1 Stunde Wahnsinn

«1 Stunde Wahnsinn»: Fußballhymnen und Schweinefett

von
Daniel Deitermann hat am Mittwochmittag ferngesehen. Seine Eindrücke aus der 13.00 Uhr-Stunde schildert er hier.



Der erste «Eine Stunde Wahnsinn»-Selbstversuch steht für mich an. Das Programm der 13.00 Uhr-Schiene kenne ich fast gar nicht. Einen Blick in die Fernsehzeitung verkneife ich mir aber. Ich will mich treiben lassen. Die Fernbedienung erwartungsvoll umklammert, starte ich pünktlich in eine vielfältig-verwirrende Stunde.



Mittwoch, 13.00 Uhr: Ich beginne mit VOX. Schon die ersten Bilder der Stunde erschüttern mich. Etwas, das anscheinend der Kadaver irgendeines Vierbeiner ist, hängt rasiert an den Beinen von einer Stange herab. Ein Skalpell wird zwischen den Beinen angesetzt und führt zwei Schnitte aus. „Die Hoden müssen entfernt werden…“, erklärt ein Sprecher. Definitiv zu hart für den Einsteig! Ich zappe weiter zu kabel eins. «Bill Cosby» versucht gerade seine streng auf seine Diät achtende Frau Claire zu Sahnecremetorten zu verführen. Eine hinreißend komische Szene; das Timing der beiden ist perfekt und die vier Minuten lange Szene kommt mit entspannter Klaviermusik und ohne Dialog aus. Dann ist die sahnige Verführung geglückt und während beide naschen gibt es einen schnellen Übergang zu...



«Roseanne», 13.05 Uhr. Während sie gewohnt ätzend zynische Kommentare abgibt, liegt sie im Pyjama auf dem Bett und streckt arbeitsgeschundene Beine in die Höhe. Nackte Roseanne-Schenkel sind zu sehen… ZAPP! «ARD Mittagsmagazin»: Auch im ZDF läuft die gleiche Sendung. Von den schmalen Rundfunkgebühren kann man nicht erwarten, dass die zwei größten Öffentlich-Rechtlichen mittags jeweils eigenes Programm produzieren. Es geht um das Duell Obama (Bild) gegen McCain und was das für Deutschland heißen könnte. Faktisch gut aufbereitete Sendeminuten ziehen ohne großen „Aha“-Effekt vorüber. Zeit für Abwechslung: VIVA. Ich habe das seltene Glück tagsüber ein Musikvideo auf dem Sender zu erwischen. Wobei das relativ ist: Oliver Pochers Fußballsong „Bringt ihn Heim“ ist musikalisch wie erwartet Murks, aber leider auch weder witzig noch originell. Danach sehe ich zwei Kostümhasen drei Tage durchfeiern. Die Musik ist nicht meine Richtung, aber das schräge Billigvideo schaue ich trotzdem amüsiert zu Ende. Nach der Werbung wird Mark Medlock angedroht. «Superstar»-Nachfolger Godoj hat es immerhin schon ins Jamba-Topstar-Abo geschafft.








13.20 Uhr. Auf ProSieben läuft «SAM». Ein gewaltig dicker Mann wird in seinem schweren Alltag gezeigt. Während er durch die Wohnung geht, verliert er das Gleichgewicht und fällt vorne über. Zum Aufstehen braucht Volker zwei Mann zur Hilfe und eine halbe Stunde Zeit. Das liegt vor allem daran, dass er ein Bein verloren hat. Anscheinend durch eine Folgekrankheit seiner Fettleibigkeit. Nun soll ihm eine Ernährungsberaterin helfen. Erster Schritt: wiegen! Demütigend für Mann ist, dass das auf einer LKW Waage stattfindet, weil Personenwaagen für ihn nicht ausreichen. Das Ergebnis schockiert Volker: 200 Kilo. Der Beraterin war das noch nicht eindringlich genug. Zur Demonstration präsentiert sie ihm sein Übergewicht visuell. Ein großer Haufen aus 120 Kilo Schweinefett wird mit einem Gabelstapler vor Volker abgesetzt. Er solle doch mal rein greifen, was er da mit sich rum trägt. Eine geschmacklose Schocktherapie. Zeit zum Weiterschalten.



Auf Comedy Central laufen um 13.30 Uhr «Die dümmsten Weicheier», eine typische Clipshow mit unwitzigen Ausrutschern und Leuten, die gegen Laternenmasten rennen – teils sichtbar gestellt. Bei vielen Clips fällt auf, dass sie offenbar aus der ersten Welle der Homevideo-Pannenshows Ende der 80er Jahre recycelt wurden. Kurz vor dem weiterzappen ereilt mich fast noch ein Hörsturz: Gülcan moderiert den peinlichen Müll. Ich gebe «Menschen Tiere und Doktoren» auf VOX eine zweite Chance. Diesmal gibt es ein süßes Lämmchen mit Fieber statt Hodenentfernung: niedlich. Bis zur Werbung bleib ich dran. Dann fühle ich mich bereit für Proll-Fernsehen. Instinktiv schalte ich auf RTL II – und bin überrascht. Keine Wiederholungen von «Big Brother» oder «Frauentausch». Stattdessen läuft «Pokemon». Neugierig versuche ich endlich mal herauszukriegen, worum es in der beliebten Kindersendung eigentlich geht. Vergebens: Warum und wofür da die knuffigen Monstertiere Metronom und Vampaxo gegeneinander kämpfen müssen, erschließt sich mir einfach nicht. Ich geh mal weiter auf die hinteren Sendeplätze.



Um 13.43 Uhr lande ich bei «Juwelo TV». Eine Frau mit nöliger Stimme, aber sehr gepflegten Händen verkauft die letzten zwei Schmuck-Anhänger. Links eingeblendet steht: Startpreis 380 Euro, Jetzt: 19 Euro. Ich staune für wie blöd die ihre Zuschauer halten. Soll denen wirklich jemand abnehmen, dass der Ramsch mal rund das Zwanzigfache gekostet hat? Ich bleibe dran. Als nächstes steht ein potthässlicher Ring zum Verkauf. „Herrje, nur 40 Stück auf Lager“, nölt die Frau. Startpreis: 500 Euro. Während die Zeit verstreicht erzählt sie wirre Privatgeschichten: In ihrer Küche gehe mit dem Lichtschalter auch eine Steckdose an. Jetzt hat sie da ihr Radio angeschlossen. „Wenn ich jetzt Licht anmacht, hab ich auch sofort Musik. Total witzig und echt raffiniert“, freut sie sich und lacht schrill. Ich bin fassungslos. Umso mehr, weil derweil der Preis auf 25 Euro runter ist und nach wenigen Minuten alle 40 Abscheulichkeiten verkauft sind.



Endspurt: Um 13.54 Uhr sitzt bei «Britt» (Bild) auf Sat.1. Didi zwischen zwei dicken Frauen im Partnerlook. Bianca ist seine Frau, Tanja seine Kumpelin. Bianca sei eher der Stubenhocker, deshalb unternimmt er mehr mit Tanja. Die hat auch einen (in seinen Augen) guten Klamottengeschmack. Deshalb kauft er seiner Frau immer die gleichen Sachen, die auch Bianca trägt. Zwischen Didi und Tanja sei aber nie was gelaufen. Das würde nicht passen. Ich kann die Frauen immer noch nicht unterscheiden, als die Sendung endet. In der letzten Minute erteile ich Bushido auf Viva das Wort: „…Knarre an die Schläfe, auf der Stirn bleibt der kalte Schweiß. Glamour ist mehr Schein als Sein […] und du schwimmst in dieser Scheiße, in diesem Meer voller Lügen…“ Stopp! 14 Uhr. Danke Herr Gangsterrapper. Recall gibt es dafür nicht, als Schlusswort war es aber ganz passabel. Ich bin bedient.

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