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«Jüdisch in der DDR»

von

Der Deutschlandfunk-Kultur-Podcast erkundet in bewegenden Gesprächen das kaum bekannte Kapitel jüdischen Lebens im real existierenden Sozialismus.

Wie lebten Jüdinnen und Juden in einem Staat, der Religion eigentlich überwinden wollte? Der Podcast «Jüdisch in der DDR» von Deutschlandfunk Kultur geht dieser Frage in sechs eindrucksvollen Episoden nach und öffnet ein selten beleuchtetes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. In Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Berlin entstanden, rekonstruiert die Reihe nicht nur persönliche Biografien, sondern auch kollektive Erfahrungen – vom Überleben des Nationalsozialismus über den sozialistischen Alltag bis hin zur schwierigen Suche nach Identität und Erinnerung.

Im Zentrum stehen Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die über ihre jüdische Herkunft, ihr Aufwachsen und ihr Leben in der DDR sprechen. Diese Erzählungen sind facettenreich, widersprüchlich und immer zutiefst menschlich. Sie zeigen, wie vielfältig jüdisches Leben im Osten Deutschlands war – weit entfernt von gängigen Klischees oder vereinfachten Geschichtsbildern. Die erste Folge, „Die Partei und Hühnersuppe“, führt nach Halle und Weimar zu Alena Fürnberg. Sie erzählt von der Spannung zwischen sozialistischem Idealismus und familiärer Tradition – zwischen Parteitreue und Sabbatfeier, zwischen kollektiver Zugehörigkeit und persönlichem Glauben. Das Gespräch wird zur exemplarischen Erzählung einer Generation, die sich zwischen zwei Loyalitäten wiederfand: der zur Gesellschaft und der zur eigenen Geschichte.

In „Ein Schuhkarton und eine Pistole“ spricht der Erfurter Reinhard Schramm über das Erbe seiner Eltern, die Shoah-Überlebende waren. Seine Erinnerungen kreisen um das Weiterleben mit der Last der Vergangenheit und um die Frage, wie viel jüdisches Leben im offiziell atheistischen Staat überhaupt möglich war. Diese Folge ist besonders eindringlich, weil sie zeigt, dass der Kampf gegen Antisemitismus auch in der DDR nie abgeschlossen war – selbst dort, wo der Staat ihn ideologisch leugnete. Mit dem Filmregisseur Peter Kahane geht es in der dritten Episode, „Die Turnschuhbande klaut Jeans“, in die Uckermark. Hier wird das Alltagsleben der 1970er-Jahre greifbar: Jugend, Rebellion, Freundschaften – und die unterschwellige Erfahrung, „anders“ zu sein. Kahane schildert, wie seine jüdische Herkunft zwar kein Tabu war, aber auch kein offenes Gesprächsthema. Eine Episode über das Verdrängen und Überleben in einer Gesellschaft, die lieber von Klassenkampf als von Glaubensfragen sprach.

„Drei Bänke und die Tante aus Israel“ erzählt von Marion Kahnemann in Dresden, deren Familie immer wieder zwischen Pragmatismus und jüdischer Identität schwankte. Ihr Porträt zeichnet die Ambivalenz eines Systems nach, das jüdische Gemeinden offiziell duldete, aber kaum förderte. Gleichzeitig werden in ihren Erinnerungen Momente echter Solidarität und kultureller Neugier sichtbar – ein seltenes Fenster in das jüdische Alltagsleben der DDR. In der fünften Folge, „Ich bin ein vielfältiges Nichts“, beschreibt der Schriftsteller Dmitrij Kapitelman sein Aufwachsen in Leipzig – bereits in den späten Jahren der DDR und danach. Seine Perspektive verbindet die Erfahrungen sowjetisch-jüdischer Einwanderer mit der Frage nach Zugehörigkeit in einem Land, das sich selbst als antifaschistisch verstand, aber nicht immer frei von Vorurteilen war. Kapitelman bringt damit die Stimmen der jüngeren Generation in die Erzählung – die Nachgeborenen, die sich zwischen Herkunft, Erinnerung und moderner Identität neu verorten müssen.

Die sechste und letzte Episode, „Märchengeschichten und letzte Dinge“, führt zu André Herzberg, Sänger der Band Pankow, nach Weißensee. Hier schließt sich der Kreis: Zwischen Musik, Erinnerungsarbeit und Familiengeschichte reflektiert Herzberg, wie die DDR-Juden ihre Identität zwischen sozialistischer Utopie und religiöser Verwurzelung immer wieder neu definieren mussten.

Was den Podcast besonders auszeichnet, ist seine behutsame, intime Erzählweise. Statt trockener Geschichtsdaten stehen Menschen im Mittelpunkt – ihre Stimmen, ihre Erinnerungen, ihre Widersprüche. Das Sounddesign ist zurückhaltend, fast dokumentarisch, lässt Raum für Emotionen und für die Nachdenklichkeit, die dieses Thema verlangt. «Jüdisch in der DDR» ist kein nostalgischer Rückblick, sondern eine präzise, empathische Spurensuche. Er zeigt, dass jüdisches Leben auch im Osten Deutschlands existierte – leise, widerständig, kreativ. Und dass die Auseinandersetzung mit dieser Geschichte nicht nur jüdisch oder ostdeutsch, sondern zutiefst gesamtdeutsch ist.


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