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«Fear the Walking Dead»-Produzentin Gale Anne Hurd: 'Lasst uns zeigen, wie die Welt zusammenbricht'

von   |  5 Kommentare

Die erfolgreiche «Walking Dead»-Begleitserie «Fear the Walking Dead» geht in die zweite Runde. Wir haben mit Produzentin Gale Anne Hurd über die Hitshow (Hinweis: Es gibt Spoiler zur 1. Staffel), über Unterschiede zwischen Fernseh- und Filmproduktionen, Vielfalt in Hollywood und ihre zukünftigen Projekte gesprochen.

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In derselben Zeit, in der ich einen zweistündigen Film produziere, kann ich zum Beispiel im Falle von «Fear the Walking Dead» 15 Stunden eines Charakterdramas erzählen.
«Fear the Walking »-Produzentin Gale Anne Hurd
Wie schon erwähnt, haben Sie sehr viele Filme produziert, darunter auch sehr erfolgreiche. Was würden Sie sagen, sind die hauptsächlichen Unterschiede zwischen der Produktion eines Spielfilms und der Produktion einer TV-Serie, insbesondere in der heutigen Entertainment-Landschaft?
Es gibt natürlich eine Menge Unterschiede. Filme sind hauptsächlich das Medium des Regisseurs: Es ist seine Vision und er ist die wichtigste Person bei der Produktion. Fernsehen ist das Medium des Produzenten. Regisseure führen hier mal bei einer Episode Regie und arbeiten dann an einem anderem Projekt weiter und dann kommt wieder ein neuer Regisseur. Also sind Serien vielmehr für Produzenten geeignet, die eine Vision haben und eine große Herausforderung mögen. In derselben Zeit, in der ich einen zweistündigen Film produziere, kann ich zum Beispiel im Falle von «Fear the Walking Dead» 15 Stunden eines Charakterdramas erzählen. Ich kann im Fernsehen sehr viel produktiver sein und viel komplexere und reizvollere Geschichten erzählen.

Würde ein Film wie zum Beispiel «Terminator», an dessen Drehbuch Sie mitgeschrieben haben und den Sie auch produziert haben, heute noch möglich sein oder würde es eher eine TV-Serie sein?
Das ist eine sehr interessante Frage. Einer meiner Lieblingsfilme der letzten Jahre ist «Ex Machina». Und ich würde sagen, dass das eine Art «Terminator» ist. Also glaube ich schon, dass diese Art von Filmen nicht nur weiterhin produziert wird, sondern auch erfolgreich ist und einiges über die Menschen und über die Entscheidungen, die sie treffen, zu sagen hat. Und das ist das Großartige am Genre-Kino, nämlich dass es die schwierigen Fragen stellen kann. Eine Sache, die ich komisch finde: Jim (James Cameron) und ich haben «Terminator» 1984 produziert und erst vor kurzem haben visionäre Wissenschaftler und Ingenieure wie z.B. Stephen Hawkins und Eli Musk gesagt, dass uns empfindsame Künstliche Intelligenzen vielleicht gefährlich werden könnten. Sie hinken uns damit ein paar Jahre hinterher.

Wenn man eine Ensemble-Geschichte erzählt, ist es absolut essentiell, dass dieses Ensemble auch die Gesellschaft repräsentiert. Und jeder dieser fiktionalen Charaktere hat verschiedene Lebenserfahrungen.
«Fear the Walking »-Produzentin Gale Anne Hurd
Zur Zeit findet eine kontroverse Diskussion in Bezug auf ethnische Vielfalt in Hollywood statt, insbesondere nach der letzten Oscar-Verleihung. Auf der anderen Seite, scheint die Fernsehindustrie Vielfalt vor und hinter der Kamera willkommen zu heißen und zu fördern. Die interessantesten Serien, zumindest für mich, sind die Serien, die mehr Vielfalt zu bieten haben wie z.B. «American Crime Story» und auch Ihre Serien, welche die vielfältigsten Besetzungen zu bieten haben, die ich bisher gesehen habe. Ist das etwas, worauf Sie abzielen?
Wenn man eine Ensemble-Geschichte erzählt, ist es absolut essentiell, dass dieses Ensemble auch die Gesellschaft repräsentiert. Und jeder dieser fiktionalen Charaktere hat verschiedene Lebenserfahrungen. Ich glaube, es ist nicht sehr interessant, wenn man weiterhin Serien nur mit Menschen besetzt, die alle einen sehr ähnlichen Hintergrund und sehr ähnliche Lebenserfahrungen besitzen. Glücklicherweise bot Robert Kirkman schon allein mit seinen Comics als Ausgangsmaterial eine Grundlage für sehr viel Vielfalt.

Aber es gibt auch andere Fälle beim Casting: Es gibt zum Beispiel in «The Walking Dead» eine Figur, die Bob heißt und der in den Comics weiß ist. Der beste Schauspieler für diese Rolle war allerdings Lawrence Gillard Jr., der Afroamerikaner ist und den wir letztendlich für die Rolle gecasted haben. Gerade weil Los Angeles so ein Schmelztiegel bestehend aus so vielen verschiedenen Kulturen, Ethnien und Hintergründen ist, ist «Fear the Walking Dead» die perfekte Serie, um wirklich Menschen von überall zu casten. Zum Beispiel Cliff Curtis, der ein Maori aus Neuseeland ist. Wir waren in der Lage, ihn jemanden spielen zu lassen, der den gleichen ethnischen Hintergrund hat. Rubén Blades kann einen Mann aus Salvador spielen, obwohl er aus Panama stammt. Griselda, seine Frau in der Serie, wurde von der mexikanischen Schauspielerin Patricia Reyes Spindola gespielt. Als wir die Rolle des Victor Strand gecasted haben, standen wir jedem ethnischen Hintergrund offen gegenüber, aber Colman Domingo hat uns mit seiner Performance einfach umgehauen. Außerdem ist es faszinierend zu sehen, dass der wohlhabendste und erfolgreichste Geschäftsmann der Serie ein Afroamerikaner ist.

Warum glauben Sie, fällt es der Filmindustrie so schwer, sich dieser Entwicklung anzupassen?
Wie Sie schon andeuteten, basieren viele Filme auf bereits existierendem Ausgangsmaterial und oftmals gibt es dieses Material schon sehr, sehr lange und ist nicht gerade von Vielfalt geprägt. Offensichtlich ändert sich das momentan, aber eine Filmproduktion kann man sich wie ein sehr, sehr großes Schiff vorstellen, dessen Kurs man schwer korrigieren kann. Und sobald ein Film Erfolg hat und Sequels produziert werden, stehen Casting und die Hauptdarsteller schon weitestgehend fest. Und dann kommen schon drei bis vier Filme mit den gleichen Gesichtern zustande. Und das sind nicht notwendigerweise vielfältige Gesichter.

Mit der Filmlandschaft, die Sie gerade beschrieben haben, ist das eine Industrie, zu der sie gerne zurückkehren würden?
Oh ja! Ich entwickle momentan sogar neue Filme. Insbesondere in den Vereinigten Staaten produzieren und vertreiben aber die großen Studios immer weniger Filme. Aber ich stehe jedem Medium offen gegenüber. Ich produziere gerade meine dritte Dokumentation, was die meisten Leute nicht wissen. Das ist außerdem meine dritte Dokumentation über amerikanische Ureinwohner. Und wenn es eine ethnische Gruppe gibt, die in Film und Fernsehen unterrepräsentiert ist, dann sind es wohl die amerikanischen Ureinwohner. Ich bin offen für jede Art Medium, solange es zu der Story passt, die erzählt wird.

Ich werde Sie nicht nach spezifischen Story-Details der 2. Staffel von «Fear the Walking Dead» fragen, weil ich meine, dass die Zuschauer so etwas lieber selbst herausfinden sollten. Aber Sie produzieren auch eine neue Serie namens «Hunters» für den SyFy-Channel. Können Sie mir darüber etwas erzählen?
Die Serie basiert auf einen Roman von Whitley Strieber, der Romane geschrieben hat, auf denen z.B. der Film «Wolfen» und der Tony Scott - Film «Begierde» basieren. Die Geschichte bietet eine Projektionsfläche für Probleme, die momentan die Welt bewegen. Und eines dieser Probleme ist vor allem Terrorismus. In diesem Fall haben wir es mit Außerirdischen, also mit Wesen von einer anderen Welt zu tun. Wir sind nicht sicher, was ihre Motivationen sind. Die Serie ist einerseits unterhaltsam, aber kann auch relevante Probleme untersuchen, die uns zur Zeit beschäftigen. Auf die Frage: „Was können wir tun?“ gibt es keine einfachen Antworten. Das ist das zentrale Drama der Serie. Und anders als bei «The Walking Dead», wo die Charaktere einen Zombie sehr leicht identifizieren können, sehen die «Hunters» genauso aus wie wir. Also gibt es keine Möglichkeit, sicher zu sein.

Sind Sie nervös, wenn sie sich einem neuen Projekt annähern oder sind Sie als Produzentin so erfahren, dass Sie sagen können: Das ist kein Problem für mich?
Immer wenn man ein neues Projekt übernimmt, handelt es sich um eine Herausforderung, aber es ist auch immer eine Chance. Ich glaube, dass es aufregend sein kann, so viele Möglichkeiten zu haben, um viele verschiedene Geschichten erzählen zu können, die gleichzeitig relevant sind. Die Leute haben immer gesagt, dass «The Walking Dead» und «Fear the Walking Dead» von der Angst des Menschen vor jeder Art von Apokalypse handeln, sei es ein natürliches Desaster, sei es eine Grippewelle oder ein globaler, finanzieller Kollaps. Und auch wenn eine Welt unwahrscheinlich ist, in der wir uns Außerirdischen entgegenstellen müssen, von denen wir nicht wissen, was sie vorhaben, kann es gleichzeitig Spaß machen, zum Nachdenken anzuregen.

Welche TV-Serien schauen Sie in Ihrer Freizeit, wenn ich fragen darf? Bevorzugen Sie das düstere und schwere Drama oder eine leichte Comedy am Ende des Tages? Oder haben Sie gar keine Zeit dafür?
Im Moment arbeite ich an vier Serien, wo ich mir vor allem Aufnahmen vom Dreh ansehe (lacht). Aber ich mag «The Americans». Außerdem sehe ich gerne «Into the Badlands», eine andere AMC-Serie, die von meiner guten Freundin Stacy Sher produziert wird und in Deutschland wie «Fear the Walking Dead» bei Amazon Prime zu sehen ist. Ich mag die Reality Show «The Voice» (lacht). Und ich freue mich darauf, die restlichen Episoden von «American Crime Story» nachzuholen.

Würden Sie selbst in Erwägung ziehen, eine leichtere Serie oder eine Komödie zu produzieren?
Ich habe sogar schon eine Komödie vor langer Zeit mit dem Namen «Ich liebe Dick» produziert. Es ging dabei um Richard Nixon, der von Dan Hedeya gespielt wurde. Außerdem haben Kirsten Dunst und Michelle Williams mitgespielt. Ich habe also schon Komödien produziert (lacht).

Vielen Dank für das ausführliche Gespräch und weiterhin viel Erfolg mit «Fear the Walking Dead».

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Es gibt 5 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
28.07.2016 20:18 Uhr 1
Also, mir gefällt das spin-off!
logan99
28.07.2016 22:14 Uhr 2
"Unser Ansatz bei «Fear the Walking Dead» ist: Lasst uns zeigen, wie die Welt zusammenbricht. Offensichtlich breitet sich die Infektion sehr schnell aus. Aber wir haben die Möglichkeit, die neuen Regeln dieser Welt kennenzulernen und den Verfall der Gesellschaft zusammen mit den Charakteren zu erleben."



Ähm, und warum hat man vom Zusammenbruch der Welt und Zerfall der Gesellschaft nicht sonderlich viel zu sehen bekommen?





"Ziel der ersten Staffel von «The Walking Dead» war es, zu zeigen, wie Rick Grimes wieder mit seiner Familie zusammengeführt wird. Bei «Fear the Walking Dead» fangen wir stattdessen direkt mit einer Familie an. Und zwar mit einer Familie, die sofort mit schweren Tragödien konfrontiert wird. Das macht unter anderem den Unterschied zwischen diesen beiden Serien aus."



Ah, alles klar. Das ist natürlich eine massive inhaltliche Neuausrichtung gegenüber der Mutterserie. Und ich Depp habe immer gedacht, man würde genau das gleiche Schema nochmal abspulen. Jetzt macht es auch für mich endlich Sinn, warum es dieses Spin-Off gebraucht hat.



Danke für die aufklärenden Worte im Interview :D
Vittel
28.07.2016 22:37 Uhr 3
Eben genau das wird ja nicht gezeigt in Staffel 1. Da bleibt vieles sehr unklar, wie die Seuche sich ausbreitet und die Gesellschaft zerfällt.



Ab Staffel 2 gibt es keinen Unterschied mehr zur Hauptserie: Eine Gruppe von Menschen ist auf der Flucht und trifft auf Zombies und überlebende Menschen, deren Motive meist im unklaren liegen.



Ich schaue sie trotzdem ganz gerne, gerade die letzten paar Folgen ware deutlich besser als alles zuvor.
Sentinel2003
21.06.2017 15:41 Uhr 4
"Insbesondere in den Vereinigten Staaten produzieren die großen Studios immer weniger Filme"?



Liegt das etwa an der momentanen Serien - Schwemme? Stimmt das denn überhaupt?
Sentinel2003
06.11.2018 08:41 Uhr 5
Schon krass, daß von den 4 Ur - Darstellern nur noch eine lebt!
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