Die Kritiker

«Preis der Freiheit»

von

Mit Barbara Auer, Nadja Uhl, Nicolette Krebitz, Joachim Król und vielen anderen großen Namen besetzt, erzählt der neue ZDF-Dreiteiler vom Siechtum der DDR-Endphase. Es entstand die beste deutsche Fiction zum Leben unter Hammer und Zirkel seit «Weissensee».

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Nadja Uhl als Lotte Bohla
Barbara Auer als Margot Spindler
Nicolette Krebitz als Ina Winter
Godehard Giese als Norbert Krimling
Oliver Masucci als Ilja Schneider
Angela Winkler als Else Bohla
Joachim Król als Paul Spindler
Janina Fautz als Christa Bohla
Aaron Hilmer als Roland Bohla
Michelangelo Fortuzzi als Ingo Bohla

Hinter der Kamera:
Produktion: Sperl Film- und Fernsehproduktion GmbH, W&B Television GmbH & Co. KG und Wilma Film
Drehbuch: Michael Klette, Charlotte Wetzel, Gabriela Sperl und Rolf Basedow
nach einer Idee von Gabriela Sperl
Regie: Michael Krummenacher
Kamera: Morten Søborg
Produzenten: Max Wiedemann, Quirin Berg und Gabriela Sperl
Unter den zahlreichen deutschen Produktionen über die Jahre der deutsch-deutschen Teilung und ihr Ende in Mauerfall und Wiedervereinigung ragen nur wenige in positiver Weise aus der Masse an Verarbeitungsstoffen heraus. Ihnen ist gemein, dass ihr Handlungsgerüst nicht allein vom Gang der (politischen) Ereignisse dominiert wird, dass sie über eine Ausstaffierung des archetypischen Ost- oder West-Lebens weit hinausgehen und ihren Figuren auch jenseits der Paraphrasierung historischer Fakten große Handlungs- und Haltungsräume eröffnen, anstatt sie in die gesellschaftlichen Schubladen ihrer Zeit zu sortieren: die überzeugte Sozialistin, der erbitterte Widerständler, die innere Emigrantin, der Westradiohörer, der Republikflüchtling, die Dissidentin.

Auch wenn das Figurenpersonal von «Preis der Freiheit» diesen Schubladen zumindest am Anfang mit recht großer Eindeutigkeit zugeordnet werden kann, verschiebt sich der angestammte Platz der jeweiligen Figur auf dem politisch-gesellschaftlichen Kontinuum dieser Zeit doch zusehends: Margot Spindler (Barbara Auer) ist in der DDR-Behörde zur „kommerziellen Koordinierung“ für die umfangreichen, größtenteils illegalen Geschäfte zuständig, mit der die bankrotte Republik an Devisen aus dem Westen kommen will. Ihre Schwester Lotta (Nadja Uhl) verkauft in ihrem Bücherladen derweil unter der Hand indizierte Klassenfeindliteratur und fühlt sich zunehmend zu Umwelt- und Bürgerrechtsbewegungen hingezogen. Die andere Schwester lebt mittlerweile seit vielen Jahren unter dem Namen Ina Winter (Nicolette Krebitz) im Westen und verhandelt als Beamtin im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen Margot und ihre Ost-Kollegen immer eklatanter an die Wand – bis die DDR schließlich kollabiert.

Doch bei diesen Abstrakta bleibt es nicht: Manche der Ausstaffierungen mögen dabei zu gewollt, beliebig und mitunter auf Skandal getrimmt sein (Margot wird uns vorgestellt, wie sie sich in der holzgetäfelten Amtsstube vom fürs Grobe zuständigen Kollegen die Klitoris stimulieren lässt), doch die meisten Charakterisierungen werden deutlich weitsichtiger und mit klugem Blick auf manch unangenehme politische Realität erzählt: Dass nicht alle Ostdissidenten, die in der DDR nur einen „roten Drecksstaat“ sehen konnten, aufrechte Demokraten waren, erkennen wir etwa an Lottas Sohn Ingo (Michelangelo Fortuzzi), der vom David-Bowie-Hörer zum Neonazi mutiert und schließlich „Juden raus aus deutschen Kirchen“ skandiert, bevor er auf die Teilnehmer einer Friedensversammlung einprügelt.

An Margots Verhältnis zu ihrem langjährigen Ehemann Paul Spindler (Joachim Król) wird gleichsam der Dualismus aus (anfangs) eiskalter True Believerin und dem Verfechter eines menschenfreundlichen, freiheitsverständigen Sozialisten deutlich, wobei sich letztere Beschreibung gleichsam als Oxymoron deuten lässt.

Währenddessen bedingt das Politische angenehm subtil das Persönliche: Jede Woche passieren zahlreiche Busse voller DDR-Bürger die Mauer und werden auf der anderen Seite von westdeutschen Bürokraten empfangen, die für ihre Freilassung Abermillionen aufgetrieben hatten: Die Schwestern Margot und Ina kommen beide ins Reflektieren. Und wenn Saddam Hussein mal das Erdöl als liquides Mittel ausgeht, trudeln bei der kommerziellen Koordinierung eben ein paar Kisten Datteln ein: Alltag im wirtschaftlichen Siechtum. Derweil wird jeder Versuch, das verknöcherte Politsystem sowie die im Kollaps befindliche Wirtschaft auch nur im Ansatz zielorientiert zu reformieren, von den ranghöchsten Bonzen als antisozialistische Blasphemie verworfen. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, gehen in Erichs Lampenladen die Lichter aus, lange bevor die Ostabgesandten einen westdeutschen Appetit auf eine Konföderation wecken konnten.

Angesichts dieses umfangreichen Wustes an Details versteigt sich «Preis der Freiheit» hin und wieder zu sehr in Nebenaspekten – und trotzdem versteht es dieser Dreiteiler, die verschiedensten intellektuellen und emotionalen Ebenen der abstrakten politischen Umstände, des spannungsgeladenen Agentenspiels und der psychologischen Analyse des alltäglichen Lebens in einer verfallenden sozialistischen Diktatur treffsicher und verständig miteinander zu verweben. Das letzte Format, dem Ähnliches mit vergleichbarem Nachdruck (allerdings größerer erzählerischer Formvollendung) gelang, war «Weissensee». «Preis der Freiheit» verdient ein ähnlich großes Publikum.

Das ZDF zeigt drei Teile von «Preis der Freiheit» täglich von Montag, den 4. November, bis Mittwoch, den 6. November, jeweils ab 20.15 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/113363
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