Sonntagsfragen

First Steps Awards: 'Wenn wir eins in diesem Jahr gelernt haben, dann ist es Flexibilität'

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Die Führungsspitze des Nachwuchs-Filmpreises, Anne Ballschmieter und Jennifer Stahl, verrät Quotenmeter.de, wie sie Debütfilme einem größeren Publikum zugänglich machen will.

Das Besondere ist, dass alle Nominierten unabhängig von der Auszeichnung im Fokus unserer Arbeit stehen. Wir gestalten über den Preis hinweg ein Programm, das die Nominierten auf ihrem Weg bis zur Preisverleihung begleitet, sie vernetzt und die Scheinwerfer auf sie richtet. First Steps zeichnet aus, dass er ein breites Spektrum abbildet. Hier ist Raum für Nachwuchs, der mit Leidenschaft Arthousefilme drehen möchte und für Filmschaffende, die mit ihren Projekten ein großes Publikum erreichen wollen, für Kreative aller Genres und Formate.
Jennifer Stahl
Fangen wir mit der Vergangenheit an: Was war jeweils Ihr erster Kontakt mit den First Steps Awards?
Anne Ballschmieter: Mein erster Kontakt mit First Steps war bereits in meinem Studium an der Filmuniversität Babelsberg. Als wichtigster Nachwuchspreis war er natürlich fester Bestandteil bei jeder Festivalauswertung von Abschlussfilmen. Nach dem Studium hatte ich dann das große Glück als Film- und Nominiertenbetreuung Teil des First-Steps-Teams zu werden.

Jennifer Stahl: Meine ersten Berührungspunkte mit First Steps hatte ich durch die Kooperation mit der Berlinale. Am Publikumstag des Festivals präsentiert die Perspektive Deutsches Kino eine Gast-Vorführung des mit dem First Steps ausgezeichneten Dokumentarfilms. Das hat mich schon damals neugierig gemacht auf die Arbeit des Nachwuchspreises. Und natürlich waren die Verbindungen in meiner Tätigkeit bei der Perspektive Deutsches Kino – der Nachwuchssektion der Berlinale – immer schon sehr eng zu First Steps.

Und wann wurde Ihnen klar: „Bei der Sache muss ich am Ball bleiben!“?
Jennifer Stahl: Als für mich deutlich wurde, dass First Steps viel mehr ist als nur eine Preisverleihung. Das Besondere ist, dass alle Nominierten unabhängig von der Auszeichnung im Fokus unserer Arbeit stehen. Wir gestalten über den Preis hinweg ein Programm, das die Nominierten auf ihrem Weg bis zur Preisverleihung begleitet, sie vernetzt und die Scheinwerfer auf sie richtet. First Steps zeichnet aus, dass er ein breites Spektrum abbildet. Hier ist Raum für Nachwuchs, der mit Leidenschaft Arthousefilme drehen möchte und für Filmschaffende, die mit ihren Projekten ein großes Publikum erreichen wollen, für Kreative aller Genres und Formate.

Anne Ballschmieter: Diese Bandbreite hat mich auch von Beginn an begeistert. Die thematische und formale Vielfalt der Nominierungen und Preisträger·innen ist beeindruckend. Vollends überzeugt hat mich dann die konkrete Arbeit bei First Steps. Dieses unbändige Engagement, der Respekt vor den Filmen und die grenzenlose Offenheit, da wusste ich, das ist etwas Besonderes, das möchte ich mitgestalten. Als private Initiative der Filmwirtschaft haben wir die einzigartige Möglichkeit, Türen für die jungen Filmemacher·innen zu öffnen, die sonst eher verschlossen wären. Den eigenen Vorteil zu nutzen, um andere bei den ersten Schritten zu unterstützen und gleichzeitig die Branche jung und kreativ zu halten, empfinde ich eine wunderbare Aufgabe.

Um in die Gegenwart zu wechseln … 2020 ist ein kurioses Jahr für die First Steps Awards: Sie finden dieses Jahr in sehr kleinem Rahmen statt, aber werden immerhin live übertragen. Welches Gefühlt überwiegt da ..?
Jennifer Stahl: Eine ordentliche Portion Vorfreude kombiniert mit gelegentlichem Herzklopfen und ein bisschen Lampenfieber. Erstmals mit der Veranstaltung nicht nur den geschlossenen Kreis der etablierten Branche anzusprechen, sondern die Türen zu öffnen, nämlich für ein interessiertes Publikum, ist eine Herausforderung, der wir uns verantwortungsvoll annehmen. Unser Ziel ist es, eine breite Öffentlichkeit für die Filminhalte und die Gesichter hinter den Nominierungen zu begeistern. Aufzuzeigen, welche besonderen Akzente hinter den jeweils nominierten Filmen stehen, um auch Dialoge mit den Filmemacher·innen zu eröffnen.

Anne Ballschmieter: Die Chance, den jungen Film einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren und auch über die Branche hinaus sichtbar zu machen ist ein großartiges Gefühl, das uns mehr als beflügelt. Gleichzeitig gehen wir aber auch mit Respekt an die Aufgabe ‚Livestream‘, die ja neu für uns ist. Alles einmal neu denken und strukturieren hat bietet und aber die Möglichkeit neue Akzente zu setzen und den Fokus noch gezielter auf die Nominierten zu legen. Es ist schon paradox, aber durch dieses besondere Jahr, haben wir Spielraum und Freiheiten in der Gestaltung, die so nicht möglich gewesen wären.

Neben den Dotierungen haben wir die Nominierungen auf drei statt fünf reduziert, um diese noch exklusiver zu gestalten und inhaltlicher mit den Filmen und Filmemacher·innen arbeiten zu können. So können wir die Nominierten zielgerichteter und angemessen präsentieren. Hier liegt der Fokus vor allem auf Social Media, wo wir neben der Präsentation der Nominierten mit persönlichen Statements auch eigene Formate entwickelt haben, wie zum Beispiel die IGTV Live Talks mit Nominierten und Branchenexpert·innen.
Anne Ballschmieter
Eine der ersten Neuerungen beim First Steps Awards, die nach der Ernennung von Ihnen zur leitenden Doppelspitze beschlossen wurde, war es, auch die Nominierungen zu dotieren. An welchen weiteren Stellschrauben konnten Sie seither drehen?
Jennifer Stahl: Das war uns ein besonderes Anliegen. Die Dotierung verdeutlicht, welche Relevanz die nominierten Filme haben. Jeder Nominierung schließt sich darüber hinaus eine Jurybegründung an, welche den Stellenwert der Einzelleistungen noch einmal hervorhebt.

Anne Ballschmieter: Neben den Dotierungen haben wir die Nominierungen auf drei statt fünf reduziert, um diese noch exklusiver zu gestalten und inhaltlicher mit den Filmen und Filmemacher·innen arbeiten zu können. So können wir die Nominierten zielgerichteter und angemessen präsentieren. Hier liegt der Fokus vor allem auf Social Media, wo wir neben der Präsentation der Nominierten mit persönlichen Statements auch eigene Formate entwickelt haben, wie zum Beispiel die IGTV Live Talks mit Nominierten und Branchenexpert·innen.

Jennifer Stahl: Bei diesen digitalen Talks stand für uns vor allem die Vernetzung des Nachwuchses mit den Expert·innen im Fokus. First Steps bietet den Nominierten jedes Jahr diese Möglichkeit der Teilhabe. Dieser Aspekt und Schwerpunkt unserer Arbeit sollte daher keineswegs durch die Umstände, die Corona mit sich gebracht hat, verloren gehen.
In Kooperation mit dem unabhängigen Streamingdienst behind the tree und dem Lodderbast Kino haben wir darüber hinaus ‚Die langen Nächte des jungen Films‘ ausgerufen. Eine Idee, die wir in der Zeit des Lockdowns entwickelt haben. An zwölf Abenden war eine Auswahl der nominierten Filme zu sehen. In anschließenden Livetalks sprachen die Filmschaffenden noch über ihre Arbeiten. Bis zum 20. September kann man sich diese Filme zusätzlich im üblichen Leihsystem auf behind the tree anschauen. Langfristig möchten wir aber auch in der ‚Nebensaison‘ des First Steps ein Programm auf die Beine stellen, das die Präsenz des jungen Films mehr stärkt.

Für die Filmschaffenden sind die First Steps Awards zweifelsohne bedeutend – Film ist wahrlich keine kostengünstige Branche, und da ist eine Auszeichnung, die nicht nur Ruhm, sondern auch eine Finanzspritze einbringt, eine riesige Ehre. Aus Publikumssicht muss ich jedoch festhalten: Zuweilen muss man sich trotz vorhandenen Interesses abmühen, die nominierten Titel überhaupt sehen zu können. Mit 'behind the tree' wurde zwar ein sehr wichtiger Schritt getätigt. Doch was muss sich in unserer Medienwelt noch ändern, damit mehr und mehr Menschen die Möglichkeit haben, die starken Arbeiten neuer Talente entdecken zu können?
Jennifer Stahl: Dieser Problematik sind wir uns bewusst. Auch wir wünschen uns eine größere Sichtbarkeit für die nominierten und ausgezeichneten Filme. Das Korsett, in dem wir agieren können, ist jedoch sehr eng. Einige Filme hatten noch keine Uraufführung oder abgeschlossene Festivalauswertung. Dennoch müssen sich die Rahmenbedingungen ändern und zugunsten des Nachwuchses verbessern.
Ich wünsche mir bessere Sendeplätze bei den Öffentlich-Rechtlichen, anders verteilte Fördergelder, Unterstützung von Programmkinos, die offen für wilden und experimentierfreudigen Nachwuchs sind und auf dem Markt ein größeres Interesse für Formate, die vom konventionellen TV-/Kinoformat abweichen… Es gibt sicherlich vieles mehr.

Anne Ballschmieter: Wir arbeiten aktiv daran, die nominierten Filme auch für ein größeres Publikum sichtbar zu machen. Die Dringlichkeit der Themen, das seismographische Gespür der jungen Filmemacher·innen für sowohl gesellschaftliche Diskurse als auch filmische Formate sollten eigentlich Grund genug sein. Aktuell scheint dafür aber wenig Raum. Unsere diesjährige Kooperation mit dem Lodderbast Kino Hannover und der unabhängigen Streaming Plattform behind the tree zeigt jedoch, dass es potentielle Partner gibt, die sich für den Nachwuchsfilm engagieren und junge Filmschaffende in ihr regelmäßiges Programm integrieren wollen.

Von diesen Beispielen gibt es noch einige mehr, aber eben nicht genug. Auch über die Kinolandschaft hinaus müssen Veränderungen geschaffen werden. Eine Idee wäre, einen festen Programmpunkt wie einen ‚experimentelle Mittwoch‘ bei den öffentlich-rechtlichen Sendern zu verankern, der die Bandbreite des deutschen Filmnachwuchses einem breiten Publikum zugänglich macht. Die Stellschrauben, an denen man drehen kann, sind vielfältig. Wir hoffen sehr, dass wir durch unsere Arbeit mehr Mitstreiter·innen gewinnen können und so Schritt für Schritt die Aufmerksamkeit generieren können, die die jungen Filmschaffenden verdienen.

Ein Problem, das Mediendeutschland noch immer hat: Viele Filmstudiengänge, darunter etwa Regie, beginnen ungefähr mit einer 50/50-Aufteilung zwischen Männern und Frauen. Im endgültigen Berufsalltag sind die Frauen aber in vielen filmischen Sparten noch klar in der Unterzahl. Was müssen Sender, Produktionsfirmen, Branchenportale und vielleicht auch die Leute Publikum tun, um das zu ändern?
Anne Ballschmieter: Das Phänomen ist uns leider schon länger bekannt. Das hat u.a. auch die Studie zu Gender und Film von der FFA 2017 deutlich belegt. Als Teil der First Steps Familie verlieren wir unsere Nominierten nie aus den Augen und verfolgen gespannt deren nächste Schritte. Die Gründe, warum die 50/50-Aufteilung sich nicht über die Hochschulen hinausträgt, sind vielfältig und komplex und bedürfen einer größeren Diskussionsrunde. Anzumerken ist jedoch, dass sich die gleiche Entwicklung auch beim Thema Diversität erkennen lässt. Wir beteiligen uns aktiv an diesem Diskurs, damit es in Zukunft eine Filmbranche gibt, die unsere Gesellschaft widerspiegelt.

Die First-Steps-Awards sind schon seit vielen Jahren löblicherweise ganz weit vorne dabei, was den Frauenanteil in den Jurys anbelangt. Da viele andere Medienpreise noch immer einen deutlichen Jury-Männerüberschuss aufweisen: Welche Worte wollen Sie an diese Verantwortlichen richten, um sie zum Umdenken zu motivieren?
Jennifer Stahl: Die Zusammensetzung einer Jury ist eine klare Positionierung nach innen wie außen und hat viel mit Haltung und dem Blick auf unsere Branche zu tun. Geschlechterparität ist löblich, keine Frage, aber eine diverse Ausgewogenheit ist damit allein auch noch nicht getan. Diversität heißt für uns bei First Steps in jegliche Richtung zu denken. Das betrifft Gender gleichermaßen wie das filmische Gewerk, die soziale Herkunft oder den Blick für Arthouse und Mainstream. Uns hilft es sehr, unseren Nominierten zuzuhören und ihr Feedback aufzunehmen, den eigenen Blick also stetig auszurichten.

Im Filmsektor im Jahr 2020 nach konkreten Plänen für 2021 zu fragen, ist aus naheliegenden Gründen, nun ja, gewagt … Daher frage ich lieber so: Wie sieht eigentlich die Planung für 2021 aus? Schmieden Sie etwa einen Idealfall-Plan und fünf Notfallpläne?
Anne Ballschmieter: Wenn wir eins in diesem Jahr gelernt haben, dann ist es Flexibilität. In diesem Jahr gab es viel Neues, was sich sicher auch in den nächsten Jahren fortführen lässt. Andere Dinge haben wir schmerzlich vermisst und freuen uns, wenn eine Veranstaltung mit mehr Gästen wieder möglich sein sollte. Nach der Preisverleihung werden wir alles in Ruhe auswerten und schauen, welche Konzepte bestehen bleiben, wo man verbessen und verändern kann. Die Planung für das nächste Jahr wird dann stark von den Gegebenheiten abhängen, in welchem Rahmen wir First Steps mit allen Angeboten und Rahmenprogrammen durchführen können.

Jennifer Stahl: Ganz konkret gesprochen führen wir bei uns zwei Listen: Die sogenannte ‚Besser machen‘, in der wir alles aus dem aktuellen Jahr festhalten, das wir erproben, und künftig in seinen derzeitigen ‚Kinderkrankheiten‘ verbessern möchten. Zudem gibt es eine Liste der ‚Future Things‘, in der wir Ideen, Konzepte und Wünsche auf lange Sicht für die kommenden Jahre sammeln. Wir bewahren uns alles sorgsam auf und schauen dann Anfang des nächsten Jahres, was sich konkret umsetzen lässt. Im Idealfall sogar eine Mischung aus beidem. Denn Corona hat uns auch in vielerlei Hinsicht dazu gebracht, sehr kreativ und kurzfristig neue Kooperationen und Programme auf die Beine zu stellen, von denen wir überzeugt sind, dass sie auch in Zukunft weiterhin fruchten werden.

Am 14. September 2020 können ab 19 Uhr alle Filmfans mitfiebern, denn erstmals wird die von Schauspielerin Nilam Farooq moderierte Preisverleihung auf ProSieben,de live übertragen.

Kurz-URL: qmde.de/121317
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