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Ein Rückblick: Fernsehkrimi der anderen Art

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«Im Angesicht des Verbrechens» trieb die zuständige Produktionsfirma Typhoon in die Insolvenz. Diese wiederum suchte die Schuld beim WDR.

Grischa ist tot. Ein Jahrzehnt liegt der unaufgeklärte Mord an Marek Gorskys (Max Riemelt) älterem Bruder nun bereits zurück. Der Verlust änderte Gorskys Sichtweise von Grund auf und veranlasste ihn, Polizist zu werden. Eine Entscheidung, die bei nicht wenigen Mitgliedern seiner baltisch-jüdischen Verwandtschaft auf Missfallen trifft. Gemeinsam mit dem Kollegen Sven Lottner (Ronald Zehrfeld) nimmt Gorsky den illegalen Zigaretten- und Prostituiertenhandel ins Visier und stößt bei den Ermittlungen auf neue Anhaltspunkte, die den Weg zu Grischas Todesrichter ebnen. Doch sein Drang nach Antworten führt in die tiefen Abgründe der Mafia, die immer für eine blutige Überraschungen gut ist. Derart undurchsichtig wie die Machenschaften eines Untergrund-Syndikats sind die Ereignisse rund um die Produktion der Serie «Im Angesicht des Verbrechens» im Nachhinein nicht, doch als Ergebnisse noch nicht Teil der Tagesordnung waren, handelte es sich für Branchenbeobachter um ein interessantes Krimi-Puzzle der etwas anderen Art.

Ihren Anfang nahm die Geschichte im Oktober 2006, als die ARD der Öffentlichkeit das Programm des Folgejahres präsentierte. Neben den obligatorischen Episoden von Reihen wie «Tatort» oder «Polizeiruf 110», wurden auch Zweiteiler und «Im Angesicht des Verbrechens» vorgestellt, dessen Platz für 2007 allerdings noch unklar war. Dass das Format schließlich erst im Herbst 2010 im Sendeschema der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt auftauchen würde, ahnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Zu Beginn des nächsten Jahres sprach man dann von acht Episoden, für deren Entstehung sich die Typhoon AG verantwortlich zeichnen werde, die unter der Leitung Marc Conrads stand. Dieser war jahrelang Programmdirektor von RTL, bis er 2004 für etwa 100 Tage zum Geschäftsführer ernannt und anschließend durch Vorgänger Gerhard Zeiler wieder ersetzt wurde.

Weitaus interessanter war das Regisseur/Autor-Gespann, bestehend aus Dominik Graf und Rolf Basedow. Graf, der mit acht Adolf-Grimme-Preisen Rekordhalter der Verleihung ist, arbeitete bereits in der Vergangenheit mit Basedow zusammen: Für die «Polizeiruf 110»-Episode 'Er sollte tot' wurden beide mit genannter Auszeichnung geehrt. 'Sperling und der brennende Arm' brachte ihnen den bayerischen Fernsehpreis sowie den Fernsehfilmpreis der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste ein. Das Engagement der beiden ließ die Erwartungen steigen. Doch die Zeit verstrich und das nachfolgende Lebenszeichen hatte wenig Erfreuliches zu bieten: Typhoon eröffnete im März 2009 ein Insolvenzverfahren, das einem finanziellem Mehraufwand der Produktion von «Im Angesicht des Verbrechens» geschuldet sei.

Verantwortlich und daher einer Entschädigung pflichtig sei laut dem Unternehmen der Auftraggaber WDR. “Wir bedauern diese Entwicklung sehr, sind aber zuversichtlich, dass der Insolvenzverwalter berechtigte Ansprüche der Typhoon AG durchsetzen wird“, so Conrad in einer Stellungnahme. Der Rundfunk stritt die Anschuldigungen deutlich ab und äußerte sich zur Angelegenheit wie folgt: “Seit Beginn der Zusammenarbeit zwischen Typhoon und dem WDR haben wir stets zu unseren Zusagen gestanden und alle vertraglichen Pflichten fristgerecht und umfänglich erfüllt”. Man sicherte Typhoon Zusammenarbeit und Unterstützung zu, ließ die Ursache der zusätzlichen Ausgabe jedoch unangetastet. Die Enthüllung ließ nach weiteren Schuldzuweisungen nicht mehr lange auf sich warten: Um das krasse Pensum der Produktion einzuhalten, wurde durch Überstunden und Nichteinhaltung der Ruhezeit wiederholte Male das Arbeitszeitgesetz verletzt, wie das Berliner Landesamt für Arbeits-, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit zu Protokoll gab.

Die Dreharbeiten wurden eines ruhigen Abends unterbrochen, Mehrkosten im Bereich der Millionen entstanden durch zwölf weitere notwendige Werktage. Der WDR zahlte bereitwillig die Hälfte der Summe, doch für Typhoon war ein Insolvenzantrag weiterhin die einzig vernünftige Lösung. “Wir wollen auf keinen Fall den Produktionsstandort Berlin killen. Es kann aber nicht sein, dass Filme nur gedreht werden können, wenn Gesetze nicht eingehalten werden”, erklärte Landesamt-Pressesprecher Robert Raht gegenüber DWDL.de. Das Verfahren erzielte glücklicherweise eine vorläufige Einigung, die eine Fortsetzung der Postproduktion gewährleistete. Der Sendetermin innerhalb 2009 konnte allerdings nicht mehr wahrgenommen werden, so viel stand fest. Der Herbst 2010 sollte das neue Sprungbrett der Serie bilden – im Vorfeld werde «Im Angesicht des Verbrechens» auf arte zu sehen sein.

Weder die Insolvenz von Thyphoon, noch die verhaltene Presse konnte Marc Conrad aufhalten: Bereits im Mai 2009 gründete er die Conrad Film GmbH & Co. KG, um auch künftig handlungsfähig zu bleiben. Dem alleinigen Geschäftsführer gelang 2010 ein weiterer Kunstgriff, als Conrad Film mit Polyphon kooperierte, um neue Formate für das Fernsehen herzustellen. Was neben diesem Fortschritt aus dem «Im Angesicht des Verbrechens»-Krimi resultiert? Ungewissheit über Typhoon und höchstwahrscheinlich eine überaus gelungene Serie. Am 27. April feierte die Serie ihre Premiere beim Kultursender arte, nun ist sie auch für ein großes Publikum im Ersten zu sehen. In den kommenden fünf Wochen laufen die zehn hergestellten Folgen jeweils im Doppelpack im Ersten - und zwar auf dem Krimisendeplatz am Freitagabend um 21.45 Uhr.

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