360 Grad

Faschingshass

von
Julian Miller hat genug von dem ewigen "Helau"- und "Alaaf"-Gegröhle und kann auch die Prunksitzungen nicht mehr sehen.

“Helau” und “Alaaf”. Ich kann es einfach nicht mehr hören. Alle Jahre wieder hält der Karneval Einzug in den deutschen (Fernseh-)Alltag und die öffentlich-rechtlichen Sender übertragen eine Sitzung nach der nächsten. Als ob die vielen Alkoholleichen und der biedere Faschingsschmuck in den Straßen nicht schon genug wären, macht die fünfte Jahreszeit auch vor dem eigenen Wohnzimmer nicht mehr halt. Ganz nach dem Motto “Mit dem Zweiten sieht man doppelt”. Es ist die einzige Zeit im Jahr, zu der die Deutschen nicht zum Lachen in den Keller gehen und auch der letzte Hauptschulabbrecher noch alle Witze weit jenseits der Fahrtüchtigkeit versteht.

Sich verkleiden, saufen bis die Bierbank kracht und debile Prunksitzungen im ZDF. Man kommt schlichtweg nicht daran vorbei, auch wenn man es noch so sehr versucht. In der Faschingszeit offenbart sich die Seele des deutschen Humors so sehr wie zu keiner anderen. Sind wir doch einmal ehrlich: Wer kann in nüchternem Zustand darüber lachen, wenn sich ein Mann mittleren Alters als Prinzessin verkleidet und einen albernen Kalauer nach dem nächsten erzählt? - Na, bitte. Faschingsfernsehen lässt sich allenfalls ertragen, wenn man sich bereits ein wenig am heimischen Schnapsschrank zu schaffen gemacht hat und auch dann kann das Grausen vor den unaufhörlichen schlechten Witzen so groß werden, dass man einen Kulturschock braucht und spontan zu arte rüberzappt. Jeder Gag ist so subtil wie ein Holzhammer und gleicht dem nächsten wie ein Ei dem anderen.

Versucht man etwa Angelsachen die deutschen Faschingsbräuche zu erklären, führt das meist zu ungläubigem Kopfschütteln, gefolgt von einem “You're kidding, right?” und dem unausweichlichen Obelix-Axiom (“Die spinnen, die Deutschen!”). Ist deutscher Humor also wirklich hirntoter und, nun ja, schlicht und ergreifend dämlicher als der vom Rest der Welt? Die traurige Antwort lautet wohl ja. Wie soll man es sich sonst erklären, wenn Steuerberater verkleiden spielen und das als absoluter Brüller gilt, während man mit derartigen Albernheiten nirgendwo sonst auf der Welt jemanden vor den Fernseher holen könnte.

Hierzulande scheint das Konzept aufzugehen und Fasching bzw. Fernsehfasching ist so beliebt wie eh und je. Was leider dann auch dazu geführt hat, dass selbst der liberalste und toleranteste Faschingshasser noch als Spaßbremse betitelt wird, nur weil man mit dem penetranten “Helau”- (oder wahlweise “Alaaf”-)Geschrei nichts anfangen kann. An alle Närrinnen und Narren also nun meine Bitte: Lasst den Dom in Köln. Und beseitigt ihn bitte auch recht schnell wieder von dem ganzen Erbrochenen.

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