Die Kino-Kritiker

«Carol»

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Vergangene Woche heimste Todd Haynes Liebesdrama «Carol» fünf Golden-Globe-Nominierungen ein, womit der Film zu den größten Award-Favoriten der Saison gehört. Doch die Geschichte um die Liebe zweier ist nur auf dem Papier so sensibel wie es die Prämisse verspricht.

Filmfacts «Carol»

  • Kinostart: 17. Dezember 2015
  • Genre: Drama
  • FSK: 6
  • Laufzeit: 118 Min.
  • Kamera: Edward Lachman
  • Musik: Carter Burwell
  • Buch: Phyllis Nagy
  • Regie: Todd Haynes
  • Schauspieler: Cate Blanchett, Rooney Mara, Sarah Paulson, Kyle Chandler, Jake Lacy, John Magaro, Cory Michael Smith
  • OT: Carol (UK/USA/FR 2015)
«Carol» ist ein Triumph. Es bedarf gar nicht erst eines Blickes auf den letztlich zustande gekommenen Film, um schon bei der Thematik zu erkennen: Hier geht es gar nicht so sehr um die Inszenierung, um Schauspielleistungen, geschweige denn um die eventuellen Chancen auf einen von vielen internationalen Filmpreisen. Regisseur Todd Haynes («I’m not There») versucht sich mit seinem Lesben-Melodram an der Setzung eines Statements. Doch auch mit dieser Aussage trifft man bloß den oberflächlichen Kern; «Carol» ist kein ausschließliches Plädoyer für die Gleichberechtigung von Homosexuellen. Stattdessen versteht sich Haynes‘ Film als der lautstarke Versuch, eine von Hollywood immer wieder geforderten Emanzipation endlich salonfähig zu machen. Schaut man sich an, wie das Drama mit Cate Blanchett («Blue Jasmine») und Rooney Mara (David Finchers «Verblendung») in den Hauptrollen von der internationalen Presse aufgenommen wurde, ist dieses Unterfangen uneingeschränkt geglückt. Von den stärksten Frauenfiguren aller Zeiten ist da die Rede, von einem bedeutenden Beitrag für eine Gesellschaft, in welcher gleichgeschlechtliche Liebe dasselbe Ansehen genießen sollte, wie Beziehungen zwischen Mann und Frau, sowie von einem der stärksten Dramen dieses Jahrzehnts.

Im New York der 1950er-Jahre führt Carol (Cate Blanchett) eine unerfüllte Ehe mit ihre wohlhabenden Mann Harge (Kyle Chandler). Sie lernt die junge Therese (Rooney Mara) kennen, die in einem Kaufhaus arbeitet und von einem besseren Leben träumt. Auf einer gemeinsamen Reise entwickelt sich eine ganz besondere Bindung zwischen ihnen und schließlich die große Liebe. Harge will das neue Glück seiner Frau jedoch nicht akzeptieren. Er beauftragt einen Privatdetektiv damit, dem frisch verliebten Paar zu folgen und entscheidende Beweise für das laufende Scheidungsverfahren einzusammeln. Carol muss schon bald um das Sorgerecht für ihre geliebte Tochter kämpfen. Ihr Mann versucht, es ihr mit allen Mitteln zu nehmen.

«Carol» ist gewiss ein nicht unbedeutender Beitrag des fast vergangenen Filmjahres. Das auf dem Roman „Salz und sein Preis“ von Patricia Highsmith («Die zwei Gesichter des Januars») basierende Projekt ist ein absolut solides Drama mit starker Aussage. Doch auch ein solches lebt schlussendlich nicht nur von der lobenswerten Intention des Regisseurs, sondern allen voran davon, wie es auf der Leinwand wirkt, wie es lebt, was es im Zuschauer auslöst. Ausgerechnet eine der beiden Hauptdarstellerinnen macht dem uneingeschränkten Sehvergnügen nämlich einen Strich durch die Rechnung: Cate Blanchett.

«Carol» lebt von zwei Protagonistinnen und obwohl der Filmtitel es anders andeutet, ist nicht die von Cate Blanchett verkörperte Upper-Class-Lady die Schlüsselfigur der Erzählung, sondern die zurückhaltende Therese. Es grenzt schier an ein Unding, dass das verantwortliche Studio bei der Oscar-Promotion in Haupt- und Nebendarstellerin unterteilt (immerhin bei den Golden Globes hat man Blanchett und Mara gemeinsam in einer Kategorie nominiert). Dass dieser Schritt von der Befürchtung herrührt, die Performances der beiden Damen könnten sich im Abstimmungsverfahren gegenseitig die Stimmen klauen, ist zwar per se ein nachvollziehbarer Gedanke, doch gerade für die um einiges stärker agierende Rooney Mara, die obendrein eine wesentlich komplexer geschriebene Figur verkörpert, ist dieses Prozedere ein Schlag ins Gesicht. Es ist nicht zu leugnen, dass der Charakter der Carol auf eine ausladendere Präsenz angelegt ist; wo sich Rooney Mara in subtiler Gestik übt und ein einziger Blick ihrerseits genügt, um von Verzweiflung in Verdruss und schließlich in schüchterne Hoffnung umzuschlagen, verlässt sich Cate Blanchett lieber auf ein Spiel, das sich einmal mehr nahe am Overacting befindet. Dabei ist es weniger der sehr affektierte Gestus der 46-jährigen Australierin, der jedweden Anklang von subtiler Emotion vermissen lässt. Es ist allen voran die ihrerseits stets aufgesetzt wirkende Art der Verständigung, die dem Zuschauer negativ auffällt. Dies bezieht sich beileibe nicht nur auf die Momente des Dialogs, sondern gerade auf jene, in der Kommunikation ohne Worte stattfindet.

In Szenen, in welchen sich Carol und Therese mit Blicken und Berührungen austauschen, lässt «Carol» sämtliches Knistern der sich zwischen den Zeilen abspielenden Romanze im Keim ersticken. Wenn Cate Blanchett innerhalb der ersten Szene ihre Hand auf die Schulter von Schauspielkollegin Mara legt, setzen die Macher diese feinfühlige Geste so aufdringlich in Szene, dass «Carol» ab diesem Moment keinen Raum für Interpretationen lässt. Todd Haynes nimmt das rührende Skript, um es von jedweder Feinfühligkeit freizusprechen und stattdessen so zu inszenieren, dass der Zuschauer die subtile Message des Filmes nicht ergründen muss, sondern aus jeder erdenklichen Perspektive vorgekaut bekommt. Es scheint Haynes zu genügen, dass sein Film nicht gespürt, sondern lediglich angesehen werden braucht, damit sich das Optimum seiner emotionalen Bandbreite in Gänze erfassen lässt. Denn genau diese ist nicht so breit gefächert, wie man es von einer komplexen Charakterstudie zu erwarten hat. Haynes‘ Charaktere offenbaren ein recht ansehnliches Spektrum möglichst niedergeschlagener Befindlichkeiten, doch abseits dessen fehlt ihnen ein zumindest ansatzweise spürbares Gegengewicht. Und schaut man auf die (männlichen) Nebenfiguren, bedient man sich gar an Stereotypen; der eine klammert, der andere setzt unter Druck – doch ein Fundament, das die Charaktere glaubhaft als solche etablieren würde, gibt es nicht.

«Carol» ergießt sich in einer Melancholie, die bisweilen in Lethargie umschlägt und für die Kameramann Edward Lachman («Paradies»-Trilogie) erlesene Bildkompositionen erfindet. Todd Haynes besinnt sich ganz auf den alleinigen Stellenwert seines Films als Tragödie. Dazu drosselt er das Tempo aufs Schärfste und meint es damit meist zu gut. Dass Bilder von einer mit leerem Blick aus dem Fenster starrenden Carol die Einsamkeit ihrer Figur unterstreichen sollen, ist von einer eindeutigen Aussagekraft. Jener scheinen die Macher jedoch nicht ganz zu trauen. Anders ließe es sich nicht erklären, weshalb derartige Szenen nicht bloß en masse vor-, sondern auch von einer Länge daherkommen, dass sich ein Plot, der sich innerhalb von 90 Minuten erzählen ließe, hier auf knapp zwei Stunden ausgedehnt wird. Für den Zuschauer wird dieser Umstand zum Stolperstein und auch die Aussage, ein derartiger Film benötige Form der Unbequemlichkeit darf infrage gestellt werden. Der Regisseur inszeniert zu konventionell, um sich so herausreden zu können. Stattdessen ist seine anstrengende Machart das Ergebnis von einem Überengagement in Sachen Tristesse. Der Plot ist eindeutig, die Befindlichkeiten der beiden handelnden Figuren ebenfalls – da ist die langatmige Inszenierung allenfalls ein Zugeständnis an jene Zuschauer, die sich trotz des offensichtlichen Spiels von Cate Blanchett nicht auf Anhieb in der Lage sehen, die Hintergründe ihrer Figur zu durchschauen.

Natürlich darf gerade in Bezug auf ein solch komplexes Thema die Frage gestellt werden, ob ein Film wie «Carol» überhaupt bestrebt ist, eine Geschichte zu erzählen, die von Aktionen und Reaktionen lebt. Todd Haynes geht es im Grunde nicht darum, eine Handlung zu inszenieren, die ein bestimmtes Ziel hat. Stattdessen möchte er einen Einblick in das Seelenleben von zwei Frauen geben, die auf ganz unterschiedliche Weise mit derselben Situation umgehen. Was sich diesem Vorhaben in den Weg stellt, ist die Nahbarkeit der Charaktere. Während sich Maras sensibles Spiel positiv auf jene ihrer Figur auswirkt und sich der Zuschauer gut in ihre Lage versetzen kann, geht Blanchetts Carol jedwede Form der Zugänglichkeit ab. Ihre Figur bleibt Staffage in einem Film, der von komplexen Gefühlsregungen lebt respektive leben müsste ist. Wie auch die Handlung eine Reise der Selbstfindung thematisiert, versteht sich auch «Carol» inhaltlich als eine Der-Weg-ist-das-Ziel-Inszenierung, doch den Weg mit dieser Figur der von Blanchett so anstrengend verkörperten Carol zu begehen, dazu erfordert es den unbedingten Willen, diesen Film besser zu reden als er ist. Wer nun daran appellieren möchte, dass man sich als Zuschauer gern auch mal über seine eigene Bequemlichkeit hinwegsetzen solle, seinem Filmerlebnis nicht mehr als reine Berieselung zuzutrauen, dem lässt sich an dieser Stelle entgegensetzen, dass eine Figur, die einen nicht berührt, einem vielleicht auch einfach deshalb egal ist, weil ihre Charakterisierung lediglich an der Oberfläche kratzt. Arme Rooney Mara – denn sie ist hier diejenige, die nicht nur die eigentliche Hauptrolle spielt, sondern die den Film schlussendlich sogar oft retten muss.

Fazit: Um die Aussage vom Beginn dieser Rezension ein weiteres Mal zu bemühen: «Carol» ist in seiner Intention tatsächlich ein Triumph. Die Umsetzung hingegen lässt ob ihrer gewollt schwerfälligen Inszenierung und einer affektierten Cate Blanchett jedoch Authentizität und Emotionalität vermissen. Dafür sei Rooney Mara jeder Filmpreis dieser Welt vergönnt; ihre Leistung gehört zu den besten der vergangenen Jahre.

«Carol» ist ab dem 17. Dezember in den deutschen Kinos zu sehen.

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