360 Grad

Endlich im WDR

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Der WDR hat eine tolle Serie produzieren lassen. Ausstrahlen wird er sie auf einem bodenlosen Sendeplatz. Julian Miller über die Mockumentary «Endlich deutsch».

Es fällt schwer, sich darauf festzulegen, was man da gerade gesehen hat. Der WDR bezeichnet das Format als Mockumentary, während Autor, Regisseur und Produzent Lutz Heineking jr. es eine „Dokumentation mit starken fiktiven Elementen“ nennt. Das klingt ja fast nach Scripted-Reality.

Jedenfalls entstand «Endlich deutsch» mit Schauspielern und viel Improvisation. Gleichzeitig lässt sich erahnen, dass Plots und Figuren stark in der Realität verwurzelt sind – trotz der ein oder anderen komödiantischen oder tragischen Überspitzung.

Das Setting ist dabei so innovativ wie ergiebig wie relevant: ein deutscher Integrationskurs. Da, wo verschiedenste Kulturen aufeinanderprallen, wo essentielle Fragen persönlicher und nationaler Identität reflektiert werden, wo sich die Frage nach dem Deutschsein so intensiv stellt wie kaum irgendwo sonst. Und wo es mitunter urkomisch zugeht.

«Endlich deutsch» lebt dabei gar nicht einmal so sehr von schrägen Charakteren. Vielmehr hat man ein sehr gutes Maß zwischen Allgemeingültigkeit und Individualität gefunden und vermeidet sowohl eine stereotype Darstellung als auch eine ins Lächerliche gehende Persiflage: Eine liebenswerte Russin mittleren Alters. Ein Eritreer, der es auf der Straße mit üblen rassistischen Beschimpfungen zu tun kriegt und sich nichts gefallen lässt. Ein Grieche, der grottenschief singt und Musiker werden will. Eine kesse Türkin. Eine zurückhaltende Japanerin. Und eine Nazi-Serbin, die sich schnell alle zum Feind macht. Aus diesem bunt gemischten Haufen werden nun im Laufe von vier Folgen Deutsche.

Aus fast allen, zumindest. Der Eritreer fällt beim Einbürgerungstest durch. Aber er habe einen Plan B, der auch für seine Frau und seine Tochter in der afrikanischen Heimat funktionieren würde, erzählt er dem Reporter. Die nächste Einstellung zeigt ihn mit einer korpulenten Deutschen. Auch die bittersten Konsequenzen finden in der Mockumentary einen Platz.

Obwohl sichtlich mit geringsten Mitteln realisiert, ist «Endlich deutsch» eine tolle Produktion geworden, ein wunderbares Kleinod, manchmal zum Lachen, manchmal zum Verzweifeln, schonungslos ehrlich, mit dem Finger in der Wunde und einem Lachen, das einem manchmal lauthals entspringt, ein anderes Mal dafür im Halse stecken bleibt. Richtig gelesen, das muss sich nicht gegenseitig ausschließen.

Was sich jedoch gegenseitig auszuschließen scheint, ist „gelungene Serienproduktion“ und „guter Sendeplatz“. Zumindest beim WDR, der «Endlich deutsch» am Sonntag und Montag ab 23.15 Uhr in Doppelfolgen abnudeln wird. Eine wirkliche Breitenwirkung, die dieses Format ansonsten haben könnte, wird dadurch wahrscheinlich ausbleiben. Gut, dass sie schon jetzt online zu finden ist.

Kurz-URL: qmde.de/73686
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