Die Kritiker

«Paulette – Die etwas andere Oma»

von

Das Sommerkino im Ersten blickt ein weiteres Mal nach Frankreich. Diese Woche dealt «Paulette» mit Drogen, um ihre Rente aufzubessern.

Cast und Crew

Vor der Kamera:

Bernadette Lafont («Wenn wir zusammen sind») als Paulette, Carmen Maura («Free Zone») als Maria, Dominique Lavanant («Désiré») als Lucienne, Françoise Bertin («Der kleine Nick») als Renée und André Penvern («Grace of Monaco») als Walter


Hinter der Kamera:

Regie: Jérôme Enrico; Drehbuch: Jérôme Enrico, Bianca Olsen, Laurie Aubanel und Cyril Rambour; Produktion: Alain Goldman; Musik: Michel Ochowiak; Kamera: Bruno Privat; Schnitt: Antoine Vareille
„Haha, eine Oma macht Dinge, die nicht typisch für Rentner sind. Wie lustig!“ – Wer denkt, dass Jérôme Enricos internationaler Kritikererfolg «Paulette – Die etwas andere Oma» einseitigen Holzhammerhumor dieser Güte bietet, ließ sich in die Irre führen. Denn selbst wenn die spitzzüngige Komödie anfangs viel auf Pointen dieser Marke setzt, so entwickelt sich die liebenswerte Satire im weiteren Verlauf zu einem humorvollen Charakterstück, das auf unterhaltsame Weise auf gesellschaftliche Missstände hinweist.

Das vierköpfige Autorenteam nimmt sich diesen Problemen an, indem es sehr, sehr frei nach wahren Begebenheiten von der Rentnerin Paulette erzählt. Diese wohnt in einer heruntergekommenen Vorstadt mit hohem Immigrantenanteil, was die grantige Oma regelmäßig zur Verzweiflung treibt. Vor Jahren mussten sie und ihr mittlerweile verstorbener Ehemann nämlich ihr gemeinsam geführtes Restaurant aufgeben, um Platz für ein florierendes Asia-Lokal zu machen. Dies nimmt Paulette den „Arbeitsplätze klauenden Ausländern“ noch immer übel – und an den Besitzern des Asia-Restaurants rächt sie sich noch immer, indem sie Kakerlaken in die Küche schmuggelt. Die einzige Freude in Paulettes Leben sind die Kartenabende mit ihren Freundinnen Maria, Lucienne und Renee, bei denen sie liebend gern über ihren schwarzen Schwiegersohn, den Polizisten Ousmane lästert. Der nimmt Paulettes Gemeinheiten immerhin mit Humor und sieht nicht ein, etwas an seiner Schwiegermutter zu ändern. Paulette dagegen will mit aller Macht aus ihrem Trott ausbrechen. Als sie neidvoll beobachtet, wie jugendliche Drogenhändler in Saus und Braus leben, fasst sie einen folgenschweren Beschluss: Sie will ins Marihuanageschäft einsteigen und sucht daher den nächstbesten Drogenboss auf, um sich bei ihm zu bewerben …

Der stärkste Aspekt von «Paulette – Die etwas andere Oma» findet sich in der so mühelos scheinenden Darbietung der Hauptdarstellerin Bernadette Lafont, die nicht davor zurückschreckt, die Titelfigur grantig und politisch inkorrekt anzulegen. Paulettes Ausländerhass ist schwer zu entschulden und auch ihre Emotionslosigkeit ist mehr als nur eine Schrulle. Sie ist tief in ihrem Charakter verwurzelt, was Paulette zu einer kantigen, schwierigen Hauptfigur macht. Doch umso amüsanter ist es, wenn sie durch den ihr winkenden monetären Gewinn lernt, mit Ausländern zusammenzuarbeiten oder Achtung vor ihrem Enkel entwickelt, weil er sie auf eine clevere Geschäftsidee brachte. Diese Elemente machen «Paulette – Die etwas andere Oma» zu einer wunderbar eigensinnigen „Fisch aus dem Wasser“-Charakterkomödie. Das unterfüttern die Autoren zudem mit allerlei überspitzten, aber glaubwürdigen Seitenhieben auf die gesellschaftliche Lage in Frankreich – in die sich gewiss auch manche deutsche Zuschauer hineinversetzen können.

Sinkende Renten, eine grassierende Kriminalitätsrate und in Mitten dessen der schwer abzuschüttelnde Irrglaube, dass alles einfach wäre, würde man schlichtweg auf das Gesetz scheißen: Komödien, in denen brave Bürger vom Pfad der Tugend abweichen, gibt es zwar in rauer Menge, aber nur selten verläuft dieser Wandel in so überzeugend gespielten, plausibel geschriebenen Schritten wie in «Paulette – Die etwas andere Oma». Der daraus entstehende schwarze Humor peppt diesen französischen Filmspaß weiter auf, dessen ungeachtet verliert Jérôme Enrico nur selten den realen Kontext seiner Geschichte. Wenn jugendliche Dealer Paulette angreifen, weil sie in ihrer Gegend handelt, gibt es beispielsweise zwar Pointen darüber, dass so mancher es nicht übers Herz bringt, eine Frau zu verprügeln, die an die eigene Großmutter erinnert. Gleichwohl bliebt die Bedrohung des illegalen Lebens spürbar – und treibt so auch die Handlung vorwärts.

Der Schluss ist dagegen leider recht konventionell geraten und Paulettes Freundinnen sind, anders als ihre Familie und „Arbeitskollegen“, bedauerlich eindimensional. Trotzdem verbreitet Jérôme Enricos gesellschaftliche Komödie großes Sehvergnügen mit skurrilem Charme, ohne dabei in den magisch-verträumten Gefilden von Amélie und Co. zu wildern.

«Paulette – Die etwas andere Oma» ist am Montag, den 14. Juli 2014, um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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