Die Kritiker

«Polizeiruf 110 – Heilig sollt ihr sein!»

von   |  2 Kommentare

Die Jungfrauengeburt von Frankfurt an der Oder … echt jetzt?

Cast & Crew

  • Darsteller: Lucas Gregorowicz, Maria Simon, Tom Gronau, Malgorzata Zajaczkowska, Anna Grycewicz, Paraschiva Dragus, Kyra Sophia Kahre, Julia Krynke, Shenja Lacher, Robert Gonera, Fritz Roth, Tomek Nowicki
  • Regie: Rainer Kaufmann
  • Buch: Hendrik Hölzemann (nach einer Idee von Matthias Glasner)
  • Musik: Richard Ruzicka
  • Kamera: Klaus Eichhammer
Ein Mädchen, das an einer Abtreibung gehindert wird und kurze Zeit später stirbt: Das ist die Ausgangssituation von «Polizeiruf 110: Heilig sollt ihr sein!». Der Mörder ist von Anfang an bekannt. So rückt die Frage nach dem „Warum“ in den Mittelpunkt eines leider nur sehr mäßig gelungenem Kriminaldramas.

Die 16-jährige Larissa Böhler ist ungewollt schwanger. Da steht sie nun auf einer Brücke in Frankfurt an der Oder, genau auf der Grenze zwischen Deutschland und Polen. Unter ihr der Fluss. Ein Schritt nur, und sie stürzt in die Tiefe. Ein Junge, er nennt sich Elias, dringt zu ihr vor. Wäre es nicht schade, fragt er sie, das Leben einfach so wegzuwerfen? Larissa kennt Elias nicht. Und doch dringen seine ruhigen Worte zu ihr durch. Nein, Larissa springt nicht. Während der Junge unerkannt verschwindet. Um ein paar Tage später erneut und unerwartet in ihrem Leben aufzutauchen. In einer Klinik. In der sie einen Spätabbruch ihrer Schwangerschaft vornehmen lassen will. Elias, der in Wahrheit Jonas heißt, nutzt einen Notfall in der Ambulanz, um sich ein zweites Mal Larissa ungesehen nähern zu können. Er fesselt sie an ihren Stuhl und nimmt einen Notkaiserschnitt vor. So kommt es an diesem Tag zu keinem Schwangerschaftsabbruch. Statt dessen überlebt das Kind. Larissa aber fällt in ein Koma, aus dem sie nicht mehr erwachen wird.

Die Kommissare Olga Lenski und Adam Raczek übernehmen den Fall, der sich als weitaus mysteriöser herausstellt als er auf den ersten Blick eh schon ist. Den Spätabbruch nämlich hätte die Klinik nur durchführen dürfen, da das Kind – laut Voruntersuchung – an Trisomi 18 litt und nicht nur Larissas Leben bei der Geburt gefährdet hätte. Auch das Kind selbst wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gestorben. Dass es nun quicklebendig und gesund auf der Säuglingsstation liegt, kann niemand erklären. Ebenso wie die Tatsache, dass Larissa, wie sich noch zeigen wird, Jungfrau war....

Das ganz neue Testament?


Ja, der «Polizeiruf 110» aus Frankfurt an der Oder bricht in biblische Gewässer auf und erzählt die Geschichte einer Jungfrauengeburt. Es wird auf die Frage, wie ein jungfräuliches Mädchen schwanger geworden ist, ebenso wenig eine Antwort am Ende dieses Dramas geben wie auf die Frage, wer denn nun der Vater ist? So bleiben am Ende zwei Möglichkeiten. Es gab etwas Petting mit einem unbekannten Jüngling, bei dem so viele unglückliche Umstände zusammengekommen sind, dass Abstandhalten als Verhütung auch nicht mehr half. Oder es war der Heilige Geist. In diesem Fall sollte allerdings die Frage gestattet sein, ob es in der ersten Drehbuchfassung auch einen Moment gab, in dem Kommissar Raczek die Oder geteilt oder der junge Jonas auf einem Hochhausdach ein paar Steinplatten mit göttlichen Geboten empfangen hat? Große Szenen, die leider öffentlich-rechtlicher Budgetbegrenzungen zum Opfer fallen mussten.

Natürlich ist es erlaubt, ein Format wie den Kriminalfilm auch einmal zu brechen. Aber eine Brechung findet in diesem «Polizeiruf 110» bereits dadurch statt, dass dieser Kriminalfilm eben kein Whodunnit ist, sondern ein Drama über einen zutiefst verstörten jungen Mann, der (zunächst) mit seiner Tat glaubt, wirklich etwas Gutes vollbracht zu haben, etwas von Gott gewolltes. Woran er im Moment der Erkenntnis, dass er einen Menschen getötet hat, zerbricht.

Die Frage, die «Polizeiruf 110: Heilig sollt ihr sein!» demnach folgt, ist nicht, wer für den Tod von Larissa verantwortlich ist. Die Frage lautet vielmehr, warum hat Jonas diese Tat begangen hat?

Da die Geschichte nun auch keiner Katz- und Mausspiel-Dramaturgie folgt, bei der ein bekannter Täter erst am Ende gestellt werden kann, verlässt der «Polizeiruf 110: Heilig sollt ihr sein!» sehr früh die klassischen Pfade des sonntäglichen Kriminalfilmes und entwickelt sich zu einem Drama über falsch verstandenen Glauben. So erfährt der Zuschauer sehr schnell, dass Jonas' polnische Mutter ihren Sohn regelmäßig zu einem Priester schleppt, der an ihm einen Exorzismus ausübt, der seine bösen Geister verjagen soll. Klar, es ist schließlich gemeinhin bekannt, dass Polen alle derart katholisch sind, dass der argentinische Papst Franziskus nicht nur wie ein progressiver Protestant im Vergleich wirkt. Katholische (polnische!) Priester sind natürlich auch grundsätzlich dem Exorzismus zugeneigt und führen diesen auch gerne mal persönlich durch. Glücklicherweise ergibt sich aus dieser Exorzismusgeschichte, die immerhin ohne klassisches Teufelsausprügeln oder grünem Auswurf auskommt, dann eine nicht uninteressante theologisch-philosophische Diskussion über die Frage nach dem „richtigen“ Glauben. Und es ist diese Fragestellung, die die Handlung vor den Absturz in die Lächerlichkeit rettet.

Ein theologischer Themenabend


Tatsächlich ergibt sich aus der Konstellation Mutter/Priester vs. Jonas ein hoch interessanter Moment, der Jonas und sein Handeln recht früh erklärt. Für die Mutter gilt ihr katholischer Buchglaube als Wahrheit. Was in der Bibel steht, das ist genau so – wahr. Ebenso, wie die Worte der Kirche und ihrer Priester wahr sind. Auf der anderen Seite steht Jonas, der einen tiefen Glauben an Gott lebt. So tief, dass er wirklich glaubt, in einem direkten Kontakt zu Gott zu stehen. Daher nutzt er, wie bereits erwähnt, den Namen Elias. Der Prophet Elias ist, so die Überlieferung, nicht gestorben, sondern entrückt. Was ihn zu einem Mittler zwischen Gott und den Menschen macht.

So ist Jonas' Glaube aus der Liebe zu Gott entstanden. Die Kirche als Institution ist Jonas zuwider. Statt den Glauben ihres Sohnes zu akzeptieren (oder mit ihm vielleicht mal einen weltlichen Therapeuten aufzusuchen), betrachtet seine Mutter seine Art zu Glauben als Häresie. So zerbricht der junge Mann innerlich. Oder – er wird wahnsinnig?

Nun steht «Polizeiruf 110: Heilig sollt ihr sein!» vor einem Problem: Der Täter ist von Anfang an bekannt. Die Frage darüber, welche Art von Glauben richtig oder falsch ist (gibt es ein richtig oder falsch?) oder ab wann Glauben in einem Wahn mündet, ist zwar eine hoch spannende Frage – allerdings ist sie nur dann hoch spannend, wenn man sie spannend findet. Tatsächlich ist sie sehr akademisch und nur zu fassen, wenn man Argumente austauscht, verschiedenste Glaubensbilder einander gegenüberstellt, Vertreter unterschiedlicher Ansichten zu Wort kommen lässt und vielleicht noch einen Blick in die Geschichtsbücher wirft, die erklären, wie manche Ansichten überhaupt erst entstanden sind. Ein arte-Themenabend gäbe dafür einen wunderbaren Rahmen ab. Allerdings ist «Polizeiruf 110: Heilig sollt ihr sein!» ein ARD-Krimi. Der sich eben nicht in diese zutiefst akademische Diskussion hineinbegeben kann. Zumindest nicht in die angemessene Tiefe.

Statt dessen wird ein zweiter Handlungsstrang aufgebaut, in dem Kommissar Adam Raczek Besuch von seiner Mutter bekommt. Zu der hat er seit Jahren keinen Kontakt mehr. Raczek ist, so seine Serienvita, in Polen geboren, aber in Gelsenkirchen aufgewachsen. Zu seiner Mutter hat er seit langer Zeit keinen Kontakt mehr. Sie ist darüber unglücklich, dass er in Deutschland geblieben ist und sogar eine deutsche Frau geheiratet hat (von der er jetzt allerdings getrennt lebt). Es gibt also einiges zwischen den beiden zu besprechen. Vor allem aber verzweifelt er an ihrem – Katholizismus. Man muss ja einen Bogen zur Jonas-Geschichte schlagen. Mama Raczek nämlich hat Darmkrebs, will diesen aber nicht behandeln lassen, da es halt Gottes Wille ist.

Miese Laune


Dieser Konflikt dient nicht nur dazu, Kommissar Raczek einen Grund zu geben, die gesamte Spielzeit über ziemlich mies gelaunt sein zu dürfen. Dieser Konflikt dient auch dazu, Spielzeit zu schinden. So lässt Raczek seine Partnerin mehrfach im Regen stehen und so versemmelt diese eine erste mögliche Verhaftung von Jonas, da es ihr schlicht und ergreifend an einem zweiten Paar Augen und Hände in diesem Moment fehlt. Warum deutsche Fernsehkommissare immer und immer wieder aus ihren Herzen Mördergruben machen, statt einfach mal zu sagen, „liebe Partnerin, meiner Mutter geht es beschissen und sie will sich nicht helfen lassen...“ Zugegeben, Stephan Derrick hatte kein Privatleben. Derrick musste nie mit Harry über sein Seelenleben sprechen, da sich sein Leben in seinem Kommissariat abspielte. Aber wenn heutzutage jeder Serienkommissar unbedingt eine komplizierte Familiengeschichte zu seiner Dienstmarke ausgehändigt bekommen muss – wäre das Reden über solch eine Geschichte wirklich manchmal hilfreich und würde nicht nur dazu dienen, Spielzeiten zu strecken.

Ach ja, und weil des Kommissars mütterlicher Besuch als Nebenstrang nicht ausreicht, gibt es noch die Geschichte eines drogenabhängigen Geschwisterpärchens, das nur dazu benötigt wird, um, der Spoiler darf sein, es am Ende der Geschichte noch einmal etwas dramatisch werden zu lassen. Ansonsten haben die beiden für die Handlung keine Bewandtnis (haben die beiden eigentlich Rollennamen?).

Es ist schade, dass dieser Polizeiruf keinen rechten Tritt finden mag. Seine einzelnen Versatzstücke sind – zumindest jene, die sich um Jonas/Elias drehen – hoch interessant und Jonas-Darsteller Tom Gronau ist eine Entdeckung. Wirkt er anfangs selbstsicher – ja wie ein auserwählter Prophet – steht dem sein Zusammenbruch in dem Moment gegenüber, in dem er erkennt, das er für den Tod eines Menschen die Verantwortung trägt. Keine Frage: Tom Gronau spielt mit einer erstaunlicher Eleganz auf der Klaviatur der ganz großen Gefühle.

Auch visuell hat der Film einige wirklich herausragende Momente zu bieten. Es sind vor allem die Luftaufnahmen von Kameramann Klaus Eichhammer, die einem allwissenden Auge gleich Geschehnisse am Boden einfangen. Der Boden wirkt dabei immer wieder wie ein Spielbrett.

Ein göttliches Spielbrett, auf dem eine höhere Macht Figuren hin und herschiebt?

Aber die Geschichte der Jungfrauengeburt? Jonas' Eingebung bezüglich der Nicht-Behinderung des ungeborenen Kindes? Die Sache mit dem Exorzismus? Adam Raczeks wortkarges Auftreten gegenüber seiner Partnerin, die nur dazu dienen, Spielzeit zu schinden?

So richtig Funken fliegen lässt das alles nicht.

Das Erste zeigt «Polizeiruf 110: Heilig sollt ihr sein!» am Sonntag, 3. Mai 2020, zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/117960
Finde ich...
super
schade
19 %
81 %
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger ArtikelPrimetime-Check: Samstag, 14. März 2020nächster ArtikelNur wenige Lichtblicke für Das Erste am Samstag
Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
03.05.2020 16:04 Uhr 1
Maria Simon hat ja vor einiger Zeit ihren Ausstieg verkündet. Bin ja echt mal gespannt, ob ihr Partner dann alleine weiter machen wird oder ob er eine neue Partnerin bekommen wird.
Rebecca Azimut
04.05.2020 01:39 Uhr 2
Grundlegende Frage: Tatort oder Polizeiruf, erwarten wir nicht einen Krimi?

Also, wer hat wo, wie was und warum getan? Wer sind die smarten Ermittler, die UNS helfen aufzulösen?

Und SPANNUNG... im Verlauf.

Maaaan war der "Krimi" bräsig. Gott wie langweilig und dahergeholt.

Was passiert eigentlich mit der Ermitterlerzeit, wenn kein Privatleben?

Zum Abschalten!

Optionen

Drucken Merken Leserbrief



Heute für Sie im Dienst: Fabian Riedner Veit-Luca Roth

E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung