Schlüter sieht's

«Schlüter sieht's»: Danke, Loriot

von
Jan Schlüter über das Leben und Wirken des größten deutschen Komikers der vergangenen Jahrzehnte.

Eher selten fällt es einem Kolumnisten schwer, die Empfindungen und Gefühle zu Papier zu bringen, die er bei einem einschneidenden Ereignis empfindet. Ein solches Ereignis ist am Montag eingetreten: Vicco von Bülow verstarb im Alter von 87 Jahren. Diesmal aber, im Falle des Todes von Loriot, dem Mann, der jahrzehntelang die deutschen Wohnzimmer mit seinen Filmen und Fernsehsendungen unterhielt, ist es äußerst schwer und herausfordernd, die richtigen Worte und Sätze zu finden, um das monumentale Werk dieses Genies ausreichend würdigen zu können.

Es ist keine richtige Trauer, die ich als langjähriger Kenner und Fan Loriots fühle. Anders als beim Tod von Rudi Carrell, Michael Jackson oder anderen einflussreichen Mediengrößen, die in den vergangenen Jahren starben und denen man sich verbunden fühlte, war Loriot jemand, der mehr durch Distanz begeisterte denn durch emotionale Nähe. Distanz: Dies ist immer ein Grundsatz des Loriot’schen Humors gewesen. Es reicht nicht zu sagen, dass Loriot in seinen Sketchen die Gepflogenheiten der Deutschen distanziert beobachtete und dann in seiner unverkennbaren Art persiflierte. Auch er selbst hielt sich immer distanziert zum medialen Geschehen um ihn – abgesehen von seinen zahlreichen herausgegebenen Büchern wirkte er im Fernsehen und Film durch Qualität, nicht durch Quantität. Ich empfinde nach seinem Tod weniger Traurigkeit, sondern eher eine unermessliche Ehrfurcht und Respekt vor diesem Werk und diesem Mann, der die ganze Bundesrepublik zum Lachen brachte.

Mit Eleganz und Stil blickte Loriot in deutsche Wohnzimmer und überzeichnete Alltagssituationen, die wir alle nachempfinden können; als Beispiel sei hier die prototypische bürgerliche Familie Hoppenstedt genannt. Zuweilen glitt sein Humor auch ins Plakative und Klamaukige wie im Sketch „Das Monster-Interview“, doch auch hinter diesen Filmen verbirgt sich – wie grundsätzlich in jedem Stück von Loriots Werk – eine hintergründige, gesellschaftskritische Botschaft. Diesem Umstand ist zu verdanken, dass Loriots Humor bei Jung und Alt, bei Arm und Reich, bei Intelligent und Dumm ankommt. Nicht zuletzt war es auch seine vor einigen Jahren verstorbene kongeniale Partnerin Evelyn Hamann, welche die großartig geschriebenen Sketche mit ihrer ganz eigenen subtilen und trockenen Ironie würzte.

Heute erkennt man in jedem gut konzeptionierten Sketch eine Facette von Loriot. Die zwischenmenschlichen Kommunikationsprobleme (mittlerweile ein Thema, aus dem mäßig talentierte Comedians mehrere Stand-Up-Programme machen) sind ebenso vertreten wie Peinlichkeiten oder Banalitäten aus dem Alltag. Loriot war es, der mit einem eher untypisch deutschen Humor die urdeutschen Marotten illustrierte; er beobachtete und persiflierte die Entwicklungsstufen der Bundesrepublik, von der Zurückgezogenheit und Selbstgefälligkeit der 50er Jahre über die Weltgewandtheit der 60er bis hin zur Experimentalität und Radikalität der 70er, mittels des Mediums Fernsehen, das die genannten Prozesse der Republik gleichzeitig und parallel vollzog. So ist der bedeutendste Teil seines audiovisuellen Werkes, die Sketch-Reihe «Loriot», in den 70ern entstanden. Großartig, aber nicht mehr ganz so bahnbrechend und gesellschaftskritisch, waren die folgenden Filme «Ödipussi» (1987) und «Pappa ante Portas» (1991).

Was bleibt, ist die Gewissheit, dass Loriots Sketche und Cartoons, Bücher und Filme, auch noch in 50 und 100 Jahren gezeigt, gelesen und gewürdigt werden – auch dann, wenn so mancher große deutsche Dichter oder Schriftsteller bereits in Vergessenheit geraten ist. Loriot bleibt, weil sein Werk nicht nur stellvertretend die Entwicklung des westlichen Deutschlands nach- und überzeichnet, sondern weil es mit seinem stilvollen, ruhigen und universellen Humor jeden begeistert, weil es zur Pointe lieber ein Wort zu wenig als ein Wort zu viel brauchte, weil es verständlich und gleichzeitig hintergründig, gar gesellschaftskritisch ist, weil es – zusammenfassend – einfach und wirklich „zeitlos“ ist. Danke, Loriot.

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