Die Kritiker

«Plagi Breslau - Die Seuchen Breslaus»: Die Lücke zwischen «Sieben» und «Saw»

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Was werden in unserem Nachbarland Polen eigentlich so für Filme gedreht? Zumindest der Mainstream bekommt davon nur selten etwas mit. Mit dem Netflix-Original «Plagi Breslau - Die Seuchen Breslaus» könnte sich das ändern.

Deutsche Polizisten sind immer ein wenig steif und hängen am liebsten an der Currywurst-Bude ab. Skandinavische Ermittler durchlaufen neben der Ausführung ihres Jobs mindestens eine Sinnkrise. Und US-amerikanische Cops hantieren liebend gern mit Waffen und werfen sich für ihre Kollegen schon mal in die Schussbahn, wenn sie nicht gerade – wahlweise zu Fuß, auf dem Motorrad oder im Auto – Verdächtige durch die Straßenschluchten der Großstadt verfolgen, bevor sie genüsslich Donuts vertilgen. So viel zu den Klischees gängiger Polizei-Stereotypen. Aber was ist eigentlich mit den polnischen Vertretern? Würde man sich regelmäßig mit Filmen unserer europäischen Nachbarn auseinandersetzen, ließen sich sicherlich auch in ihren Ermittlungsmethoden schablonenhafte Muster ausmachen. Doch es kommt leider gar nicht so häufig vor, dass polnische Spielfilme – insbesondere aus dem Thrillersegment – die Ländergrenzen überschreiten. Zuletzt gelang dies immerhin dem sehr gelungenen Festival-Liebling «Die Spur» von Agnieszka Holland, der hierzulande immerhin in einer Handvoll Kinos zu sehen war.

Über den Streaming-Dienst Netflix könnte der vorab ebenfalls auf diversen Filmfestivals gezeigte High-Speed-Thriller «Plagi Breslau – Die Seuchen Breslaus» nun einem deutlich größeren Publikum zugänglich gemacht werden. Schließt seine gezeigte Brutalität doch nahtlos an Genrevertreter wie «Sieben» oder «Saw» an, während das von Regisseur und Autor Patryk Vega («Bad Boy») an den Tag gelegte Tempo an Filme wie «Gesetz der Rache» erinnert; auch inhaltlich ist seine Rache-Geschichte nicht allzu weit davon entfernt.



Einem Serienschlächter auf der Spur


Helena Rus (Malgorzata Kozuchowska) ist Polizistin aus Leidenschaft. Oder zumindest war sie es mal. Seit einiger Zeit ist sie nur noch ein Schatten ihrer selbst, die es ihrem Umfeld schwer macht, mit ihr auszukommen. Doch als brutale Morde Breslau erschüttern, muss sich Helena am Riemen reißen, um den Täter rasch zu finden. Doch dieser spielt mit ihr und ihren Kollegen: Jeden Tag um Punkt 18 Uhr taucht eine neue, übel zugerichtete Leiche an einem öffentlichen Ort auf. Der Fall erinnert an eine Tötungsserie aus dem 18. Jahrhundert. Ein Hinweis auf die Herkunft des Täters? Oder nur ein neues Indiz für seine Unberechenbarkeit?

Wenn der Zuschauer die Ermittlerin Helena Rus das erste Mal zu sehen bekommen, mag der erste Impuls eines jeden Thriller-Liebhabers das Wegschalten sein. Abgefuckte Polizisten mit mehr Problemen als die um sie herum aufgebahrten Mordopfer – das ist längst nicht mehr neu und verleiht Filmen entsprechend nur noch selten die erhoffte Würze. Doch mit der Zeit kristallisiert sich heraus, dass die mit zerzauster Mähne und unzähligen Tattoos herumlaufende Helena eben doch keine dieser Klischee-Figuren ist, sondern ihre emotionalen Traumata wesentlich tiefer gehen als die jedes noch so vermeintlich mutigen «Tatort»-Charakters. Das ungepflegte Äußere soll hier nicht für sich sprechen, sondern ist nur eine konsequente Folge der inneren Zerstörung, deren Ursache «Plagi Breslau – Die Seuchen Breslaus» sukzessive auf den Grund geht.

Natürlich ist sie hier und da auch zweckdienlich; insbesondere im Hinblick auf die durchaus überraschende Auflösung, die an dieser Stelle natürlich nicht verraten werden soll. Im Großen und Ganzen macht die Schauspielerin Malgorzata Kozuchowska («Killer») aus ihrer Helena eine runde Figur, die ihrem Umfeld zu jedem Zeitpunkt die Show stiehlt. Und das eben nicht (nur) mit Frise, Körperbemalung und Null-Bock-Fresse, sondern in erster Linie mit ihren professionellen Ermittlungsmethoden, die für sie immer auch wie ein Anker wirken, an dem sich die resolute Frau festhalten kann.

Es wird blutig!


Angesichts der brutalen Morde, deren Methoden sich vor allem auf bekannte Foltermethoden von vor mehreren Jahrhunderten stützen, ist eine kühlköpfige Aufklärungsarbeit aber auch bitter nötig. Der erste Fall, in dem ein Opfer bei lebendigem Leibe in ein Rinderfell eingenäht wird, bietet nur einen Vorgeschmack auf das, was noch folgen soll; Zum Beispiel eine Tötung, für die ein Mann an zwei Pferde gebunden wird, die ihn beim Auseinanderstürmen in der Mitte zerreißen. Im Gegensatz zu den vor noch gar nicht allzu langer Zeit voll im Trend liegenden Torture-Porn-Horrorfilmen wie «Saw» oder «Hostel» hält Kameramann Miroslaw Brozek («Botoks») bei den Taten an sich nur bedingt drauf. Ein visuelles sich Ergötzen an der Gewalt fehlt also. Stattdessen sind es in erster Linie die erschütternden Folgen, einhergehend mit dem von den Polizisten nacherzählten Tatablauf, die in «Plagi Breslau» für Gänsehaut sorgen. Hinzu kommt die schiere Menge an Kills, die ein zwischenzeitliches Luftholen kaum zulassen. Ist die eine Leiche identifiziert, taucht sogleich die nächste auf; immer pünktlich um 18 Uhr, was die Ermittler zusätzlich unter Druck setzt.

Und so übel die Körper auch zugerichtet sein mögen: Irgendwann ertappt man sich schon dabei, in gewisser Weise gespannt zu sein, wie denn wohl das nächste Opfer wohl seinen Tod gefunden hat. Das ist – auch aufgrund der darauf abzielenden, recht reißerischen Regieführung – definitiv moralisch fragwürdig.

Nun muss man «Plagi Breslau – Die Seuchen Breslaus» aber auch nicht zu einem fragwürdigeren Film machen als sämtliche anderen Rache-Reißer der letzten Jahre. Wie in so ziemlich jedem Film, in dem der Täter ein Vergeltungsmotiv vor sich herträgt, stellt sich natürlich auch hier irgendwann zwangsläufig die Frage nach der Moral. Einer konkreten Antwort entsagen sich die Macher zwar, aber sie durchleuchten bei all der Konzentration auf die Gewalt immer auch das Danach. Fraglich ist nur, ob dieses Danach angemessen zur Geltung kommt. «Plagi Breslau» bombardiert seine Zuschauer in solch einem Tempo mit Tod und Verderben, dass sich für die angemessen emotionale (und eben auch moralische) Verarbeitung und Einordnung der Geschehnisse kaum Zeit findet. Immerhin: Mit einem zum Rest passenden, durch und durch konsequenten Ende führen die Verantwortlichen sämtliche Gedanken zu einem zufriedenstellenden Abschluss.

Lediglich die zuvor immerhin zeitweise angeschnittenen Verbindungen zwischen den Taten und der gesellschaftspolitischen Historie Breslaus sowie dem Ist-Zustand der wirtschaftlich durchgerüttelten Stadt geraten alsbald ins Hintertreffen. Dafür sind die spektakulären Morde und blutrünstigen Gewalttaten aber auch einfach einen Tick zu dominant.

Fazit


«Plagi Breslau – Die Seuchen Breslaus» ist ein hochprozentiger Polizeithriller, der in einem enorm hohen Tempo jede Menge Gewalt präsentiert. Die Moral ist zwar fragwürdig, aber ohnehin zweitrangig.

«Plagi Breslau – Die Seuchen Breslaus» ist ab sofort bei Netflix streambar.

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