Vor Ort

Eine Halskette und die Weisheit von Jan Böhmermann und Olli Schulz

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TV-Duell 2013: Quotenmeter.de-Redakteur Christian Richter berichtet über die Reaktionen vor Ort und erklärt, wieso Angela Merkel für den größten Lacher sorgte.

Peer Steinbrück trägt einen roten Ganzkörperanzug aus Ballonseide mit passenden Moccasins in Regenbogenfarben und einem hautengen Tanktop mit der Aufschrift „Bitch“ aus der Sylvie-van-der-Vaart-Kollektion, während Angela Merkel einen violetten Neopren-Blazer aus dem Hause Jack Wolfskin und einen knielangen Bastrock aus der 2013er Herbstkollektion von Galliano mit goldenen Buffalo-Retro-Plateau-Schuhe von Goertz17 und dem Original Udo-Lindenberg-Hut aus dem Musical «Hinter dem Horizont» kombiniert.
Jan Böhmermann und Olli Schulz in «Sanft & Sorgfältig»
Auf dieses Aufeinandertreffen haben sich die Fans sichtlich gefreut, denn Entertainer Jan Böhmermann und Musiker Olli Schulz, die an diesem Sonntag auf dem Fest eines örtlichen Radiosenders ihre anarchische Show unter freiem Himmel austrugen, wurden vom Publikum begeistert empfangen. Darin sprachen die beiden auch über das noch am selben Abend nur wenige Kilometer entfernt anstehende «TV-Duell». Diese Aktion wäre nicht berichtenswert, wenn die beiden nicht prophezeit hätten, dass an diesem Abend weder die Inhalte der beiden Politiker noch ihre rhetorischen Fähigkeiten entscheidend sein werden, als vielmehr ihr Outfit. Entsprechend mutmaßten sie, in welcher Kleidung die Kontrahenten vor die Kameras treten werden (s. Infobox). Was nachmittags noch als Satire gemeint war, wurde im Laufe des Abends skurrile Realität, denn tatsächlich sorgte mit Merkels Halskette in den Deutschlandfarben ein Modeaccessoire für den meisten Gesprächstoff vor Ort.

Davon war rund eine Stunde vor dem «TV-Duell» zwischen der amtierenden Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem Herausforderer Peer Steinbrück noch nichts zu erahnen. Wie schon in den Jahren zuvor wurde dieses in Berlin-Adlershof abgehalten und damit in einem abseitsgelegenen Stadtteil, der nicht von Wohnraum, sondern hauptsächlich von einem riesigen Forschungs- und Wissenschaftskomplex sowie den betreffenden Fernsehstudios geprägt ist. Entsprechend menschenleer waren die umliegenden Straßen an diesem Sonntagabend. Daher schienen die obligatorischen Straßensperrungen um den Austragungsort übertrieben zu sein, verliehen dem anstehenden Ereignis aber eine gewisse Dramatik. Schon beim Anblick dieses scheinbar ausgestorbenen Stadtviertels drängte sich die Frage auf, wieso ein Duell, bei dem fortwährend seine Wichtigkeit für die Wähler und die Demokratie betont wurde, derart fernab von der Bevölkerung abgehalten wird.



Für etwas Leben sorgte lediglich eine Gruppe von rund einhundert CDU-Anhängern, die sich mit orangefarbenen „Angie“-Plakaten (sicher nicht zufällig) strategisch günstig vor dem Studioeingang platziert hatten und Peer Steinbrück bei seiner Ankunft lautstark auspfiffen. Als wenig später Angela Merkel eintraf, wurde sie erwartungsgemäß mit lautem Jubel empfangen. Zwar sorgte diese Maßnahme für einen telegeneren Auftritt, doch hatten sich mit ihr die emotionalen Höhepunkte an diesem Abend bereits erschöpft. Das lag nicht zuletzt daran, dass dieser Auftritt im Inneren des Pressezentrums weitestgehend unbeachtet blieb.

Die zahlreichen geladenen Journalisten, Politiker und Parteianhänger waren zu jener Zeit nämlich bereits in einer schwarzabgehangenen Halle versammelt und mit sich selbst beschäftigt. Die allgemeine Stimmung bestach auch eine halbe Stunde vor dem Beginn der Übertragung eher durch Routine und Entspannung als durch Aufregung und Vorfreude. Immerhin wurde das Duell bereits zum vierten Mal ausgetragen und niemand der Anwesenden erwartete besondere Vorkommnisse. Daher sprach man über Alltägliches, tauschte Kontaktdaten aus und übermittelte gegenseitige Grüße. Daran vermochte auch ein neuer, kleiner Bildschirm nichts ändern, auf dem nun ein Counter über die Anzahl der abgesetzten Tweets zum Duell informierte. ‚Alles wie bisher’ lautete offenbar die Devise. Nur die Currywurst wurde diesmal nicht von einem Catering-Service auf Porzellan-Schalen serviert, sondern von einer echten Berliner Bedienung aus einem Wagen von Curry ’36, dem bekanntesten Imbiss Berlins, gereicht.

Bald hatten sich im Pressezentrum zwei große Lager gebildet, in denen sich die Anhänger der beiden Parteien gruppierten. Mit Wolfgang Schäuble, Ursula von der Leyen, Peter Altmaier, Julia Klöckner, Ronald Pofalla und Herrmann Gröhe war unter den CDU-Anhängern die erste Riege der Partei fast vollständig angetreten. Durch Alexander Dobrindt und Patrick Döring gesellten sich zudem die Generalsekretäre der Schwester- und Koalitionsparteien CSU und FDP dazu, während in der SPD-Ecke im Grunde nur Andrea Nahles und Hubertus Heil prominente Amtsinhaber waren.

Um die Berufspolitiker scharrten sich in beiden Lagern zahlreiche prominente Anhänger, die auf diese Weise eine öffentliche Zustimmung demonstrierten. So wurde die CDU von der Schauspielerin Uschi Glas, dem ehemaligen Tennisspieler Michael Stich und der DJane Marusha unterstützt. Die SPD konnte sich hingegen über das offene Bekenntnis von Komiker Ingo Appelt, den Moderatoren Mo Asumang und Peter Illmann sowie der Musikerin Annette Humpe freuen. Mit den Schauspielern Ursula Monn und Hans-Werner Meyer, dem Sänger Sebastian Krumbiegel sowie Moderator Klaas Heufer-Umlauf waren sogar vier Gesichter unter ihnen, welche der SPD auch schon beim Duell vor vier Jahren zur Seite standen. Bei der CDU waren hingegen keine prominenten Wiederholungstäter zu entdecken.

"ProSieben wollte mit der Nominierung von Stefan Raab junge Wähler für Politik begeistern. Die Steigerung der Reichweite von mehr als 20 Prozent bei den jungen Zuschauern und das Feedback - auch via Social Media - zeigen, dass uns das mehr als gelungen ist. Ich möchte mich herzlich bei Stefan Raab bedanken, dass er diese verantwortungsvolle Aufgabe brillant gelöst hat."
ProSieben-Geschäftsführer Wolfgang Link
Während des Duells, das auf zwei Großbildleinwänden ins Zentrum übertragen wurde, waren die vorherigen Gespräche weitestgehend eingestellt und die Anwesenden folgten aufmerksam der Sendung. Sicher auch, um zu sehen, wie sich Stefan Raab schlagen wird. Auch wenn dieser bereits im Vorfeld verlauten ließ, sich benehmen und keinen Skandal provozieren zu wollen, war er doch die einzige Unbekannte in diesem Jahr und sorgte in der altbekannten Veranstaltung für etwas Abwechslungspotential. Entsprechend positiv wurden seine Fragen aufgenommen und zustimmend bewertet. Von der ersten Minute an belohnte die SPD-Ecke im Pressezentrum die Äußerungen von Peer Steinbrück mit lautem Applaus. Gut kamen dort aber auch die kritischen Nachfragen von Anne Will an Angela Merkel an. Die anwesenden CDU-Anhänger waren während des Duells hingegen kaum zu hören.

Von all dem bekamen Angela Merkel und Peer Steinbrück derweil nichts mit, denn sie duellierten sich in einem abgeschotteten Nachbarstudio lediglich in Anwesenheit der vier Moderatoren und einer Handvoll Techniker. Eine vielzitierte volksnahe Politik, transparente Entscheidungen und eine Beachtung des Wahlvolkes ließe sich sicherlich besser verdeutlichen als mit einer sterilen, fensterlosen, von der Außenwelt abgeschlossenen, menschenleeren Kulisse.

Schnell zeigte sich dann auch die zweite große Schwäche des Formats, denn über eine Laufzeit von 90 Minuten wurde den Zuschauern abgesehen von sechs pausenlos sprechenden Gesichtern in starren Kameraeinstellungen erneut wenig visuell Reizvolles geboten. Weder Einspielfilme, Werbepausen oder wenigstens ein interessant gestalteter Hintergrund ließen ein kurzes Verschnaufen vom politischen Dauerfeuer zu. Sicher ist die Konzentration der Zuschauer dadurch auf die Kandidaten und ihre Worte fixiert, doch wer kann seine Aufmerksamkeit ernsthaft über 90 Minuten aufrecht halten? Es ist daher wenig verwunderlich, dass die Halskette von Angela Merkel, die aus der eintönigen Kulisse dankenswerter Weise herausstach, so viel Beachtung finden konnte, denn die Visualität und Medialität des Fernsehens wurde einmal mehr kaum ausgenutzt.

Dieses grundsätzliche Manko zeigte sich schließlich auch bei den jubelnden SPD-Anhängern im Pressezentrum, die nach etwa einer Dreiviertelstunde merkbare Ermüdungen zeigten und weit weniger häufig applaudierten. Daher dümpelte die Veranstaltung ab der Hälfte nur noch vor sich hin und die Blicke auf die Uhren häuften sich merklich. Wach wurden die Zuschauer vor Ort erst wieder gegen Ende des Duells als Stefan Raab versuchte, Peer Steinbrück zu seiner Rolle in einer eventuellen großen Koalition zu befragen. Dieser Schlagabtausch zwischen Moderator und Kandidat sowie insbesondere Raabs fast schon legendärer „King of Kotlett“-Spruch wurde vor Ort daher umso freudiger bejubelt.

Als dann Angela Merkel ihre Schlussworte sprach, taute auch die CDU-Ecke im Pressezentrum auf und klatschte ihr zu. Der Applaus wurde allerdings schnell wieder vom allgemeinen Gelächter verschluckt, als die „Mutti der Nation“ zum Abschluss allen Fernsehzuschauern einen schönen Abend wünschte. Damit ist ihr etwas gelungen, womit zuvor wohl niemand gerechnet hatte. Nicht Stefan Raab sorgte unter den Anwesenden an diesem Abend für den größten Lacher, sondern ausgerechnet Angela Merkel.

Am Ende bleibt der Eindruck zurück, dass dieser medial aufgeputschte Schlagabtausch wenig neues weder zum Medium Fernsehen noch zu den politischen Diskussionen beitragen konnte. Er scheint längst zu einer Pflichtübung geworden zu sein, zu der alle Beteiligten brav erscheinen. So störte sich auch kaum noch jemand daran, dass ein Zwei-Personen-Duell in einem Mehrparteiensystem äußerst fragwürdig bleibt. Es war am Ende äußerst entlarvend, dass der schnell angelegte Twitter-Account für Merkels Halskette innerhalb weniger Stunden bereits über 5.000 Follower zählte. Damit sollten Olli Schulz und Jan Böhmermann letztlich mit ihrer satirischen Voraussage Recht behalten. Aber was sagt dies über Inhalt und Zweck des großen «TV-Duells» aus?

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