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Die Wiedergeburt des Undercover-Journalisten

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So viel Aufmerksamkeit war RTL schon lange nicht mehr zuteil. Das «Team Wallraff» hat mit seiner Burger-King-Reportage einen echten Coup gelandet - in Köln plant man nun schon weiter. Was RTL richtig gemacht hat und weshalb gerade Sat.1 diesen Dreh viel besser für sich nutzen könnte.

RTL-Programmgeschäftsführer Frank Hoffmann wird sich in diesen Tagen die Hände reiben. Das, was seinem Sender in Zusammenhang mit der in der vergangenen Woche gezeigten Undercover-Reportage von «Team Wallraff» gelungen ist, war wohl das, was er meinte, als er vor Monaten das Ziel ausgab, den Sender auch journalistisch wieder stärker positionieren zu wollen. Gesprochen wurde im Zusammenhang mit dem Marktführer der 14- bis 49-Jährigen also mal nicht über «Superstar» oder «Supertalent» – auch nicht über Dschungel-Camper, sondern über ein echt starkes Stück TV-Journalismus. Hinter diesem steht Enthüllungsjournalist Günter Wallraff, der für seine neue Doku-Reihe nicht mehr selbst rausgeht, sondern jungen Kollegen den Vortritt lässt.

Die Mängel, die in einigen Restaurants des Fast-Food-Riesen Burger King zum Vorschein kamen, lösten eine Welle der Empörung aus. Binnen weniger Minuten war die Facebook-Seite des Unternehmens voller Unmutsbekundungen; am Tag nach der Sendung veröffentlichte Burger King ein erstes Statement, das erneut von zahlreichen Medien wiedergegeben wurde. Eine Woche später teilte Burger King nun mit, dass der Geschäftsführer des Franchise-Nehmers der betroffenen Filialen ausgetauscht wurde. Das am Montag ab 22.50 Uhr gezeigte Magazin «Extra», das erzählte, wie es in Sachen Burger King weiterging, erzielte mehr als 25 Prozent Marktanteil. RTLs «Team Wallraff» ist damit der vielleicht größte Recherche-Coup des Privatfernsehens gelungen seit «akte»-Reporter Koks im Bundestag fanden.

Wieso müssen wir Journalisten das machen? Die hätten auch Testesser schicken können.
Günter Wallraff über Burger King
Dass zwischen beiden Schlagzeilen eine geraume Zeitspanne liegt, hat seine Gründe. Formate wie «Team Wallraff» sind vergleichsweise teuer, weil die intensive Recherche und Drehvorbereitung viel Geld frisst. Geld, das Sender lange Zeit nicht mehr zur Verfügung stellten. Enthüllungsjournalismus mag vielleicht Reputation bringen, aber nicht unbedingt wirtschaftlich sinnvoll sein. Dass es RTL ist, dessen Nachrichtenimage ohnehin weit höher anzusiedeln ist als das der privaten Konkurrenz von ProSiebenSat.1, überrascht dabei nicht. Mit Wallraff hat man sich in Köln eine echte Instanz an Bord geholt. Der Journalist kündigte bei einem Auftritt im ZDF-Format «Markus Lanz» an: „Wir werden ihnen weiter auf die Finger schauen. Ich hoffe, dass sich etwas tut.“ Zudem äußerte er Unverständnis gegenüber der Burger-Kette: „Wieso müssen wir Journalisten das machen? Die hätten auch Testesser schicken können.“

In der zweiten Episode, die allerdings für deutlich weniger mediale Schlagzeilen sorgte, von RTL aber im Vorfeld 30 Minuten mehr Sendezeit zugesprochen bekam, deckte eine von Wallraff beauftragte Reporterin unhaltbare Zustände in deutschen Pflegeheimen auf und dokumentierte, wie Millionen von Euro für ambulante Pflege auf den Konten betrügerischer Pflegedienste versickern. In der kommenden Woche läuft noch eine weitere Episode der Reihe - und RTL plant schon weiter. Ab Herbst soll mit «Undercover Deutschland» ein weiteres Format dieser Farbe das Licht der Welt erblicken. RTL-Reporter Wolfgang Kuhnigk hat bei den Dreharbeiten des Formats der Polizei wichtige Hinweise zur Aushebung eines Pädophilen-Rings gegeben. Kuhnigk ist übrigens kein Unbekannter im deutschen Fernsehen: Vor über zwei Jahren war er bereits Reporter in der qualitativ guten RTL II-Reihe «Investigativ», die aber nicht fortgeführt wurde.

Weil und während «Team Wallraff» in aller Munde ist, schickt auch Sat.1 einen Reporter zu Undercover-Einsätzen – könnte sich aber den Trubel rund um die RTL-Sendung eigentlich viel mehr zu Nutze machen.

In Unterföhring fiel die Wahl auf den langjährigen «akte»-Reporter Daniel Lange. Der ehemalige Polizist soll laut Senderangaben tiefer in Milieus eindringen als es andere vorher wagten. Zum Auftrag sendet Sat.1 am Dienstagabend ab 23.20 Uhr – also direkt nach«akte» – eine Reportage über Zwangsprostitution in Deutschland. Auf den von «Team Wallraff» angeschubsten und nun recht schnell fahrenden Zug springt die PR-Abteilung nicht auf. Fast erstaunlich, dass man kein Stück von diesem leckeren Kuchen abhaben will. Münchner Überheblichkeit oder klarer Plan? Sei es drum – dass Sat.1 sich allein wieder an ein investigatives Format traut, ist löblich. Hinter diesem steht META Productions, ein Tochterunternehmen von Endemol, das seit Jahren «akte» produziert.

„Als langjähriger Investigativ-Reporter habe ich schon tief blicken können in die Abgründe unserer Gesellschaft. Aber was ich im Zuge meiner Recherchen für «Lange Undercover» erlebt habe, hat mich mitunter sehr schockiert. Aber Wegschauen hilft nicht. Wer etwas verändern will, muss dahin gehen, wo es weh tut“, kündigt der 39-jährige Sat.1-Reporter an. Während von Wallraffs Sendung nur noch eine Folge aussteht, zeigt Sat.1 sechs Stück in den kommenden Wochen. Es wird also eine Art Fernduell zwischen Wallraff und Lange – Gewinner sind jedenfalls die Zuschauer. Zumindest sofern «Lange Undercover» sein Versprechen einhält und die gewonnenen Erkenntnisse sachlich und eben nicht effekthascherisch wiedergibt. In diesem Falle wäre es also wirklich zu wünschen, dass die Macher schon vorher wussten, was «Team Wallraff» bei RTL richtig gemacht hat. Und: Wer in diesen Tagen in Grünwald bei RTL II leise den Finger hebt und vorsichtig behauptet, mit «Investigativ» Vorreiter bei der Wiederbelebung solcher Elemente gewesen zu sein, der irrt sicherlich nicht gänzlich.

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