Die Kritiker

«You Are Wanted»: Die deutsche Antwort auf «Black Mirror»

von   |  5 Kommentare

Matthias Schweighöfer setzt mit seiner sechsteiligen Miniserie «You Are Wanted» ein Ausrufezeichen hinter deutsche Thrillerfiction.

Alle Infos zu «You Are Wanted»

  • Eine Amazon Studios Serie
  • Produzenten: Peti Misaila, Cornelia Popp, Dan Maag, Matthias Schweighöfer
  • Autoren: Hanno Hackfort, Bob Konrad, Richard Kropf
  • Regie: Matthias Schweighöfer, Bernhard Jasper
  • Darsteller: Matthias Schweighöfer, Alexandra Maria Lara, Catrin Striebeck, Edin Hasanovic, Karoline Herfurth, Louis Hofmann, Tom Beck
Er ist einer der sympathischsten Zeitgenossen der deutschen Medienlandschaft, seine (Liebes-)Komödien entern hierzulande regelmäßig die Spitzenposition der Kinocharts und er gehört zum Inventar von «Circus HalliGalli», der letzten verbliebenen Anarcho-Show im Privatfernsehen. Es ist schwer, Jemanden wie den 35-jährigen Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur Matthias Schweighöfer («Vaterfreuden») nicht zu mögen. Trotzdem gerieten seine Filme bisher immer ins Kreuzfeuer der Feuilletonisten. Vor allem zu Beginn von Schweighöfers Regiekarriere, machten es sich die Kritiker dieses Landes immer ein wenig zu einfach, wenn sie die Art und Weise der von ihm inszenierten Filme pauschal mit jenen von Til Schweiger verglichen. In unserer Kritik zu «Der Nanny» erklärten wir jüngst, weshalb dieser Vergleich hinkt. Und trotzdem ziehen wir ihn einmal mehr zurate, denn Schweighöfers neuestes Projekt sagt sich in jeder Hinsicht vom Image des auf Familienunterhaltung beschränkten Filmemachers los – und unterstreicht damit doppelt und dreifach seinen alleinigen, unabhängigen Stellenwert in der deutschen Film- und Fernsehbranche.

Mit der Amazon-Prime-Miniserie «You Are Wanted», in der Schweighöfer gemeinsam mit seinem Stammkameramann Bernhard Jasper Regie führt, begeht der charismatische Blondschopf stellvertretend für das nationale Serienbusiness Neuland. Und wenn das ankommt, dann ist vor allem einer der Nutznießer: der Zuschauer.

Sie sind hinter Dir her!


Das Leben von Lukas Franke (Matthias Schweighöfer) könnte glücklicher kaum sein: Er hat eine liebevolle Ehe mit Hanna (Alexandra Maria Lara), einen tollen sechsjährigen Sohn, einen gut bezahlten Job als Hotelmanager und ein kleines Haus am Rande von Berlin. Als eines Tages ein großflächiger Stromausfall die Stadt lahmlegt, ahnt Lukas noch nicht, dass das der Anfang seines persönlichen Albtraums sein wird. Doch in den Tagen darauf geschehen merkwürdige Dinge: Lukas erhält rätselhafte Emails, er bekommt Pakete zugeschickt, die er nie bestellt hatte, auf seinem Laptop erscheinen ominöse Botschaften. Als sich auch noch eine angebliche Affäre von ihm bei Hanna meldet und sein Sohn zur Zielscheibe der anonymen Attacken wird, befürchtet er, Opfer eines ernstzunehmenden Hackerangriffs zu sein. Aber warum? Wer steckt dahinter?

Auf den ersten Blick erscheint einem die Welt von «You Are Wanted» wie eine perfektionierte Variante der unseren. Sämtliche Darsteller sind überdurchschnittlich ansehnlich, die Wohnhäuser und Büros erscheinen immer einen Tick zu penibel durchdesignt und die Interaktion der Partner und Freunde lässt erahnen, dass hier einmal mehr das Leben innerhalb der gehobenen Mittelschicht im Mittelpunkt steht. Hier hat sogar die Vorzimmerdame von Hauptfigur Lukas Modelmaße (kein Wunder: für diese kleine Nebenrolle wurde niemand Geringeres als Topmodel Toni Garrn verpflichtet). Was allerdings noch viel stärker auffällt, ist die alles dominierende Technik. Smartphones, Tablets, Notebooks, Musikanlagen und Computer in Klavierlackoptik begleiten nicht bloß den Betrachter, sondern auch die Figuren in dieser Geschichte Tag für Tag. Schon der Jüngste wächst ganz selbstverständlich mit den faszinierenden Errungenschaften der schönen neuen Welt auf – was für ein Desaster käme wohl zustande, wenn dir in dieser Welt erst der Stecker gezogen wird, um ihn dann völlig wahllos mit etwas zu verkabeln, was du gar nicht willst?

Dieses Szenario entspinnt die britische Erfolgsserie «Black Mirror» schon seit insgesamt drei Staffeln bei Netflix. Nun holen Matthias Schweighöfer, seine Drehbuchautoren Hanno Hackfort, Bob Konrad und Richard Kropf («Koslowski & Haferkamp») sowie die Amazon Studios zum Gegenschlag aus und liefern mit „You Are Wanted“ einen seriellen Hackerthriller in sechs Folgen, in dem ein wohlsituierter Geschäftsmann sich und seine Familie bedroht sieht. Der Grund: Erst hatte er im Zuge geistiger Umnachtung den Anhang einer an ihn gerichteten Mail geöffnet und anschließend einen Sekundenbruchteil zu lange darauf gewartet, die Frage nach einem „Spiel“ mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten. Fortan ist er der Gesuchte, Gejagte, Bedrohte – nur von wem?

Wer, was und warum?


Auf den zweiten Blick wird recht schnell klar: Visuell mag «You Are Wanted» wohl nicht ganz naturgetreu das Leben des Durchschnittszuschauers widerspiegeln. Dafür bildet die hochstilisierte, teils gar surrealistisch-entrückte Bildsprache den Mantel für eine Geschichte, in der es genau darum geht, die Persönlichkeit unter der künstlichen Oberfläche zu finden. Wenngleich die Macher in den ersten beiden Episoden auf Klischees wie die Dauernutzung von sozialen Netzwerken oder den leichtfertigen Umgang mit sensiblen Daten verzichten, ist es doch gerade die absolute Selbstverständlichkeit, mit welcher sich die Protagonisten im World Wide Web bewegen, die für sie zum Verhängnis wird.

Es ist absolut ironisch, dass das junge Paar trotz der allgegenwertigen Bedrohung ob des Hackerangriffs gleichsam wieder enger zusammenrückt; hindert uns die dauerhafte Vernetzung mit der Welt möglicherweise am Erleben echter Emotion? Das Drehbuch tangiert derartige Gedankengänge im Vorbeigehen, fokussiert jedoch vor allem den Thrillerplot, der anders als bei herkömmlichen Krimis nicht auf das Whodunit-Prinzip baut. Zwar geht es auch hier irgendwie darum, herauszufinden, wer Lukas und seiner Familie Pakete zuspielt, falsche Rezepte ausstellt, eine Affäre vorgaukelt oder Gesichter in Überwachungskamerabilder montiert, doch weitaus spannender als die Frage nach dem „Wer?“ sind hier das „Was?“ und das „Warum?“.

Ein Muster in den vielen kleinen Grenzüberschreitungen zu finden, ist nämlich alles andere als leicht. Lediglich das Opfer ist klar definiert. Und dieses lautet Lukas. Was der einen anfangs noch vollkommen im Unklaren lassende Prolog, die toughe Leidensgenossin Lena (Karoline Herfurth) oder der Informant Dalton (Louis Hofmann) mit all dem zu tun haben, würden wir selbst dann nicht verraten wenn wir es wüssten. Klar ist nur, dass sich die Schlinge aus Rätseln, Bedrohungen und die Ausmaße derselben immer enger um Lukas‘ Hals zuziehen.

Stars, Stars, Stars


Dafür, dass «You Are Wanted» lediglich aus sechs Folgen besteht, geht es vor allem in der ersten Folge äußerst gemächlich voran. Matthias Schweighöfer nimmt sich viel Zeit, um seine Figuren zu etablieren und sorgt so dafür, dass sich die stetig ansteigende Bedrohung umso stärker, vor allem aber auch subtiler entfalten kann. Das dauerpräsente Gefühl der Verfolgung mündet auch für den Zuschauer schon bald in ein Gefühl der Paranoia. War da was? Könnte das einer von den Bösen sein? Und weshalb habe ich bloß diese eine Sekunde gerade nicht aufgepasst? Gerade im konfliktgetriebenen, deutschen Fernsehen und Kino bildet «You Are Wanted» eine fast schon minimalistische Gegenbewegung – Spannung ja, aber bitte keine Effekthascherei; nach diesem Credo scheinen die Macher ihre Serie konzipiert zu haben und das funktioniert zumindest in den ersten beiden Folgen auch so richtig gut.

Das gediegene Tempo mag nicht jedem gefallen, dafür bleibt beim Cast kein Wunsch offen. Wenngleich es sich nicht so ganz erschließt, weshalb man etwa Toni Garrn für eine Nebenrolle besetzte oder ein Tom Beck («SMS für Dich») hier wieder einmal für exakt ebenjenen Figurentypus besetzt wurde, für den man ihn immer besetzt, gefällt hier vor allem die Mischung aus bekannten und neuen Gesichtern. Neben Matthias Schweighöfer in der Hauptrolle, der die kontinuierlich ansteigende, emotionale Belastung perfekt zur Geltung bringt, weiß auch Alexandra Maria Lara («Vier gegen die Bank») als nicht minder besorgte Ehefrau zu überzeugen. In Nebenrollen sind unter anderem Catrin Striebeck («Zwischen den Jahren») als eigensinnige Ermittlerin, Edin Hasanovic («Schuld sind immer die Anderen») als ihr engagierter Kollege, „Die Mitte der Welt“-Star Louis Hofmann und Karoline Herfurth zu sehen. Die beiden letztgenannten spielten in den ersten zwei Folgen allerdings eine sehr untergeordnete Rolle. Die Vorfreude, mehr von ihnen zu sehen, ist daher groß.

Fazit


In den ersten beiden Episoden von «You Are Wanted» kündigt sich Matthias Schweighöfers erstmaliger Ausflug ins Genre- und Fernsehfach als hochspannende deutsche Antwort auf das britische TV-Phänomen «Black Mirror» an. Sollte die Serie dieses Niveau bis zum Ende durchhalten, appellieren wir jetzt schon einmal an die Schöpfer von «You Are Wanted», doch bitte jetzt schon über das nächste Projekt nachzudenken.

«You Are Wanted» ist ab dem 17. März exklusiv bei Amazon Prime abrufbar.

Kurz-URL: qmde.de/91795
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Es gibt 5 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
14.03.2017 16:01 Uhr 1
Ob da das so große Netflix nicht total neidisch auf die Konkurrenz von Amazon ist, das Amazon jetzt schon vor Ihnen die erste deutsche Serie startet??
Waterboy
14.03.2017 20:52 Uhr 2
Warum sollten Sie?



Netflix legt im Winter mit Dark nach, und das sieht zumindest vom Trailer her deutlich interessanter aus als Amazons Crime Serie.



Generell ist es aber völlig egal, hauptsache in der deutschen Serienlandschaft tut sich endlich mal was.
Sentinel2003
08.10.2017 11:20 Uhr 3
In der Deutschen Serienlandschaft tut sich doch was....es gibt und gab schon unzählige, wunderbare Mehrteiler in ARD und ZDF, zudem großartige Vorabend - Serien der SoKo Reihen!!



Das ZDF hat Samstags und Montags sehr gute Primetime Serien....wenn das nichts ist.
Waterboy
08.10.2017 11:27 Uhr 4
Warum holst du bitte 7 Monate alte Threads hervor ?
Neo
08.10.2017 14:23 Uhr 5
Mal vom Hochschubsen abgesehen: Krass, was ist das denn bitte für eine blöde Überschrift? YAR ist gegen Black Mirror doch wirklich nichts. Allein schon auf die Idee zu kommen... :o :?

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