Schlüter sieht's

«Schlüter sieht's»: Grand Prix mit Perspektive?

von
Jan Schlüter fragt sich, warum der Vorentscheid des Song Contest gekippt wurde.

Wir haben gejazzt, wir haben Country versucht, wir haben unsere größten Castingstars geschickt. Deutschland, einig Sängerland? Nun, unser schlechtes Abschneiden bei den vergangenen Ausgaben des «Eurovision Song Contest» ist sicherlich nicht allein darauf zurückzuführen, dass mittlerweile so viele osteuropäische Länder an den Abstimmungen beteiligt sind. Denn was als offensichtliches Argument für das schlechte Abschneiden deutscher Künstler gerne mal herangezogen wird, ist ja nur Teil des Problems, das sicherlich nicht einfach erklärbar ist. Schaut man sich die Punkteverteilungen der vergangenen Jahre an, so ist schon offensichtlich, dass die Ostländer mehrheitlich in den oberen Wertungsregionen vertreten sind – und Weststaaten so gut wie gar nicht. Aber die Schuld an unserem schlechten Abschneiden allein auf die bösen Nachbarn zu schieben, die nicht für uns stimmen, ist ziemlich oberflächlich.

In Wahrheit steckt hinter dem großen ESC-Desaster doch auch eine allgemeine Müdigkeit der deutschen Zuschauer an diesem Event. Viele Jahre haben wir nun abstimmen können, welche Künstler Deutschland beim Song Contest vertreten. 2009 wird erstmals eine Fachjury den Kandidaten bestimmen – die Entdemokratisierung des Vorentscheids ist also wirklich eingetreten. Aber eben nicht ohne Grund: Während 2006 noch 5,28 Millionen Menschen beim Vorentscheid zugeschaut und unseren Teilnehmer bestimmt haben, waren es 2008 nur noch knapp 3,5 Millionen – die niedrigste Quote seit 1996. Zudem hat der seit drei Jahren moderierende Thomas Hermanns nach dem diesjährigen Abschneiden ebenfalls das Handtuch geworfen. Der veranstaltende NDR stand also ohne Präsentationsfigur da. Und damit die Peinlichkeiten um teilnehmende Popstars-Bands oder unsägliche Technikpannen beim Vorentscheid sich nicht noch häufen und uns den Spaß am Grand Prix noch vollends vermiesen, hat man sich nun eben 2009 dafür entschieden, eine Jury unseren Teilnehmer für Moskau bestimmen zu lassen.



Fraglich bleibt aber, ob uns dies wirklich bessere Platzierungen in der internationalen Konkurrenz bringt. Spontan betrachtet müsste man daran zweifeln, weil die Meinung von Vielen – eben den tausenden Zuschauern, die vorher unseren Teilnehmer beim ESC bestimmt haben – mehr Gewicht hat als die Meinung von Wenigen, da die Auswahl durch eine Masse an Zuschauern und Fans natürlich den Effekt hat, schon die populärsten Künstler oder besten Lieder vorher zu bestimmen bzw. schlechtere Künstler gleich zu Hause zu lassen. Dieses Konzept hat aber eben leider, wohl auch wegen der oben angesprochenen Grand-Prix-Verdrossenheit, in den letzten Jahren nicht mehr funktioniert. Die neue Fachjury ist also also aus der Not geboren, weil weitere peinliche Vorentscheids-Vorstellungen noch mehr geschadet hätten. Aber sehen wir es doch als Chance, als Neuanfang, der vielleicht entgegen aller Erwartungen erfolgreich wird. Einen Grundsatz sollten die neuen Hoffnungsträger allerdings dann befolgen: Bitte keine Castingband in Moskau!

Das war die erste Ausgabe dieses nun wöchentlich erscheinenden Branchenkommentars, der das TV-Business von einer vielleicht etwas anderen Seite beleuchtet, Fakten offenlegt und möglicherweise ein paar neue Denkanstöße gibt, um die TV-Welt ein wenig klarer zu sehen. Ich hoffe, dass Sie nächsten Freitag wieder reinklicken – Ihr Jan Schlüter.

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