Die Kritiker

«Tatort - Tollwut»

von   |  3 Kommentare

In seiner neuen Folge besinnt sich der Dortmunder «Tatort» auf seine starken Anfänge. Doch einige dramaturgisch falsche Entscheidungen verhindern den Anschluss an die inhaltliche Spitzenzeit.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Jörg Hartmann als Peter Faber
Anna Schudt als Martina Bönisch
Aylin Tezel als Nora Dalay
Rick Okon als Jan Pawlak
Thomas Arnold als Jonas Zander
Ulrike Krumbiegel als Angelika Zerrer
Florian Bartholomäi als Markus Graf

Hinter der Kamera:
Produktion: Bavaria Fiction GmbH
Drehbuch: Jürgen Werner
Regie: Dror Zahavi
Kamera: Gero Steffen
Produzentin: Sonja Goslicki
In einer Dortmunder Justizvollzugsanstalt ist die Tollwut ausgebrochen. Doch die ersten Vorurteile, die diese Konstellation in der zum Portmanteau für abgewirtschaftete Industriegroßstädte gewordene Ruhr-Metropole hervorruft, gehen in die falsche Richtung: Die Tollwut hat sich im Dortmunder Knast nicht (ausschließlich) aus Gründen staatlicher Vernachlässigung und der damit bei den schweren Jungs unweigerlich einhergehenden sozial-sittlichen Verrohung breitgemacht: Sie wurde vielmehr gezielt dort verbreitet. Warum und von wem, darüber streiten sich Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Bönisch (Anna Schudt) und Nora Dalay (Aylin Tezel) eineinhalb Stunden lang nach Kräften.

Ein Häftling ist der Seuche bereits erledigt. Er hatte sich vermutlich vor kurzem bei einer Messerstecherei mit dem tödlichen Virus infiziert. Ebenfalls bei diesem Anlass angesteckt hat sich Jonas Zander (Thomas Arnold), ein alter Bekannter des Dortmunder Teams, der nun unweigerlich mit großen Schritten dem Tod entgegengeht. Ein Schock natürlich – doch weder der fatalistische Faber noch die niedergeschlagene Nora noch die missmutige Martina brauchen sonderlich lange, um den Tatsachen ins Auge zu sehen. Zander will seinen Mörder finden und die alten Weggefährten werden ihm dabei tatkräftig unter die Arme greifen.

Er ist nicht der einzige alte Bekannte, der uns in „Tollwut“ wieder begegnet. Just in die durchseuchte JVA ist nämlich vor kurzem auch der mephistophelische Markus Graf (Florian Bartholomäi) verlegt worden, der vor Jahren Fabers Frau und Tochter ermordet haben soll und den gebrochenen Cop seitdem mit einem von Psychopathie zerfressenen Katz-und-Maus-Spiel traktiert. Mittlerweile schickt er Faber wieder wirre Briefchen – ein untrügliches Zeichen, dass er etwas mit den Tollwut-Infektionen in Dortmund zu tun hat, meint Faber. Unsinn, denn andere haben bessere Motive und passendere Gelegenheiten, findet Dalay. Doch ihre Motive, Faber das Leben schwer zu machen, sind eher persönliche: Sie nimmt es ihm furchtbar übel, dass er Kollege Daniel Kossik in die Versetzung zum LKA gedrängt hat, und kann Fabers fatalistisch-selbstzerstörerisch-egomanisches Getue nicht mehr ertragen. Zeit, dass es knallt.

In gewisser Weise ist „Tollwut“ eine Rückbesinnung darauf, was den Dortmunder «Tatort» in seinen Anfangsjahren erzählerisch so stark gemacht hat: das Psychogramm um den gebrochenen Helden Faber und seinen würdigen Gegner, den verschlagenen, sich vom Leid anderer ernährenden Soziopathen Markus Graf. Die Erzählung um ihren scheinbar unauflöslichen Dualismus und das immer tiefere Eindringen in die psychischen Unwegbarkeiten dieser beiden Charaktere konnte vor allem wegen zwei Umständen so gut gefallen: dem filigranen, einnehmenden, feinsinnigen und hoch engagierten Spiel ihrer beiden Darsteller, und der narrativ weit über das übliche Maß des Sendeplatzes hinausgehenden Kompromisslosigkeit, die Zuschauern, denen man in Senderkreisen gerne eine Leidenschaft für Gewohntes und leicht Verdauliches unterstellt, das Gegenteil dessen bot.

„Tollwut“ bleibt diese erzählerische Kompromisslosigkeit in Form eines klaren Fokus‘ auf das narrativ Gehaltvolle zumindest in der aus Dortmund bekannten Zuspitzung schuldig. Vielleicht ist es mitunter gar Zielsetzung gewesen, die schwere Tragik um Fabers Verlust sowie das unangenehme Gefühl, ihn bei seinen selbstzerstörerischen Tendenzen bis zum Äußersten verfolgen zu müssen, zu verwässern; vielleicht ist diese Wirkung nur ein Ausfluss (falscher) dramaturgischer Grundsatzentscheidungen dieses Films. Doch egal, wie er zustande gekommen sein mag: Dieser Effekt stellt sich in „Tollwut“ nun mal ein und bildet den Hauptgrund, warum diese Folge trotz einer intelligenten Wiederaufnahme des funktionierende Paradigmas der grundsätzlichen Figurenkonstellation dieses Stoffes nicht (vollends) zum inhaltlichen Gipfel der Reihe aufschließen kann.

Was die Konzentration auf das erzählerisch wesentliche Element dieser Folge – die hochemotionale Auseinandersetzung zwischen Faber und Graf – verhindert, sind die zahlreichen Nebenschauplätze, die leider ihrerseits wiederum von narrativer Inkonsequenz und die Tragik verwässernden Stilmittel verkrüppelt werden: Nachdem sie von dem schockierenden Umstand erfahren haben, dass ihr geschätzter Weggefährte Zander bald unter den grausigsten Bedingungen dahinscheiden muss, braucht es nur ein paar Momente und die zur Schau gestellte Verweigerung einer Auseinandersetzung, bis Bönisch, Faber und Dalay wieder auf Kurs sind. Sicher darf jeder von ihnen die nächsten eineinhalb Stunden ein bisschen mit sich hadern und mit den anderen Streit suchen – Dalay fährt Faber an, er helfe Zander nur, um seine eigene Selbstsucht zu befriedigen, und Zander darf in seinen letzten Tagen Faber bemüht auf einen menschenfreundlicheren Weg führen – aber das bleibt Stückwerk.

Denn auch die Screentime für diesen Plot wird beschnitten von allerhand Knastgeschichten, denen es wiederum an Zeit und erzählerischem Geschick fehlt, um wirklich tief in das Milieu eindringen oder etwas von Belang erzählen zu können. Stattdessen werden Attica-ähnliche Zustände herbeigeschrieben, als vermeintlicher Höhepunkt, der aber schnell wieder ohne Konsequenzen verpufft. Anstatt auf eine Geschichte und starke Figuren zu setzen, setzt „Tollwut“ viel zu sehr auf kurze Effekte. Zur grundsätzlichen dramaturgischen Ausrichtung der Dortmunder «Tatort»-Reihe, in der es vornehmlich um psychologische und soziale Aspekte ging, will das nur schwerlich passen.

Das Erste zeigt «Tatort – Tollwut» am Sonntag, den 4. Februar um 20.15 Uhr.

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Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
03.02.2018 12:20 Uhr 1
"In den Anfangsjahren so stark gemacht hat"?? Dieser tatort ist noch immer mit der Beste, wenn nicht der Beste unter den ganzen Teams!
Kalinkax
03.02.2018 12:32 Uhr 2
findet Julian Miller auch mal was gut?
Bingo
03.02.2018 13:47 Uhr 3
Ich freue mich auf den Dortmunder Tatort! :)
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