliner Nachtleben der 80er – und endet tragisch. Wie gelingt es, in solchen Fällen ein sensibles Porträt zwischen öffentlicher Figur und privatem Schicksal zu zeichnen?
Das Tragische ist für mich bei diesem Fall vor allem, wie brutal das Vertrauen eines Menschen ausgenutzt wird, um ihn zu berauben und zu ermorden. Jochen Strecker machte auf mich trotz seines Glamours einen sehr einsamen Eindruck. Die Suche nach „Nähe“ würde ihm dann zum Verhängnis.

Viele Zuschauerinnen und Zuschauer schätzen Ihre ruhige, respektvolle Art der Moderation. Wie wichtig ist. Ihnen dieser Ton im Umgang mit realem Leid und tragischen Biografien?
Ehrlich gesagt, ist mein Ansatz bei «XY» kein anderer als bei Sportsendungen. Ich interessiere mich für Menschen und suche Antworten. Als Fragensteller habe ich es mit Menschen zu tun, die etwas erlebt haben und ich will daran teilhaben oder etwas über ihre Arbeit erfahren. Da gehört es sich einfach, ihnen respektvoll gegenüberzutreten. Aber es freut mich immer sehr, wenn Menschen mir sagen, dass ihnen meine Art gefällt.

Was wünschen Sie sich, dass die Zuschauer nach einer Folge «XY gelöst» mitnehmen? Dass der Rechtsstaat seine Opfer nicht vergisst?
Dass es sich lohnt, an Gerechtigkeit zu glauben und dafür zu kämpfen. Das sind wir den Opfern schuldig. Wenn die ZuschauerInnen das Vertrauen in die Polizei zurückgewinnen und erkennen, dass nicht immer alles so läuft wie im Krimi, haben wir unsere Arbeit gut gemacht. Ich würde mir wünschen, dass wir alle etwas aufmerksamer durchs Leben gehen und uns nicht egal ist, was um uns herum passiert. Klingt pathetisch, aber ein bisschen mehr Achtsamkeit würde uns allen guttun.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

Die neue Staffel von «XY gelöst» startet am 11. Juni 2025 im ZDF. Die vier neuen Fälle können seit 4. Juni im ZDF gestreamt werden.

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