Die Kritiker

«Begierde – Mord im Zeichen des Zen»

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Bestsellervorlage, Grimme-prämiertes Team und eine Hauptdarstellerin mit Wim-Wenders-Erfahrung: Das Debüt der neuen ARD-Krimireihe «Begierde» kann sich mehr als nur sehen lassen!

Cast und Crew

  • Regie: Brigitte Maria Bertele
  • Darsteller: Melika Foroutan, Anian Zollner, Frank Seppeler, Barry Atsma, Jürgen Rißmann, Nico Rogner, Georges Claisse, Andrea Bürgin, Aaron Le
  • Drehbuch: Hannah Hollinger
  • Basierend auf dem Roman von Oliver Bottini
  • Kamera: Bella Halben
  • Schnitt: David Jeremy Rauschning
  • Musik: Birger Clausen
  • Szenenbild: K.A. Gruber
  • Kostümbild: Lore Tesch
Kein Lokalkolorit, kein ungleiches Ermittlergespann, kein Comedy-Subplot. Und ebenso wenig dunkelblauen Farbfilter, kein ständiges Rumgefluche, um Rauheit zu suggerieren und auch kein hochaktuelles, politisches Thema, das kontrovers behandelt wird. Die potentielle neue ARD-Krimireihe «Begierde» ist völlig anders als die üblichen Genrervertreter im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Das stellen die hauptsächlich im Drama-Bereich anzutreffenden Grimme-Preisträgerinnen Hannah Hollinger (Drehbuch) und Brigitte Maria Bertele (Regie) mit dieser Romanadaption eindrucksvoll unter Beweis. Und sie legen für kommende Fälle der emotional angeschlagenen Polizistin Louise Boni (Melika Foroutan) die Messlatte in enorme Höhen.

Der erste TV-Einsatz der bereits aus fünf (demnächst sechs) Bestsellern des preisgekrönten Krimiautoren Oliver Bottini bekannten Louise Boni orientiert sich konsequenterweise am ersten Roman rund um diese Figur: In einem Dorf nahe Aachen sorgt ein japanischer Mönch für Verwirrung. Er sitzt schweigend da, mit tranceartigem Blick und einer blutenden Kopfverletzung. Als ihn Dorfpolizisten ansprechen, wandert er schlicht in den anliegenden Wald, so als sei nichts geschehen. Aufgrund ihrer Erfahrung mit rätselhaften Fällen wird die Aachener Hauptkommissarin Louise Boni aufs Dorf geschickt – und obwohl auch sie nichts aus dem jungen Mann herausbekommt, behauptet sie, zu spüren, dass er in großer Gefahr schwebt. Ihr Vorgesetzter hält dies für ein Hirngespinst, das Bonis Trauma entspringt. Denn die Ermittlerin durchlitt vor einiger Zeit einen folgenschweren Einsatz und hängt seither an der Flasche. Boni jedoch beharrt auf ihrer Theorie und ermittelt auf eigene Faust …

Obwohl der erzählerische Kniff, dass die Hauptfigur eines Kriminalfilms eigenmächtig ermittelt, im Fernsehen zum Alltag zählt, ist «Begierde – Mord im Zeichen des Zen» auch in dieser Hinsicht nicht mit den üblichen Ermittlergeschichten zu vergleichen. Der Fall dient zwar als roter Faden, im Kern ist der Neunzigminüter aber das entschleunigt erzählte Psychogramm eines faszinierend-komplexen, authentischen Charakters. Allein schon mit dem «Begierde»-Debüt empfiehlt sich Melika Foroutan für den Königinnen-Titel unter den TV-Krimihauptdarstellerinnen. Meisterlich lässt sie mit leisen, einnehmenden Mitteln in die Seele einer Polizistin blicken, die zwar durch ihre dunkle Vergangenheit arg in Mitleidenschaft gezogen wurde, aber noch längst kein Wrack ist.

Gewiss: Louise zischt Kurze weg wie andere Wasser oder den allmorgendlichen Kaffee, jedoch bemüht sie sich sichtbar, ihre Arbeit nicht durch ihre schwere seelische Lage kompromittieren zu lassen. Sie ist zielstrebig, kann in den entscheidenden Momenten einfühlsam sein und hat eine hohe Beobachtungsgabe. Gleichwohl verhindern das geerdete Spiel Foroutans und das vielschichtige Skript, dass diese neue Akteurin im ARD-Krimikosmos zur unerreichbaren, kühl konstruierten Kunstfigur wird. Diese Figur ist verletzlich, fehlbar und widerborstig. Als Freund würde sie wohl kaum jemand haben wollen, doch als Protagonistin ist sie eine Goldmine für spannende, mehrschichtige Fernsehgeschichten.

Aber nicht nur mit seiner Hauptfigur kann dieser Krimi punkten, die Produktion der Zeitsprung Pictures GmbH im Auftrag der ARD Degeto ist auch optisch sowie erzählerisch eine Ausnahmeerscheinung. Reduzierte Dialoge, atmosphärisch dichte, streckenweise assoziativ aufeinanderfolgende Szenen inklusive kühler Landschaftsaufnahmen und all dies mit einer feinen Eleganz umgesetzt: Regisseurin Bertele überträgt die Kniffe, die ihren «Grenzgang» zu einer der besten Liebesgeschichten der vergangenen Fernsehjahre machte, nun erfolgreich auf das Krimigenre. Passend zum Zen-Thema des behandelten Falls konterkariert sie die reale, lebendige Charakterisierung Louises mit einer tagtraumartigen Bildsprache. In diese webt Bertele auch einige Reminiszenzen an den für sein drastisches Spiel mit Licht und Schatten berühmten französischen Film noir und an die Symbolhaftigkeit großer asiatischer Kinoregisseure.

Dass «Begierde – Mord im Zeichen des Zen» bei all diesen zusammenspielenden Elementen nicht überfrachtet ist, gleicht zwar einem kleinen Wunder, aber die Verantwortlichen haben exakt dieses vollbracht. Und auch wenn sie die Begierde als Ursache des Leids bezeichnen, so wecken sie im Zuschauer mit diesem Film ein neues Begehren. Das Begehren auf weitere Einträge in diese viel versprechende Fernsehreihe.

«Begierde – Mord im Zeichen des Zen» ist am 5. Februar 2015 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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