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«The Affair»: Fremdgehen? Nicht so spaßig wie gedacht!

von   |  1 Kommentar

Manche bezeichnen sie als beste Serie dieser Tage. Hagai Levi und Sarah Treem erzählen in Showtimes «The Affair» die Geschichte vierer Menschen, deren Leben durch eine Affäre auf den Kopf gestellt wird. Warum die vorliegenden zwei Staffeln etwas Besonderes sind…

Hinter den Kulissen von «The Affair»

  • Schöpfer: Hagai Levi, Sarah Treem
  • Darsteller: Dominic West, Ruth Wilson, Maura Tierney, Joshua Jackson
  • Executive Producer: Hagai Levi, Sarah Treem, Eric Ellis Overmyer, Jeffrey Reiner
Affären fühlen sich oft herrlich verrucht an, der Reiz der Verbotenen verleiht außerehelichen Beziehungen einen besonderen Kick und selbst wenn etwaige Pläne nicht in die Tat umgesetzt werden, geträumt wird gerne davon. Somit gab es in der Vergangenheit unzählige Film- und Serienmacher, die dieses Thema aufgegriffen haben, aber noch nie auf so realistisch-schmerzhafte Weise wie in «The Affair», dem «The Wire» unter den Beziehungsdramen – ein Meisterstück, dass zwar genauso den Reiz des Augenblicks schildert, aber sich nun mal ebenso der damit verbundenen Auswirkungen auf das unmittelbare Umfeld widmet und auch nicht davor zurückschreckt, die Motivation seiner Protagonisten in Frage zu stellen – handelt es sich bei jedem Kribbeln im Bauch, beziehungsweise in der Lendengegend tatsächlich um echte Leidenschaft oder spielt eine große Portion Egoismus nicht auch eine wesentliche Rolle?

Den Plot der bisher zwei Staffeln von «The Affair» auch nur ansatzweise adäquat wiederzugeben, ist eine harte Nuss: Die Schöpfer Hagai Levi und Sarah Treem, beide bekannt durch «In Treatment», schaffen es nämlich die Handlung simpel und übersichtlich durchlaufen zu lassen, gleichzeitig aber mit einem ganz schön komplexen Unterbau zu versehen, was die Serie auch ungemein reizvoll für eine Mehrfachsichtung macht.

Im Kern von «The Affair» steht jedenfalls die Affäre zwischen Noah Solloway (stolpert gelegentlich etwas über sein Zahnpasta-Lächeln: Dominic West), einem Lehrer und erfolglosen Autoren und der kellnernden Krankenschwester Alison Lockhart (unfassbar gut: Ruth Wilson), die beide so ihre Probleme haben: Noah fühlt sich von seinem stinkreichen Kotzbrocken von einem Schwiegervater, der ebenfalls Schriftsteller ist und in dessen finanzielle Abhängigkeit er immer mehr gerät, unter Druck gesetzt und Alison leidet seit Jahren unter dem Unfalltod ihres Kindes, für den sie sich verantwortlich fühlt. Beide treffen erstmalig aufeinander, als Noah mit seiner Familie die verhassten Schwiegereltern besucht. Aus der anfänglichen Begegnung in einem Diner wird schnell mehr, doch so schön die ersten, im verborgenen stattfindenden Treffen auch sind: Bald holt das echte Leben die beiden Turteltäubchen ein – Noah will mehr, doch als verheirateter Familienvater kann man sich nun mal nicht mal eben schnell vom Acker machen und Alison ist mit Cole, einem gutherzigen, aber traditionsbewussten Landei von Mann zusammen und hat zudem dessen Großfamilie im Nacken, die noch eine tragende Rolle spielen wird, denn überschattet wird «The Affair» vom Mord an Coles Bruder Scott, von dessen Aufklärungsversuch ein anderer, auf der Zeitachse ein paar Jahre weiter vorne platzierter Handlungsstrang erzählt und aus «The Affair» auch einen Thriller macht.

Bei der Premiere 2014 posaunte «The Affair»-Co-Schöpferin Sarah Treem „We’re trying, hard, to create art on television. We’re not trying to make the shows difficult, or more complex than usual, but we are trying to use television as a medium that could, perhaps, engender an art form. That’s the objective.” - Großspurig? Ein klein wenig schon, nach Ansicht von zwei Staffeln wird man die Aussage aber eher als reinstes Understatement bewerten, denn trotz des Booms der vergangenen Jahre haben sich Serien nur selten bis kurz vor dem Rauspurzeln aus dem Fenster gelehnt.

Das fängt schon bei der formalen Seite an: Jede Episode der ersten Season ist in zwei Hälfen gesplittet und man erfährt von beiden Seiten der Medaille, die gleiche Geschichte aus den jeweiligen Blickwinkel der Protagonisten. Das ist allerdings nicht nur eine launige «Rashomon»-Referenz sondern trägt zur Charakterisierung bei: Während zum Beispiel in Noahs Erinnerung er, der „Loser“, der vom fiesen Schwiegerpapa Abhängige, die Tochter in einem Restaurant relativ spektakulär vor dem Erstickungstod rettet, ist es in Alisons Version Alison mit einem unscheinbaren, schnellen Klaps. Während in Noahs Augen Alison eine wahrhaftige, verführerische Liebesgöttin in deutlich aufreizender Kleidung ist, sieht sich Alison selbst als unscheinbare Person, gehüllt in bequemer Alltagskluft, die von Noah ihren ersten Kuss auch eher aufgedrängt kriegt. Natürlich sind beide Perspektiven verzehrt, aber da die Wahrheit oft in der Mitte liegt, erhalten die Figuren eine gewisse Unschärfe in ihrer Zeichnung, was die Ambivalenz ungemein vertieft, da die Charakterisierung nicht passgenau fixiert ist. Diese Dopplung, in Season 2 dank dem dazukommen der jeweiligen Ehepartner sogar Vervierfachung, des „unzuverlässigen Erzählers“, wird mit zunehmender Folgenzahl leider etwas zu Gunsten des im Gesamtkontext ein bisschen arg konventionell wirkenden Krimi-Anteils verschoben und wirkt hier dann stellenweise auch nicht mehr so ganz plausibel, da die unterschiedlichen Versionen gelegentlich einfach zu stark voneinander abweichen.

Das ist aber Jammern auf Mount-Everest-hohen Niveau, denn «The Affair» lebt nicht nur von dieser narrativen Besonderheit, sondern besticht auch durch eine inhaltliche Tiefe, die die Serie zu einem prima Kandidaten für zukünftige Abschlussarbeiten in Sachen Gender Studies oder Medienwissenschaften macht. Im angenehm ruhigen, beobachtenden Rhythmus mit lebensnahen Dialogen wird der Psychologie des Ehebruchs auf den Grund gegangen, wird das Verhältnis zwischen Emotionalität und Rationalität, zwischen Traditionsbewusstsein und Moderne erforscht, werden Geschlechterrollen hinterfragt. Vor allem was letzteren Punkt angeht, erfreuen die Drehbuchautoren mit einer für eine TV-Serie (von Kinofilmen ganz zu schweigen) unheimlich feinfühligen Antenne für weibliche Figuren: Was bedeutet es überhaupt eine Frau zu sein? Und welche Bürde lastet auf einer Mutter? (gerade im Hinblick auf die andauernde Regretting Motherhood-Diskussion kein ganz unwichtiger Punkt).

Es gab in den zurückliegenden Jahren selten eine Serie, die so viele Facetten des menschlichen Daseins und des menschlichen Miteinanders so dermaßen seziert (die Macher leisten sich auch mal den Luxus über 20 Minuten lang nur einem Dialog zwischen zwei Menschen in den Mittelpunkt zu stellen) - das ist sicherlich nicht unbedingt einfache Kost zum Wegschauen, hat aber die Qualität eines hervorragenden Romans, weswegen das übliche und oft sicherlich nicht ganz unzutreffende Zeitfresser-Argument gegen Serien hier eindeutig nicht zieht, denn «The Affair» ist klug, nahrhaft und ganz einfach ein Stück Leben.

Die ersten beiden Staffeln stehen bei Amazon Prime Video zum Abruf bereit. Showtime hat schon eine dritte Season bestellt, deren Starttermin im Herbst liegen könnte.

Kurz-URL: qmde.de/85172
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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Sentinel2003
26.04.2016 12:55 Uhr 1
Habe zwar Staffel 1 noch nicht durch, aber Folge 1 und 2 haben mir schon sehr gefallen!!
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