Interview

Detlef Kuschka: „Das Radio hat sich in den vergangenen Jahren zu sehr als Begleitmedium verstanden“

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Er ist der „Content-Verbesserer“: Journalist Detlef Kuschka berät Radiosender in Deutschland und Österreich, begleitet Change-Prozesse und trainiert Führungskräfte. Bis 2012 war er Chefredakteur/stv. Programmdirektor von Antenne Bayern, Deutschlands größtem Privatradio. Mit Detlef Kuschka haben wir über Formatregeln, Wetter und Verkehr im Radio, den Spagat eine gute Personality zu sein und über „die Theorie des großen Knopfes“ gesprochen. Außerdem haben wir gefragt: Können sich (überdurchschnittlich) gebildete Menschen im klassischen Mainstream-Radio überhaupt noch wiederfinden?

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Das Radio hat sich in den vergangenen zehn Jahren manchmal vielleicht zu sehr als Begleitmedium verstanden. Das ändert sich zur Zeit wieder.
Radioberater Detlef Kuschka
Felix Kovac, neuer Geschäftsführer von Antenne Bayern, Ihrem ehemaligen Arbeitgeber, sprach kürzlich davon, dass „die Zeit des inhaltsleeren Radios“ vorbei sei. Man kann in der Tat sagen, dass der Sender speziell in der Zeit zwischen 2013 und 2016 kaum eigene Inhalte hatte. Und es gibt eine Reihe anderer Privatsender, die stellenweise – etwa am Wochenende – kaum Wort bringen. Somit fällt die letzte wichtige Unterscheidung zu Spotify weg.
Darüber herrscht eigentlich schon länger Einigkeit. Wir brauchen Inhalte, sonst ist kein Sender unique. Aber Inhalt muss nicht immer der „schwere Hintergrundbericht“ sein – also zum Beispiel der Bericht über die Nitratbelastung im Boden. Inhalt kann auch eine gute Reportage sein, Comedys, etwas Unterhaltendes. Was richtig ist: Das Radio hat sich in den vergangenen zehn Jahren manchmal vielleicht zu sehr als Begleitmedium verstanden. Das ändert sich zur Zeit wieder.

Ich will Ihnen zudem mal von der Theorie des großen Knopfes erzählen. Ich habe einen Sohn, der ist gerade volljährig geworden. Mein Sohn hört eigentlich kein oder kaum Radio. Dafür hat er 400 selbst gestaltete Playlists bei Spotify. Er liebt – ähnlich wie ich – Musik. Aber ich bin sehr gespannt, ob er für seine 400 Playlists auch dann noch Zeit hat, wenn er während des Studiums im Prüfungsstress ist oder wenn er im Job dann mal eine 45-Stunden-Woche hat. Ich glaube, dass er dann zum „großen Knopf“ greift und einen Radiosender wählt, der Musik spielt, die grob in seine Richtung geht. Ob das noch ein UKW-Sender sein wird oder viel eher wohl ein Digitaler, das bleibt noch abzuwarten.

Sie sprechen es an: Das Radio hat Nachwuchsprobleme. Sender sind oft nicht mehr so attraktiv, weil sie nur aus Claims bestehen?
Früher in den 80ern hat man gesagt: Geh zur Lokalzeitung, wenn du Journalismus gut lernen willst. Heute ist es meiner Meinung nach so: Geh zum Radio, wenn du eine gute Ausbildung im Journalismus und generell für „die Medien“ bekommen willst. Nirgends wird so vielfältig gearbeitet: Audio, Online, Social-Media, Video. Jeden Tag zig verschiedene Themen. Aktuell und kreativ auf allen Kanälen umgesetzt – alles ist dabei. Ich will nochmals meinen Sohn als Beispiel nehmen. Wie schon gesagt: Er hört kaum Radio, hat neulich aber ein einwöchiges Praktikum bei einem Lokalsender gemacht. Jetzt will er unbedingt nochmal tiefer einsteigen und sich das genauer ansehen. Radio ist der perfekte Start für alle, die mal „was mit Medien“ machen wollen. Würden sich die Radiomacher so verkaufen, dann wären auch die Nachwuchssorgen kleiner glaube ich. Stattdessen suchen die Sender „nur“ fürs Radio – und das interessiert junge Leute nicht mehr so wie früher.

Aus meiner Sicht findet nun sogar eine Rückbesinnung auf Personalitys statt – auch, weil auch außerhalb des Radios fast alles personalisiert wird. Politik, Sport und so viele andere Felder. Wir leben mehr denn je in einer komplizierten Welt, in der wir Sicherheit brauchen. Wir wollen uns andocken und festhalten.
Radioberater Detlef Kuschka
Alle Radiomacher betonen eigentlich, dass sie ganz viel Wert auf echte Personalitys legen. Zugleich aber sollen Radiomoderatoren ähnlich klingen. Alle Moderatoren eines Senders eint der gemeinsame Gebrauch von festgelegten Wordings. Verabschiedungen sind sowieso kaum noch gewünscht, weil ein „Bis morgen“ ja den Reflex auslöst, dass jemand das Radio ausschaltet. All das beißt sich doch ziemlich.
Ich denke, dass sich da alle Programmdirektoren wirklich einig sind. Wir brauchen Personalitys und genau das wird seit Jahren auch gefördert. Ich will aber nicht verschweigen, dass es auch schon Versuche gab, teils tagsüber mit Automatisierung zu arbeiten – aber die sind Gott sei Dank meist gescheitert. Aus meiner Sicht findet nun sogar eine Rückbesinnung auf Personalitys statt – auch, weil auch außerhalb des Radios fast alles personalisiert wird. Politik, Sport und so viele andere Felder. Wir leben mehr denn je in einer komplizierten Welt, in der wir Sicherheit brauchen. Wir wollen uns andocken und festhalten. Die Sender sind nun aufgefordert, ihre Moderatoren wieder von der Leine zu lassen. Nicht jeder Moderator aber kann das. Eine Personality zu entwickeln, ist wirklich viel Arbeit. Das unterschätzen viele. Personality ist auch mehr als Schwänke aus dem eigenen Leben zu erzählen. Und echte Personalitys wachsen sowieso nicht auf dem Baum. Ich habe neulich ein Interview mit Thomas Gottschalk gesehen. Heute noch wünschen sich viele ja Personalitys wie Gottschalk und Jauch zurück. Nur Gottschalk hatte recht, als er sagte, dass sie damals ja auch allein auf weiter Flur waren. Heute gibt es viel mehr Sender und somit auch Angebote. Ohne Frage gilt aber: Personalitys wie John Ment, Stefan Meixner oder Hakan Turan sind enorm wichtig für einen Sender, weil sie auch Bindung erzeugen.

Aber auch Wordings sind sehr wichtig. Der Hörer wäre doch empört, wenn der Morgen-Moderator eine Aktion für zum Beispiel Konzerttickets anders erklärt als der Abend-Moderator. Das würde den Eindruck erwecken, die linke Hand wisse nicht was die rechte tut.

Das Wichtigste im Radio ist Musik. Doch mutige Formate selbst im Mainstream-Radio werden meist abgestraft. Dabei ist es doch kaum vorstellbar, dass es Menschen gibt, die im Büro den neusten Ed-Sheeran-Song wirklich vier Mal am Tag hören wollen.
Mal generell gesagt: Einen Zusammenhang herzustellen zwischen guten Inhalten, guten News, guter Moderation und steigenden Quoten, das gelingt nicht immer. Ich kenne viele Beispiele, in denen sich alle einig sind, dass die Qualität des Senders gestiegen ist, die Quote aber dennoch gleich blieb. Umgekehrt gilt aber: Spielt ein UKW-Sender die falsche Musik, dann sind die Hörer schnell weg. Und falsche Musik kann eben oftmals auch „zu neue Musik“ sein. egoFM zum Beispiel sind die „Musik-Entdecker“. Ich höre das Programm sehr gerne, weil ich Musik mag. Aber schauen Sie mal auf die Reichweiten. In München zum Beispiel kommen sie an Gong oder Energy nicht ran. Solche Sender sind in der Nische populär. Ich selbst finde es ja schade, dass es uns nicht gelungen ist, in Deutschland mehr Nischen-Sender aufzubauen. In Amerika gibt es den Country-Sender, den Rock-Sender, den Black-Sender… In Deutschland weiß ich noch, dass bei Antenne Bayern Rap-Songs immer schlecht ankamen.

Spielt ein UKW-Sender die falsche Musik, dann sind die Hörer schnell weg. Und falsche Musik kann eben oftmals auch „zu neue Musik“ sein
Radioberater Detlef Kuschka
Sehen Sie, ich bin auf einem Dorf aufgewachsen. Wir waren als Jugendliche oft im Dorfpark unterwegs – mit zehn bis 15 Leuten. Ein Kumpel und ich hatten den Kassettenrekorder dabei. Wir kannten alle Songs, auch Cut3 auf der B-Seite einer Schallplatte. Und dann haben wir auch aufgelegt. Und was haben sich die Leute von uns gewünscht? Zum 35.000 Mal den Hit von Blondie. Der durchschnittliche Mensch ist nicht so sehr an Musik interessiert, als dass er immer nach neuen Hits sucht. Viele sind sogar in den 80ern oder 90ern stehen geblieben. Das erklärt letztlich auch den großen Erfolg von Wellen wie Bayern1. Es ist für viele also nicht so interessant, wie sich eine Band jetzt musikalisch weiterentwickelt hat…

Im September sind wieder die großen Major Promos gestartet. Land auf, Land ab hat sich dabei das Bezahlen von Rechnungen als meistgenutzte Spielidee erwiesen. Die Rechnungen sind attraktiv, weil es meist um kleine Beiträge geht, also viele Hörer gewinnen können und weil sich durch die Einreichung von Rechnungen quasi neue Hörer-Themen ergeben.
Der zweite Punkt ist noch wichtiger. Gehen wir davon aus, dass zehn Prozent der Hörer aktiv mitmachen, also wirklich Rechnungen einreichen. 100 Prozent der Menschen erreichen Sie aber mit den Geschichten, die dahinterstehen. Eine gute Aktion stellt also nicht den gewonnenen Geldbetrag in den Fokus, sondern die Geschichte, die mit der Rechnung verbunden ist. Das Bezahlen von Rechnungen ist deshalb so erfolgreich, weil es eng mit dem normalen Leben verbunden ist. Und die Aktion ist für die Menschen ein Problemlösungstool. Jeder von uns hat sich nach dem Erhalt einer Rechnung ja schon mal gewünscht, dass diese quasi wie von Zauberhand einfach bezahlt wird und somit verschwindet. Ich persönlich bin kein Experte in Sachen Radio-Gewinnspielen, muss aber zugeben, dass es auch mich überrascht, dass sich die Aktion über so viele Jahre hält. Auch ich hätte hier eine Innovation erwartet, denke aber, dass die Sender schon sehr genau wissen, warum sie das noch spielen.

Danke für das Gespräch.

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