Die Kritiker

«Das deutsche Kind»

von

Nach dem Tod ihrer Mutter entbrennt um die kleine Pia ein Tauziehen zwischen ihren deutschen Großeltern und den türkischen Adoptiveltern. Ein Konflikt, der in der Stadt bald zum Politikum wird.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Murathan Muslu als Cem Balta
Neshe Demir als Sehra Balta
Katrin Sass als Christine Unger
Sue Moosbauer als Hanna Balta
Malina Harbort als Pia Unger
Lutz Blochberger als Theodor Unger
Petra Schmidt-Schaller als Natalie Unger

Hinter der Kamera:
Produktion: Banana Tree Film GmbH
Drehbuch: Paul Salisbury
Regie: Umut Dag
Kamera: Andreas Thalhammer und XiaoSu Han
Produzenten: Ulrich Stiehm und Miriam Klein
Die alleinerziehende Mutter Natalie (Petra Schmidt-Schaller) ist eng mit ihren Nachbarn Sehra (Neshe Demir) und Cem Balta (Murathan Muslu) befreundet. Zusammen mit ihrer kleinen Tochter Pia (Malina Harbort) gehört sie gewissermaßen zur türkischen Familie von gegenüber dazu. Für den Fall, dass ihr etwas zustoßen sollte, hat sie vorgesorgt: Ohne dass Sehra und Cem davon wissen, sollen sie im Fall der Fälle das Sorgerecht für Pia erhalten.

Leider tritt der undenkbare Fall ein. Auf dem Rückweg von einem Date (währenddessen ihre treusorgenden befreundeten Nachbarn auf ihre Tochter aufpassten), verunglückt Natalie tödlich mit dem Fahrrad. Sehra und Cem stehen nun vor der schwierigen Frage, ob sie das Vertrauen der Freundin annehmen und deren Tochter in ihre Obhut nehmen sollen. Während für Sehra die Entscheidung von Anfang an feststeht, das ohnehin geliebte Kind in den Kreis der Familie aufzunehmen, zögert Cem zunächst – vermutlich, weil er ahnt, welche Konsequenzen das nach sich ziehen könnte – bevor er seine Frau schließlich in ihrer Entscheidung bestätigt.

Das führt zu einem Konflikt mit Pias Großeltern, die das Kind nach dem tragischen Tod ihrer Tochter wie selbstverständlich zu sich nehmen wollten. Doch das Verhältnis war zerrüttet gewesen und wie ihre Mutter hatte auch Pia jahrelang keinen Kontakt zu ihnen. Noch ein Grund, warum die Baltas dem Kind ein besseres Zuhause geben können: Denn der Kontaktabbruch wird seine Gründe gehabt haben.

Bald entbrennt also ein Sorgerechtsstreit, der freilich – wie die gesamte Konfrontation zwischen den deutschen Großeltern und den türkischen Adoptiveltern – exemplarisch für das Aufeinandertreffen der Kulturen stehen soll, für allerhand Konflikte, Vorurteile und Befindlichkeiten. Die sind in der Realität freilich vielschichtig und von den verschiedensten Motiven und Sichtweisen geprägt: traditionellen, kulturellen, rechtskonservativen, und schließlich auch: rassischen und kulturchauvinistischen.

«Das deutsche Kind» muss sich jedoch wegen seines konkreten Falls auf ein sehr starres Szenario beschränken, das den Blick weit enger stellt, als dass dieser Film sein unterschwelliges thematisches Ziel erreichen könnte, nämlich: einen kohärenten Beitrag zur allgemeinen Debatte zu leisten, die gerade im unnötig pauschalisierten Streit anhand der populistischen und im Kern unsinnigen Frage neu entfacht ist, ob der Islam zu Deutschland gehöre.

Der Film bemüht sich immer wieder, seinen thematischen Konflikt mit weiteren Blickwinkeln anzureichern, um möglichst alle gesellschaftlichen Stimmen (außer die abartigsten) abzubilden: Der liberale Imam Cem will mit seiner Gemeinde eine neue Moschee bauen; doch in der (deutschen) Bevölkerung regt sich Widerstand. Zum Missfallen seines Schwiegervaters spricht Cem bei seinen Predigten in der Moschee auch Deutsch und hält sie liberaler, als das dem älteren Herrn gefällt. Und als Pias Großeltern das Mädchen christlich taufen lassen, steht dies freilich im krassen Widerspruch zu den Vorstellungen der Baltas, das Kind offen für alle Religionen zu halten, damit es einmal selbst entscheiden kann.

Im Bemühen, möglichst viele Stimmen zu Wort kommen zu lassen, legt dieser Film aber den Grundstein für sein Scheitern: Denn dieser thematische Rundumschlag verströmt nicht nur den Geist des sturen Abhakens und nicht den einer einnehmenden, faszinierenden Narrative, sondern zwingt gleichzeitig zu einer erzählerischen Oberflächlichkeit, die bei einer klareren Sondierung des Themengeflechts und mehr Mut zu einer klaren Fokussierung auf die bedeutsamsten Aspekte vermeidbar gewesen wäre. Verstärkt wird dieser Eindruck noch dadurch, dass sich der Film immer wieder mit Nebensächlichkeiten aufhält und die eher zwischenmenschliche, interkulturelle Geschichte stellenweise als primär juristische erzählt: Thema und Inhalt, die Erzählung und der Kern des Stoffes passen nicht zueinander. In den misslungeneren Momenten führt das leider gar zu einer gewissen Karikaturhaftigkeit.

Schon der Titel gibt unangenehm prätentiös eine Marschrichtung vor, die eigentlich genau die falsche ist, und die sich die Sicht derer zu Eigen macht, die dieser Film eines Besseren belehren will. Denn Pia ist nicht in erster Linie ein „deutsches Kind“; ihre Nationalität ist ein weitgehend unbedeutendes Attribut. Der Kampf, der um sie ausgefochten wird, ist allegorisch der Kampf von sich unnötig marginalisiert fühlenden Traditionalisten, die schließlich in der (christlichen) Religiosität ein weiteres Mittel finden, um ihren Anspruch auf Pia zu markieren, und auf der anderen Seite von bestens ins westliche Leben integrierten, gesetzestreuen, weltoffenen und liebenswerten Menschen, denen beim geringsten Anlass mit Bösartigkeit und Ausgrenzung begegnet wird.

Am Schluss geht dann alles viel zu schnell und ein beide Seiten – die Großeltern wie die Adoptiveltern – gleichermaßen betreffendes schwieriges Ereignis reicht, um den interkulturellen Streit weitgehend beizulegen. Das mag ein an sich schöner Gedanke sein, doch er greift freilich viel zu kurz und lässt vielmehr ein letztes Mal an der Ernsthaftigkeit zweifeln, mit der dieser Film die im Kern relevanten und vorhandenen Probleme bespricht, derer er sich thematisch verschrieben hat. Bei «Das deutsche Kind» ist dieser Umstand besonders bedauerlich – denn mit seiner eher emotionalen als intellektuellen Stoßrichtung hätte er den richtigen Zugangspunkt gewählt, um eine breite, sinnvolle Wirkung bei seinen Zuschauern entfalten zu können.

Das Erste zeigt «Das deutsche Kind» am Mittwoch, den 2. April um 20.15 Uhr.

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