Die Kritiker

«Nachts baden»

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Das TV-Drama «Nachts baden» erzählt von einer gekünstelten Rockstarmutter und einer ihre Gefühle unterdrückenden Tochter.

Cast und Crew

  • Regie: Ariane Zeller
  • Cast: Maria Furtwängler, Tijan Marei, Jonathan Berlin, Karsten Antonio Mielke, Harald Schrott
  • Drehbuch: Ariane Zeller, Frank Zeller
  • Kamera: Florian Emmerich
  • Schnitt: Regina Bärtschi
Wirtschaftsinformatik-Studentin Jenny (Tijan Marei) ist zurückhaltend, leise, vernunftbetont und sehr in sich gekehrt – und sie hat enorme Prüfungsangst. Ihren Gefühlen macht sie in Listen und tagebuchähnlichen Einträgen Luft – wenn sie sich nicht gerade aufgrund irgendwo in der Uni verschanzt. Da sich das mit ihrem enormen Ehrgeiz beißt, beschließt sie, ihre letzten Bachelorvorbereitungen gemeinsam mit ihrem Kommilitonen Kasimir (Jonathan Berlin) in Mallorca zu treffen, wo ihre Mutter Pola (Maria Furtwängler) ein großzügiges Anwesen besitzt, das gerade leerstehen müsste, da sie auf Tour ist. Doch Pola befindet sich entgegen aller Erwartungen nicht auf Tournee, weshalb die beiden Generationen miteinander klar kommen müssen.

Ärger ist vorprogrammiert, nicht bloß, weil Tochter und Mutter grundsätzlich verschieden sind, sondern auch, weil Pola ihre Probleme in Alkohol versinkt, Kasimir in Jenny verliebt ist, Jenny aber ein Auge auf Polas Manager und Ex-Freund Butzke (Karsten Antonio Mielke) wirft, Pola dagegen einen Draht zu Kasimir findet und Jennys Vater (Harald Schrott) zu kalt-perfektionistisch ist, um der Halt suchenden Tochter weiterzuhelfen …

Bricht man «Nachts baden» so auf die Plotangabe runter, steht die Befürchtung im Raum, das Drama könnte zu arg konstruiert sein: Die ewig junge Mutter, ihre Spaßbremse von Tochter, ein Generationengrenzen sprengendes, über Kreuz gehendes Liebesviereck. Die Wirtschaftsinformatik-Studentin, die alles in kühle Listen zwängt, die im Rampenlicht stehende Trinkerin von Mutter, die auf Schein und nichts dahinter setzt, statt auf verkopfte Perspektiven. Doch «Nachts baden» umschifft in einem ruhigen, sinnierenden Duktus (und somit in einer seiner jüngeren Hauptfigur gerecht werdenden Erzählweise) alle melodramatischen, stereotypen Klippen, die solch ein Stoff mit sich zu bringen droht. Selbst wenn das Finale dort stattfindet, wo viele filmaffine Zuschauerinnen und Zuschauer das Ende dieser Geschichte verorten würden.

Denn statt auf die Tränendrüse zu drücken, haben Regisseurin Ariane Zeller und ihr Ehemann, mit dem sie das Drehbuch erarbeitete, sich dazu entschieden, eine distanziert beobachtende Charakterstudie zu entwerfen. Der Neunzigminüter ist daher atmosphärisch, wo solche Erzählungen zumeist emotional wären, und die beleuchteten Charaktere sind sehr spezifisch, statt zur Identifikation einzuladen – aber sie schaffen es, Gedankenanstöße über Familiengegensätze, Trotzhaftigkeit und die vielen, beeinflussenden Faktoren in der Charakterbildung zu liefern. Außerdem findet das Liebesviereck eine unerwartete, sensiblere Auflösung als in solchen Geschichten üblich.

So ist Pola auch innerhalb des Films ein Konstrukt, eine Frau in ihren Fünfzigern, die unentwegt in Anglizismen spricht ("Ich bin nicht so lonely wie du denkst") und die lose Rockstarattitüde zu erfüllen versucht. Doch selbst wenn ihr ewig junges Bühnenimage sie bis in die eigenen vier Wände verfolgt, steckt sehr wohl eine fünfzigjährige Mutter in ihr, die erkennt, wie schlecht es ihrer Tochter gerade geht: Pola fetzt nicht durch ihr Anwesen und macht unentwegt Party, auch sie spricht in einer gediegenen Lautstärke – und sobald die Gespräche ernst werden, trocknet die Jugendsprache in ihrem Vokabular aus. Maria Furtwängler spielt dies überzeugend und subtil-vielschichtig, wird aber von der unauffälliger agierenden Tijan Marei in den Schatten gestellt.

Die «4 Blocks»- und «Raus»-Nebendarstellerin erweckt das Produkt einer exzentrischen Mutter, eine überperfektionistischen Vaters und einer sturen Internatserziehung in vielen, fein schattierten Nuancen zum Leben: Neurotisch, aber unterkühlt, ehrgeizig und dennoch für Ablenkungen empfindlich, weit über ihre 21 Jahre gesittet und dennoch leicht nervös zu machen, ist Jenny jemand, der völlig hin und her gerissen wird, sich aber unter einer stoischen Fassade kaum etwas anmerken lässt. Jonathan Berlin und Karsten Antonio Mielke sind quasi die Umkehrbilder ihrer Weggefährtinnen – der Eine zurückhaltend, der Andere knallig, aber beide sehr geradlinig und offen, wo immer Jenny und Pola ihre wahren Gedanken und Gefühle verstecken.

Mit seinem gemächlichen Erzähltempo wird «Nachts baden» es am Mittwochabend in der Primetime schwer haben, doch es lässt sich hoffen, dass er Anklang findet, so dass mehr ruhige, versiert geschriebene und gespielte TV-Dramen ermöglicht werden, die auf knallige Konflikte verzichten.

«Nachts baden» ist am 25. September 2019 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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