Hingeschaut

Schweden gewinnt den «ESC» - Debakel für Deutschland

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In einem knappen Rennen setzte sich Mans Zelmerlöw aus Schweden mit "Heroes" durch. Deutschland geht mit 0 Punkten nach Hause.

Keine Überraschungen in Wien: Der Schwede Måns Zelmerlöw konnte den 60. «Eurovision Song Contest» mit seiner Europop-Nummer "Heroes" für sich entscheiden. Mit 365 Punkten platzierte er sich vor Russland, dessen Friedens-Ballade "A Million Voices", gesungen von Polina Gagarina, 303 Punkte einsackte. Bronze sicherte sich Italien mit 292 Punkten. Für das Land war die Gruppe Il Volo mit der Ballade "Grande Amore" angetreten. Schweden heimste somit schon wieder einen Sieg beim ESC ein: 2012 hatte Loreen mit "Euphoria" gewonnen. Für das skandinavische Land ist es der sechste Triumph in der Geschichte des Wettbewerbs - womit man in der ewigen Rangliste nur noch hinter Irland steht.

Richtig schlimm lief es für Deutschland. Nicht ein einziges Mal klingelte es in der Punktekasse - ein Novum seit 1965. Gemeinsam mit dem Gastgeber Österreich landete die für Deutschland angetretene Ann Sophie auf dem letzten Platz. Die Sängerin hatte schwierige Ausgangsbedingungen. Nach dem „Coitus Interruptus“, dem Rückzug von Andreas Kümmert beim deutschen Vorentscheid im März, rückte Ann Sophie als Zweitplatzierte nach. Der nötige Rückhalt des Publikums in Deutschland war mehrheitlich also nicht gegeben. Trotzdem gelang der gebürtigen Londonerin eine souveräne und solide Performance, musikalisch und stimmlich passte alles: Für diesen Auftritt brauchte sich Deutschland nicht zu schämen. Allerdings wirkte die Sängerin nicht so dynamisch wie beim Vorentscheid in Hannover, sondern fast wie mit Sekundenkleber am Boden festgeklebt. Jeder wusste, dass Ann Sophie nicht als Favorit nach Wien reiste. Das vernichtende Ergebnis entspricht aber nicht der soliden Performance.

Doch Deutschland sah sich einem sehr starken Teilnehmerfeld gegenüber. Selten gab es vor einem Contest einen derart großen Favoritenkreis. Auch wenn die Schweden von Beginn an als Topfavorit unter den Buchmachern galten, drängte sich hinter den Skandinaviern eine Vielzahl von verschiedensten guten Acts. Die Gewinner des Sanremo-Festivals Il Volo, die für Italien antraten, die russische Ballade von Polina Gagarina, der Australier Guy Sebastian, der junge Belgier Loïc Nottet oder das estnische Duo Elina Born und Stig Rästa. Nicht zu vergessen die Geheimfavoriten Norwegen (Bild links), Israel und Serbien. Die Nachwehen des letztjährigen Sieges von Conchita Wursts „Rise Like a Phoenix“ spürte man in diesem Jahr aber deutlich: Musikalisch war dieser Songcontest besonders balladenlastig. Knapp die Hälfte der Songs konnte man diesem Genre zuordnen. Doch abseits dieser Songs bot der diesjährige ESC durchaus einen interessanten Mix aus Europop, Folk, Swing, Elektronic und klassischem Pop.

Das Voting war eines der spannendsten Rennen der letzten Jahre. Bereits früh zeichnete sich ein Dreikampf um den Sieg zwischen Russland, Schweden und Italien ab. Danach folgte punktetechnisch eine große Lücke. Die Italiener wurden im Laufe des Abends relativ schnell abgehängt, sodass es auf ein russisch-schwedisches Duell hinauslief: Nach der Hälfte der Länder führte Russland, aber Schweden holte wieder auf und setzte sich gegen Ende des Votings ab. Nach dem 36. Land war alles klar: Måns Zelmerlöw konnte nicht mehr eingeholt werden. Die zwischenzeitliche russische Führung war für die Veranstalter jedoch ein sichtliches Problem. Man versuchte von allen Seiten, die Stimmung nicht kippen zu lassen. Moderatorin Alice Tumler sah sich während des Votings genötigt zu verkünden, dass die Musik über der Politik stünde: „It’s all about the music“. Auch Conchita Wurst betonte die tolle Performance der Russin, während sie Polina nach der Hälfte der Votings interviewte. Buh-Rufe konnte man am Fernseher kaum vernehmen – lediglich bei der Verkündung des russischen Voting-Ergebnisses. Auch die schwedische Punktesprecherin setzte ein wichtiges Zeichen: “Our differences are only in our minds, not in our hearts”.

Punkte aus Deutschland

  • 12 - Russland
  • 10 - Schweden
  • 8 - Belgien
  • 7 - Australien
  • 6 - Lettland
  • 5 - Israel
  • 4 - Norwegen
  • 3 - Italien
  • 2 - Estland
  • 1 - Ungarn
Insgesamt überzeugte der ORF mit einer überdurchschnittlichen Show. Bei der Eröffnung hatte man zeitweilig das Gefühl, dass der ORF zu viel wollte: Ein Tribut an Udo Jürgens, die Wiener Philharmoniker, singende Moderatoren, eine eigene ESC-Hymne „Building Bridges“, eine fliegende Conchita Wurst, das Radio-Symphonieorchester des ORF, ein Kinderchor, der österreichische Rapper Leftboy, der Einlauf der Künstler sowie eine Reihe von Videos, die von Zuschauern eingesandt wurden. Und das alles in den ersten 20 Minuten. Aber letztendlich wirkte auch dieser bunte Mix an Elementen sehr stimmig. Arabella Kiesbauer, Alice Tumler und Mirjam Weichselbraun führten souverän, aber nicht überragend durch den Abend. An den Witz der beiden letzten Ausgaben (Dänemark 2014, Schweden 2013 mit einer Komikerin als Moderatorin) kamen die drei nicht heran. Im Lichte der eloquenten und sympathischen Conchita Wurst sah das Moderatorinnen-Trio eher blass aus. Vor allem in den Halbfinals führte sie mit Witz und Charme Interviews im Greenroom.

Die Auftritte der Teilnehmer gingen technisch durchgehend reibungslos über die Bühne. Das von Florian Wieder, der sein Können unter anderem schon bei den Songcontesten 2011 und 2012 sowie diversen großen TV-Shows beweisen durfte, designte Bühnenbild bot eine Menge Raum für spektakuläre Licht- und Animations-Effekte. Zwischen den Performances und den Moderationen schien es dann aber doch ein oder zwei Mal im Ablauf zu haken. Hier ein Timing-Problem, da ein falsch eingespieltes Bild. Den positiven Gesamteindruck von der Show störte das aber meistens nicht - bis zu den Votings. Bei den Halbfinals und den Proben schien es da mehrere Probleme gegeben zu haben, die sich ebenso während der Live-Punkteabgabe zeigten, bei der des Öfteren zur falschen Zeit die falschen Bilder eingeblendet waren oder die Leitung zu den Punktesprechern komplett zusammenbrach. Ein deutlicher Schönheitsfleck auf der bis dahin unterhaltsamen und gut produzierten Show.

Wie selten ein Eurovision Song Contest zuvor legte die diesjährige Ausgabe den Fokus auf den Zusammenhalt und den Spaß an der Musik. Sowohl das Publikum als auch die Sänger im Greenroom feierten eine vierstündige Party. „Building Bridges“, darauf kam es an. Bereits beim dritten Auftritt des Abends, dem des Repräsentanten Israels Nadav Guedj mit der Europop-Nummer „Golden Boy“, bebte die Halle. Aber auch Serbiens füllige Sängerin Bojana Stamenov war mit ihrer Pop/Dance-Hymne „Beauty Never Lies“ („Yes, I’m different, and it’s okay!“) einer der großen Publikumslieblinge. In den sozialen Netzwerken hatte der ein oder andere jedoch einen anderen Show-Höhepunkt gefunden: Der Pausen-Auftritt des Percussion-Künstlers Martin Grubinger, der gemeinsam mit seinem „Percussive Planet Ensemble“ einen spektakulären musikalischen Auftritt hinlegte. Das war neu, das war anders – ein Bruch mit den typischen Europop-Klängen des Grand Prix. Ein Gänsehaut-Moment, als bei einem ruhigen Horn-Solo die Künstler im Greenroom gezeigt wurden, wie sie mit ihren Armen Herzen formten und so ihren Zusammenhalt symbolisierten. Mit einem langen Applaus wurde dieser Auftritt belohnt. Der obligatorische Auftritt der Vorjahres-Siegerin mit einem neuen Song durfte natürlich auch nicht fehlen: Conchita Wurst sang ein Medley aus „You Are Unstoppable“ und „Firestorm“ – zwei Songs ihres gerade erschienenen Albums.

Es lässt sich zusammenfassen: Österreich hat einen sehr guten «Eurovision Song Contest» veranstaltet. Abgesehen von den technischen Problemen waren sowohl die Ideen, die Umsetzung als auch die Stimmung mehr als nur positiv. Mit Måns Zelmerlöw und "Heroes" gewann der große Favorit des Abends – Auch wenn das Feld musikalisch vor allem an der Spitze sehr eng war. Auch Australien feierte einen tollen Einstand beim Contest: Guy Sebastian holte sich mit "Tonight Again" 196 Punkte und einen starken fünften Platz. Deutschland sollte diesen Abend besser schnell abhaken – musikalische Enttäuschungen ist das Land beim ESC ohne Stefan Raab aber bereits gewohnt.

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