Die Kino-Kritiker

«All Eyez On Me»

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Mit seinem biographischen Drama «All Eyez On Me» will Regisseur Benny Boom dem legendären Rapper Tupac einen filmischen Tribut zollen, findet dafür aber nur selten den richtigen Ton.

Filmfacts: «All Eyez On Me»

  • Kinostart: 15. Juni 2017
  • Genre: Drama/Biopic
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 140 Min.
  • Kamera: Peter Menzies Jr.
  • Musik: John Paesano
  • Buch: Jeremy Haft, Eddie Gonzalez, Steven Bagatourian
  • Regie: Benny Boom
  • Darsteller: Demetrius Shipp Jr., Danai Gurira, Kat Graham, Hill Harper, Annie Ilonzeh
  • OT: All Eyez On Me (USA 2017)
Der zu Lebzeiten als größter Rapper dieses Planeten gefeierte Tupac Shakur ist bis heute eine Musiklegende, was zum Großteil auch damit zusammenhängt, dass er im Alter von 25 Jahren auf offener Straße erschossen wurde. Wie schon bei den Todesfällen um Elvis Presley, Jim Morrison oder Falco ranken sich auch um Tupacs Ableben immer noch Verschwörungstheorien wie jene, dass er seinen Tod nur vorgetäuscht habe. Immerhin habe „Niemand Tupac tot gesehen“, wie der US-amerikanische Hip-Hop-Produzent Suge Knight 2012 in einem Radiointerview betonte. Da der Täter nicht gefasst werden konnte, gingen viele hinter vorgehaltener Hand davon aus, Tupacs größter, musikalischer Rivale Notorious BIG hätte seinen Kontrahenten erschossen respektive den Auftrag dazu gegeben – und musste 1997 (vermutlich aufgrund dieser Anschuldigen) selbst dran glauben. Bis heute sind diese zwei Mordfälle ungeklärt. Beide Künstler haben auch posthum noch jede Menge Platten verkauft, wurden filmisch verewigt und tauchen nun auch gemeinsam in Benny Booms dramatischem Biopic «All Eyez On Me» auf, das sich jedoch in erster Linie mit der Person Tupac Shakur befassen soll. Die Betonung liegt auf „soll“, denn Regisseur Benny Boom («Wild for the Night») und sein Autorenteam aus Jeremy Haft, Eddie Gonzalez (schrieben gemeinsam eine Episode der Serie «Empire») und Steven Bagatourian («American Gun») erzählen zwar einen sehr großen Zeitraum aus dem Leben ihrer Hauptfigur nach, doch das Fingerspitzengefühl dafür, was davon relevant ist, und was man auch gern hätte weglassen dürfen, fehlt ihnen vollkommen.

Der größte Rapper der Welt


Tupac Shakur (Demetrius Shipp Jr.) wächst in den Straßen New Yorks auf und wird hineingeworfen in eine Welt aus Ungerechtigkeit und Willkür. Er muss mitansehen, wie seine Community an Drogen zerbricht und von einer brutalen Polizeimacht unterdrückt wird. Schon früh experimentiert er mit Rap, um seiner Realität als junger schwarzer Mann eine Stimme zu geben. Sein Erfolg, plötzliche Berühmtheit und ein Leben mit viel Geld, Glanz und Glamour, werden aber gleichzeitig auch sein Untergang sein: Immer wieder gerät er mit dem Gesetz in Konflikt. 1995 muss er erneut ins Gefängnis. Als er nach seiner Entlassung zu Death Row Records geht und das Doppelalbum „All Eyez on me“ veröffentlicht, wird 2Pac zu einem der beliebtesten Rapper auf dem Planeten. Am 7. September 1996 wird er in Las Vegas auf offener Straße angeschossen. Sechs Tage später stirbt er mit nur fünfundzwanzig Jahren.

Schon die Todesumstände Tupac Shakurs geben genug Stoff für einen ganzen Spielfilm her. Doch Benny Boom lässt sich von dem krimitauglichen Potenzial nicht beirren und fängt ganz von vorn an – sogar noch vor der Geburt von Tupac selbst, als dessen rebellische Mutter Afeni (Danai Gurira) mit ihm schwanger ist. Der kleine Tupac wird direkt hineingeboren – in eine Welt voller Rassismus, Hass und Gewalt; und die Saat für einen ebenfalls in dieses Milieu abdriftenden jungen Mann ist gesetzt. Tatsächlich gelingt es Boom zu Beginn noch recht gut, den großen Kontrast zwischen Shakurs aufopferungsvoller, liebenswerter Mutter und den brachialen Regeln der Straße einzufangen, indem er sich beiden Seiten gleichermaßen widmet und erst spät die Sichtweise seines Protagonisten annimmt. Tupacs Kinderjahre werden zu einer emotionalen Zerreißprobe, der er sich mit fortschreitendem Alter immer mehr entziehen kann. Wirklich subtil geht Boom bei seiner Inszenierung allerdings nicht vor. Er sucht zwar immer wieder gezielt das Bild des aufeinander prallenden Gegensatzes, doch wenn er Tupac eines Tages alleine durch eine Straße seines Viertels gehen lässt, in welchem man im Hintergrund gerade zwei Polizisten auf einen Schwarzen einprügeln sieht, mag das für den Moment visuell wirkungsvoll sein, bleibt jedoch unkommentiert und sogar in der Szene selbst unbeachtet.

Und es geht noch plakativer: Als Tupac und seine Familie umziehen müssen, wird er direkt am ersten Abend im neuen Heim Zeuge eines tödlichen Streits unter Nachbarn. Natürlich basiert auch «All Eyez On Me» auf wahren Ereignissen, doch Boom ist schon früh kaum in der Lage, mehr aus solch deutlichen, für sich sprechenden Szenen herauszuholen, als einfache Holzhammersymbolik.

Eine Seifenoper als Biopic


Unter diesen Umständen tut sich «All Eyez On Me» sehr schwer, eine eigene Identität, geschweige denn so etwas wie Atmosphäre aufzubauen. Dies liegt zum Einen daran, dass er sich für das Leben des vom Schicksal gebeutelten Musikers gar nicht so recht zu interessieren scheint; anders ließe es sich nicht erklären, weshalb er bei der Auswahl der nacherzählten Stationen nicht nach Relevanz geht, sondern willkürlich Lebensmomente auswählt, die teilweise überhaupt nichts zur Charakterisierung Tupac Shakurs beizutragen haben. Auf der anderen Seite geraten die wenigen Szenen, die exemplarisch für Shakurs Lebens- und Karriereweg zu sein scheinen, derart klischeehaft, dass man erneut nach Authentizität sucht – und nur schwer fündig wird. Close-Ups auf prallen Frauenhintern, Bilder von Orgien in Hotelzimmern und Machtspielchen bei ausgedehnten Abendessen scheinen plump aus diversen anderen Filmen und Serien über das Rap- und Hip-Hop-Milieu zusammengeklaut.

Die Antwort auf die Frage, was all das nun mit Tupacs Persönlichkeit zu tun, respektive angestellt hat, bleibt uns Boom bis zum Ende schuldig. Zwar platziert der Regisseur seine Hauptfigur immer wieder mitten im Geschehen, doch den Eindruck einer sukzessiven Charakterformung erhält man nicht. Weder erfährt man etwas darüber, was Rassismus, Ausgrenzung und Gewalt mit Tupac angestellt haben, noch wie er diese Erfahrungen später in seine Musik einbringen konnte. Für ein Musiker-Biopic geht es in «All Eyez On Me» ohnehin recht unmusikalisch zu. Stattdessen wird Benny Booms Film zu einer Seifenoper, prall gefüllt mit Rapper-Stereotypen, bei der auch der Fokus auf die Hauptfigur irgendwann verloren geht.

Nicht einmal der so eng mit dem Schicksal von Tupac verbundene Rapper-Konflikt zwischen West Coast und East Coast erhält mehr Aufmerksamkeit, als eine Handvoll beiläufiger Erwähnungen. So könnte man «All Eyez On Me» auch für einen vollkommen fiktiven Film halten; letztlich geben sich nämlich nicht einmal die Darsteller so richtig Mühe, ihrer Vorlage gerecht zu werden. Wenn zum Ende des Films eine kurze Interviewsequenz mit dem echten Tupac Shakur eingeblendet wird, zeigt sich die paralysierende Präsenz des hoffnungsvollen Musikers, die innerhalb weniger Sekunden mehr über sich und seinen Hintergrund verrät, als Schauspieler Demetrius Shipp Jr., der ihn immerhin fast zweieinhalb Stunden lang verkörpern darf. Doch abseits seiner physisch vielversprechenden Bühnenauftritte fehlt es dem Kinodebütanten an Ausstrahlung und Eindringlichkeit. Zwei Dinge, von denen seine Kollegin Danai Gurira («The Walking Dead») zu viel hat. Wie sich die Schauspielerin in Overacting und vorgetäuschter Leidenschaft abmüht, unterstreicht das Erscheinungsbild von «All Eyez On Me» als Seifenoper in Spielfilmlänge.

Der Rest der allesamt eher unbekannten Darstellerriege bekleckert sich ebenfalls nicht mit Ruhm, wurde darüber hinaus aber auch nicht sichtbar auf Ähnlichkeit zu den realen Vorbildern gecastet (dass es auch anders geht, bewies vor zwei Jahren das Oscar-nominierte Rapper-Drama «Straight Outta Compton»). Immerhin eine Sache können sie alle dann aber doch ziemlich gut: sich gegenseitig im Sekundentakt die übelsten Schimpfworte und Beleidigungen um die Ohren hauen. Das ist in der Branche wohl einfach so üblich…

Fazit


Ob sich Tupac Shakur eine zweieinhalbstündige Soap als filmisches Vermächtnis gewünscht hätte? Fakt ist: «All Eyez On Me» holt kaum etwas aus dem harten Lebensweg des Musikers heraus, lässt den Konflikt zwischen West und East Coast sogar vollkommen unberücksichtigt und am Ende weiß man über den Menschen hinter dem Rapper genauso viel wie noch zu Beginn – nämlich gar nichts.

«All Eyez On Me» ist ab dem 15. Juni in den deutschen Kinos zu sehen.

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