Die Kino-Kritiker

Marvels bombastischer Politthriller: «The Return of the First Avenger»

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Spannend, durchdacht und so rau, wie Marvel bislang nie war: Mit «The Return of the First Avenger» sorgt Supersoldat Steve Rogers für packendes Blockbuster-Kino der obersten Güteklasse.

Ein legendärer Comic-Auftritt

Mit 317.713 verkauften Kopien ist die im März 2007 erschienene Ausgabe «Captain America #25» einer der fünf am meisten verkauften Comics der vergangenen zehn Jahre. Zudem zählt das Heft zu den Meilensteinen der Marvel-Geschichte: Steve Rogers erlebt darin die bitteren Konsequenzen seiner größten Schlacht ...
Captain America ist, wie es so schön heißt, ein „tough sell“. Das ist zwar bei einem Superhelden, dessen Comichefte bislang weit mehr als 200 Millionen Mal verkauft wurden, schwer zu glauben, nicht zuletzt auch, weil er die Hauptfigur eines der erfolgreichsten Comics der jüngsten Vergangenheit ist (siehe Infobox). Trotzdem schlägt sich Supersoldat Steve Rogers auf der großen Leinwand längst nicht so gut wie seine Avengers-Kollegen: Mit 176,65 Millionen Dollar schnitt «Captain America: The First Avenger» trotz eines ansehnlichen Einspiels an den US-Kassen schlechter ab als beide «Thor»-Teile oder alle drei «Iron Man»-Abenteuer. Und in Deutschland reichte es 2011 gerade einmal für 339.797 Kinogänger, während «Thor» im selben Jahr über 1,1 Millionen Menschen in die Lichtspielhäuser lockte. Zumindest das schwache Abschneiden in hiesigen Gefilden überrascht dabei nur wenig: Seit jeher findet der in den Farben der US-Flagge gekleidete Superheld auch in Comic-Form nur wenig Anklang beim deutschen Publikum. Eine naheliegende Theorie dafür sind hartnäckige Vorurteile gegenüber dieser Marvel-Figur: Während des Zweiten Weltkrieges als bewusst patriotisches Propagandamittel erschaffen, wird Captain America diesen Ruf (wohl auch aufgrund seines Namens) bis heute nicht vollauf los. Dabei wird der Taktiker unter den Avengers bereits seit den frühen 70er-Jahren regelmäßig als Hauptfigur in gesellschafts- und politkritischen Geschichten verwendet, in denen Steve Rogers mehrmals bewies, alles andere als ein autoritätsgefügiger Patriot zu sein.

Weil sich die US-kritische Seite von Captain America trotz zahlreicher von Comickennern gefeierten Handlungsbögen nicht beim breiten Publikum herumsprach und «Captain America: The First Avenger» an den deutschen Kinokassen unterging, ist es dennoch verständlich, dass die Fortsetzung hierzulande einen Alternativtitel verpasst bekam. Um die negativen Assoziationen zu übertönen und die Verbindung zum populären Superheldenspektakel «Marvel's The Avengers» zu unterstreichen, wurde für den deutschen Markt aus «Captain America: The Winter Soldier» der weniger patriotisch klingende «The Return of the First Avenger». Sollte diese Umbenennung Leute ins Kino locken, die sich sonst den Filmen des Supersoldaten verwehren würden, so erwartet diese Zweifler eine gewaltige Überraschung. Denn hinter diesem verklausulierten Titel versteckt sich der intelligenteste, rauste und erstaunlichste Film der Marvel-Geschichte.

Konsequenterweise ist «The Return of the First Avenger» auch einer der unvorhersagbarsten Filme innerhalb des «Avengers»-Kanons, und sogar Kinogängern, die sämtliche Trailer gesehen haben, bietet der zweite Solofilm von Captain America einige überraschende Wendungen. Daher sei an dieser Stelle auch lediglich die Oberfläche des fesselnden Plots angerissen: Rund zwei Jahre nach den in «Marvel's The Avengers» geschilderten Ereignissen hat sich Steve Rogers alias Captain America (Chris Evans) erfolgreich ein neues Leben als Spitzenagent für die Geheimorganisation S.H.I.E.L.D. aufgebaut. Zwar muss sich das Relikt einer anderen Zeit weiterhin an einige Aspekte der heutigen Welt gewöhnen, aber Rogers hält sich dabei recht wacker. Am wohlsten fühlt er sich dennoch im Einsatz – und so nimmt er freudig eine neue Mission an: Zusammen mit der undurchschaubaren, sich aber charmant um ihren Kollegen kümmernden Black Widow (Scarlett Johansson) soll er eine Geiselnahme auf hoher See klären. Während dieses Einsatzes bemerkt Rogers allerdings, dass er weder von Black Widow noch von seinem Vorgesetzten Nick Fury (Samuel L. Jackson) oder von Einsatzleiter Alexander Pierce (Robert Redford) sämtliche relevante Informationen erhält. So schürt sich für Captain America der Verdacht, dass S.H.I.E.L.D. ein falsches Spiel spielt. Es gilt, ein brandgefährliches Komplott aufzudecken …

War Joe Johnstons in stilisierten Comicfarben getauchter «Captain America: The First Avenger» ein spaßiger, von nahezu jeglicher Realität losgelöster Action-Abenteuerfilm im augenzwinkernden Stil eines «Indiana Jones und der letzte Kreuzzug», vollführen die Regisseure Anthony & Joe Russo mit «The Return of the First Avenger» eine tonale wie visuelle Kehrtwende. Nicht nur für Captain America, sondern für das gesamte Marvel-Kinouniversum: Nach dem mit flotten Sprüchen gespickten «Iron Man 3», in dem Tony Stark einige unterhaltsame Schwierigkeiten mit seinen technischen Spielereien zu durchleiden hatte, und im Anschluss an das pointierte Geschwister-Gezanke sowie dem fantasiereich verspielten Finale von «Thor – The Dark Kingdom» kommt dieser Marvel-Film wesentlich seriöser daher.

Die Vermengung einer Superheldenthematik und dem dazugehörigen Action-Pomp mit glaubwürdigen Technologien sowie Bezügen zu realen politischen Themen erinnert eher an die «The Dark Knight»-Trilogie von Christopher Nolan. So greift das Drehbuch aus der Feder von Christopher Markus und Stephen McFeely Abhörskandale und den seit dem 11. September 2001 ausufernde Maße annehmenden Kampf der USA gegen den Terror auf und schafft so für den hehren, kritisch denkenden Protagonisten sowie den Zuschauer ein konstantes Gefühl der Paranoia.

Das Misstrauen, das in S.H.I.E.L.D. (beziehungsweise die realen Äquivalente dieses Geheimdienstes) geschürt wird, lässt «The Return of the First Avenger» über Vergleiche mit «The Dark Knight» sogar hinauswachsen und rückt diesen Politthriller im Superheldengewand in die Nähe klassischer Verschwörungsthriller der 70er-Jahre. Wie diverse Kinohelden jener Zeit wird Steve Rogers von seinem mächtigen Arbeitgeber verfolgt, muss mit Verbündeten untertauchen und aus der Verdeckung heraus sämtliche Beweise für die Vergehen seiner vermeintlich Gleichgesinnten finden. Die Nähe zu Filmen wie «Zeuge einer Verschwörung», «Die drei Tage des Condor» und «Die Unbestechlichen» wird nicht bloß durch die prächtigen Aufnahmen Washington D.C.s und die Besetzung Robert Redfords (der in den beiden letztgenannten Filmen zu sehen ist) unterstrichen, sondern auch durch die Erzählweise dieses Blockbusters. Als Plotmotor fungieren sich langsam lichtende Verschwörungen, die moralische Ambivalenz zentraler Figuren, schockierende Enthüllungen und die stete Bedrohung, dass die Helden auf ihrer Flucht geschnappt werden. Das Tempo ist somit konstant hoch, nie aber hektisch, da sich die Filmemacher durchgehend genügend Zeit nehmen, die interessanten Wenden zu ergründen. Im Zusammenspiel mit den erstaunlichen Actioneinlagen ergibt dieses Story-Grundgerüst hervorragende Popcorn-Unterhaltung.

Da es sich bei den Protagonisten um Superhelden und bei den Schurken um fähige Strippenzieher mit Zugang zu leicht futuristischer Waffentechnologie handelt, äußern sich die Verfolgungsjagden und direkten Konfrontationen zwischen Gut und Böse jedoch mit größerem Bombast als bei den Inspirationen zu «The Return of the First Avenger». Getreu der zentralen Handlung gibt es jedoch keine im Retro-Abenteuerfilm-Stil gehaltenen Kämpfe wie zuvor in «Captain America: The First Avenger», noch solch eine launige Action-Achterbahnfahrt wie in «Marvel's The Avengers». Stattdessen präsentieren die Russo-Brüder dem Publikum ein einzigartiges, so im Superheldenkino noch nie dagewesenes Seherlebnis: Gleich die erste Mission Steve Rogers' verfolgt mit dynamischer Kamera und in raschen Schnitten harte Mann-gegen-Mann-Kämpfe vor realistischer Kulisse. Diese haben die Kraft und Größe, die einem Superheldenfilm gebühren, verlieren dennoch nicht ihren Wirklichkeitsbezug. Wenn im weiteren Verlauf dank der Technologien der Schurken die Bandbreite der Actionsequenzen immer fulminanter werden und Captain America unter anderem von Jets verfolgt wird, so bleiben die kernigen, rauen Szenen im Vergleich zu anderen Superheldenfilmen im Bereich des Wirklichen. Niemand schleudert Blitze und es gibt keine Roboteranzüge, dafür werden die Helden in harte Messerkämpfe verwickelt, sowie in mit Sinn für Suspense gefilmte Showdowns mit Schusswaffen und es gilt auch, überdimensionale Fluggerätschaften zu entwaffnen.

Unterm Strich wirken die Actionszenen mit ihrem kernigen Pseudorealismus, ihrer schneidenden, unheilvollen Stimmung, ihren leichtfüßigen Einfällen und der alles zusammenhaltenden, technisch umwerfenden Pracht wie das Kind eines passionierten Kino-Experiments: Zu gleichen Teilen zusammengesetzt aus der düster-glaubwürdigen «The Dark Knight»-Trilogie, den megalomanischen 90er-Produktionen Jerry Bruckheimers wie «The Rock» oder «Der Staatsfeind Nr. 1», aus dem fantasievollen Marvel-Kinouniversum und aus Paul Greengrass' das Publikum mittendrin ins Geschehen versetzenden Filmen «Die Bourne Verschwörung» oder «Captain Phillips». Was wie eine grausige Frankenstein-Kreation hätte enden können, stolziert dank des raffinierten Skripts, der zielstrebigen Inszenierung und den versierten Performances stattdessen als ein atemberaubendes Kinoerlebnis auf die Leinwand.

Darstellerisch mag «The Return of the First Avenger» zwar thematisch bedingt ein scharf umrissener, denkwürdiger Haupt-Antagonist fehlen, doch dies ist zu verschmerzen. Schließlich geht es um eine weit verzweigte Bedrohung und nicht um einen überlebensgroßen, einzelnen Schurken. Deshalb würde eine so furchteinflößende Leistung wie die von Heath Ledger in «The Dark Knight» oder (um bei Marvel zu bleiben) so ein amüsiert mit seinem inneren Schalk kokettierender Bösewicht wie Tom Hiddlestons Loki nicht zum Film passen. Trotzdem ist «The Return of the First Avenger» schauspielerisch die facettenreichste der bisherigen Marvel-Produktionen.

Chris Evans überzeugt mit der emotional vielfältigsten Darbietung, die eines der Avengers-Mitglieder bislang abliefern durfte: Er zeichnet Captain America als moralisch integren, schweres Misstrauen hegenden Helden, der in seinem Umfeld nur wenig Halt erhält und sein Saubermannimage nicht zu seinem Nachteil gereichen lassen will. Darüber hinaus kommt es zu wohlig-sentimentalen wie auch ambivalenten Begegnungen mit Steve Rogers' Vergangenheit, die Evans die Gelegenheit geben, seinen Helden von der emotionaleren Seite zu zeigen. Scarlett Johansson darf ebenfalls ihre bislang zwar coole und attraktive, gleichwohl etwas einseitige Rolle der Black Widow weiterentwickeln und erweist eine hervorragende Leinwandchemie mit Chris Evans. Die kesse Agentin begleitet Captain America mit gut gemeinten Ratschlägen, frechen Seitenhieben und fundierten Einwänden durch sein Abenteuer und sorgt mit ihren komplizierten Moralvorstellungen und feisten Kampftechniken (die ihrer mangels Superfähigkeiten verletzlicheren Körperlichkeit gegenüberstehen) für zusätzliche Würze. Anthony Mackie ergänzt dieses Duo als charakterlich bodenständiger, wenngleich ungeheuerlich mutiger Soldat Sam Wilson, der einige der findigsten Actionmomente und besten Gags des Films für sich verbucht. Darüber hinaus darf Samuel L. Jackson als Nick Fury endlich in einer fesselnden Actionszene mitwirken und zuvor sowohl zeigen, wie einschüchternd seine S.H.I.E.L.D.-Größe sein kann, als auch ruhigere, zwischenmenschlichere Töne anstimmen. Robert Redford wiederum verleiht seiner Rolle, die andere Darsteller gewiss zu eintönig angelegt hätten, allein schon durch seine Präsenz eine nicht zu verachtende Schwere – und dennoch ist dem Leinwandveteranen eine lebhafte Freude anzumerken, in einem Marvel-Blockbuster mitwirken zu können, was in den raren starren, rein der Erklärung der Handlung dienenden Szenen dieses Films von Vorteil ist.

Der im US-Originaltitel erwähnte Winter Soldier schlussendlich geht in dem die Manifesten des Marvel-Kinouniversums erschütternden Paranoia-Actionthriller fast schon unter. Als kraftvoller, maskierter Auftragskiller mit superschnellen Reflexen und einem Metallarm kann er immerhin dem dank eines Serums bis ans Äußerste der menschlichen Leistungsfähigkeit getriebenen Steve Rogers im direkten Duell Paroli bieten und sein Hintergrund wird bestürzend aufbereitet. Trotzdem hätte die angerissene emotionale Tiefe dieser Figur gern ausführlicher beleuchtet werden dürfen.

Dafür findet «The Return of the First Avenger» in Sachen Humor genau das richtige Maß: Angesichts seiner übermächtigen Bedrohung und seiner weniger schillernden, eher durch Bodenhaftung bestechenden Figuren wäre hier kein Platz für ein Feuerwerk an markigen Sprüchen wie in «Marvel's The Avengers». Die gut dosierten, spitzfindigen Dialogwechsel, die sich trotzdem ereignen, sitzen allerdings allesamt und auch Steve Rogers' Versuche, sich ans Heute anzupassen sowie Black Widows Geplänkel mit Captain America lockern das Geschehen angemessen auf. Musikalisch wiederum reicht «The Return of the First Avenger» nicht an die Energie und thematische Dichte von Captain Americas erstem Kinoeinsatz heran. Dessen ungeachtet untermalt Komponist Henry Jackman diese 170-Millionen-Dollar-Produktion mit einem effektiven, atmosphärischen Score, der wild symphonische Klänge mit finsteren, abgehackten Elektrosounds zu einer kohärenten, kraftvollen Einheit vermischt, die sehr gut zu den Bildwelten dieses genialen Superheldenthrillers passt. Auch das 3D fügt sich mit gestochen scharfen Effekten und einer starken Raumwirkung formidabel ins Gesamtbild und legt die Messlatte für kommende Marvel-Produktionen um ein Vielfaches höher.

Fazit: Captain America ist zurück – und übertrifft sie alle! Mit einem rauen, aufregenden und cleveren Action-Meisterwerk lenkt «The Return of the First Avenger» das Marvel-Universum in eine neue, packende Richtung und krönt Supersoldat Steve Rogers zum neuen Meister im «Avengers»-Kader.

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