Die Kino-Kritiker

«Attack The Block»

von
Dem britischen Regie-Debütant Joe Cornish gelingt mit einer Handvoll Jungdarstellern ein knackiger Sciencefiction-Kracher, der auch zwischen cleveren Tricks nicht seine kritischen Untertöne verliert.

Außerirdische fallen auf der Erde ein – wohl auf ewig eines der zentralen Motive des Sciencefiction-Films, von dem Moment an als die Bilder laufen lernten bis zu den bildgewaltigen Schlachten um den Planeten, die in den letzten Jahren die große Leinwand eroberten oder beim Versuch scheiterten. Doch mittlerweile scheint man an dem Punkt angekommen, an dem der reine Effekt-Overkill keine neuen Reize mehr setzen kann – von 3D abgesehen, das zuletzt selbst das «Transformers»-Franchise in neue Höhen trieb. Das «Independence Day» von einst ist heute «World Invasion: Battle Los Angeles». Immer noch solides Blockbuster-Kino, das seine Zuschauer findet, aber alleine mit routiniertem Mix klassischer Grundzutaten beim anspruchsvolleren Publikum nicht mehr weit kommt. Variationen und frische Ideen sind gefragt, um bei den Genre-Liebhabern wieder für Begeisterung zu sorgen. Die britische Produktion «Attack the Block» hat sie gefunden und schafft so mit kleinen Mitteln großes Action-Kino.

Fußball auf der Spielkonsole und das Herumtreiben um die verfallenen Häuserblöcke sind für Moses (John Boyega) und den Rest seiner fünfköpfigen Bande Halbstarker die einzigen Beschäftigungen in einem sozial benachteiligten Viertel im Süden Londons, das sich nächtens in eine unangenehme Gegend verwandelt. Das wird auch der Krankenschwester Sam (Jodie Whittaker) zum Verhängnis, als ihr die fünf Jugendlichen den Weg abschneiden und unter Androhung von Gewalt Schmuck und Bargeld rauben. Erst als die Explosion eines Autos die Szenerie erschüttert, bietet sich der jungen Frau die Möglichkeit zur Flucht. Tatsächlich hat ein Meteor das Vehikel zertrümmert und eine gefährliche Fracht mit sich gebracht: eine außerirdische Kreatur, die gegen Moses jedoch den Kürzeren zieht und schon bald als Trophäe zu Drogendealer Ron (Nick Frost) getragen wird. Doch dann schlagen weitere Meteore quer über die Stadt verteilt ein und die Langeweile des Alltags wandelt sich in ein Spiel zwischen Jagd und Flucht.

Schon «Cowboys & Aliens» versuchte sich unter durchwachsenen Kritiken kürzlich daran, nicht die außerirdischen Invasoren, sondern ihre Widersacher auf der Erde zu variieren. Und «District 9» gelang zwei Jahre zuvor ein Überraschungserfolg, als das Sciencefiction-Genre geschickt mit sozialkritischem Drama über die Slums nahe Johannesburg verwoben wurde. Beide Komponenten finden sich in «Attack the Block» wieder ohne gezwungen zu wirken, allerdings in einer gänzlich anderen Dosierung.

Moses und seine Gefolgschaft aus Dennis (Franz Drameh), Pest (Alex Esmail), Jerome (Leeon Jones) und Biggz (Simon Howard) sind der antiheroische Gegenentwurf zum heldenhaften US-Soldaten, der in Filmen sonst so oft gegen außerirdische Invasoren in den Kampf geschickt wird. Die Protagonisten von «Attack the Block» handeln zunächst nicht aus hehren Motiven, sondern aus niederem menschlichen Antrieb: Langeweile, Neugierde und letzten Endes auch die Rettung der eigenen Haut. So ist es auch kein großes Problem, Identifikationspunkte zu finden, obwohl die Figuren mit dem Überfall auf eine wehrlose Frau eingeführt werden. Ein dünner, aber konsequenter Faden an Sozialkritik durchzieht «Attack the Block», der niemals aufdringlich wird, aber dennoch Botschaften transportiert, was vor allem im Finale des Films deutlich wird.

Im Großen funktioniert «Attack the Block» aber auch schlicht als Actionfilm, in dem Joe Cornish in seinem Regiedebüt das Kunststück gelingt, das flotte Tempo trotz verhältnismäßig bescheidener Mittel über die vollen 88 Minuten aufrecht zu erhalten. Gekonnt verknüpft der Film packende Action mit gelungenem Thrill und einigen ruhigen Dialogszenen, die den Charakteren die nötige Tiefe und Entwicklung verschaffen, um nicht in Klischees zu verfallen. Über allem liegt ein fein dosierter – wenngleich zuweilen auch mal derber – Humor, der sich durch den ganzen Film zieht und ihn schon fast zu einer Actionkomödie macht ohne jedoch den sozialkritischen Hintergrund zu verdecken oder abzuwerten.

Der wohl genialste Kniff ist den Machern bei der Umsetzung der außerirdischen Kreaturen gelungen. Hier zeigt sich: Es braucht kein besonders hohes Budget und ein Heer von Animatoren, die immer feiner gerenderte Kreaturen umsetzen, sondern in erster Linie eine visuelle Idee. Mit seinem verglichen mit den großen Hollywood-Blockbustern mickrigen Budget von 9 Millionen Pfund präsentiert «Attack the Block» zweifelsohne eines der faszinierendsten, unheimlichsten und fremdartigsten Aliens der letzten Jahre und bedient sich dabei keineswegs des Tricks, dieses nie richtig im Bild zu zeigen, wie es zuletzt über weite Strecken bei «Super 8» der Fall war. Ein Wesen, dem man nicht auf der Straße begegnen und sich nach dem Kinobesuch dann doch gerne im Kleinformat ins Schlafzimmerregal stellen möchte. Und auch sonst braucht sich «Attack the Block» mit seinen knackigen Bildern und kräftigen Sound nicht vor der Konkurrenz verstecken.

Das gilt auch für die überzeugende Leistung der Darsteller, die hier zu großen Teilen genau wie der Regisseur ihren Einstand auf der Leinwand geben. Für alle Mitglieder der Gang ist es der erste oder zweite Film. Auch wenn der ein oder andere sicherlich noch Steigerungspotential hat, bringt das Ensemble hier eine beeindruckende Leistung. Jodie Whittaker merkt man hingegen ihre jahrelange Erfahrung vor allem im Theaterbereich an. Ihr ist es zu verdanken, dass die sich stetig verändernde Beziehung von Sam zu Moses und seinen Jungs realistisch erscheint. Der große Name des Films verbirgt sich erst in den Nebenrollen: Nick Frost, bekannt aus «Shaun of the Dead» oder «Hot Fuzz» dürfte einige Fans ins Kino ziehen.

Als "kleiner" Film aus dem Bereich zwischen Action und Sciencefiction wandelt «Attack the Block» auf den Pfaden von «District 9» aus dem Jahr 2009 und ist trotz Gemeinsamkeiten doch völlig anders. Hier wie dort mischt sich sozialkritisches Drama in eine actiongeladene Sciencefiction-Story, transportiert nachdenkliche Ansatzpunkte ohne aufdringlich zu wirken und in beiden Fällen ist es ein frischer Regisseur, der das Genre von einer neuen Seite beleuchtet. Doch während Neill Blomkamp für «District 9» einen fast beklemmend realistischen Weg wählte, setzt Cornish auf einen hohen Spaßfaktor an Action, Humor und einem gewissen Maß an britischer Überdrehtheit. Beides funktioniert, aber an «Attack the Block» dürfte auch vor allem die Zielgruppe Popcornkino ihre Freude haben.

«Attack the Block» ist ab Donnerstag in vielen deutschen Kinos zu sehen.

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