Popcorn & Rollenwechsel

Wann geht es endlich wieder nur um die Filme?

von   |  1 Kommentar

Die diesjährige Oscar-Saison hat so ihre Skandale und Skandälchen. Schlimm, wie die sozialen Netzwerke den Fokus weg von den Filmen weggelenkt haben. Sowas gab es früher nie! *Ironie aus*

Die Awards-Saison dreht sich nicht allein darum, welche Filme solch hervorragende Leistungen beinhalten, dass sie einfach ausgezeichnet werden müssen. Die Erfolgsaussichten der Filme werden auch massiv von weiteren Faktoren beeinflusst. Nehmen wir «Green Book»: Viggo Mortensen benutzte in einer Podiumsdiskussion zum Film das N-Wort, um zu erklären, dass es glücklicherweise nicht mehr genutzt wird. Shitstorm. Es wurde ein Tweet gefunden, in dem der Drehbuchautor Nick Vallelonga Donald Trump in seiner Behauptung bestätigt, in den US-Nachrichten hätte man am 11. September 2001 gesehen, wie US-amerikanische, muslimische Mitbürger die Anschläge bejubelt hätten. Shitstorm. Ein altes Magazinprofil des Regisseurs Peter Farrelly wird wieder hochgespült, in dem detailliert erklärt wird, wie gerne er in den 90er-Jahren aus Jux und Dollerei anderen Leuten seinen Penis gezeigt hat. Shitstorm.

Sollte «Green Book» bei den Academy Awards überhaupt nichts reißen, wird es heißen: "Seht ihr, daran hat's gelegen." Zuletzt geriet Lady Gaga in Kritik, weil sie sich erst spät für ihre Zusammenarbeit mit R. Kelly entschuldigt hat, dem wiederholter sexueller Missbrauch von Minderjährigen vorgeworfen wird. Wenn weder sie noch ihr «A Star Is Born»-Song "Shallow" abräumen, wird es heißen: "Seht ihr, alles nur noch Politik." Und jeder Preis, der in dieser Award-Saison nicht an «Bohemian Rhapsody» geht (was bislang überraschend wenige sind), wird Bryan Singer in die Schuhe geschoben. Aus ähnlichen Gründen.

Ganz davon abgesehen, dass sich ja erst noch zeigen muss, welche Filme im weiteren Verlauf der Oscar-Saison noch welche Preise bekommen: Einer Sache sollten wir Einhalt gebieten. Nämlich dem Gedanken, dass sämtlicher Einfluss abseits der eigentlichen Filme auf den Verlauf des Oscar-Rennens neu ist. Durch Social Media, Onlinemedien zum Thema Film und die Dauerbeschallung in Sachen popkultureller Informationen bekommen wir es nur deutlicher mit, wenn sich der Diskurs um einen Film wendet und werkübergreifende Aspekte die Diskussion bestimmen. Denn das Drumherum ist fast so alt wie die Academy Awards selbst.

Nehmen wir «Citizen Kane», einen der am meisten geachteten Filme aller Zeiten, ein immens häufig genannter Kandidat für den besten Film der Kinogeschichte. Eine Produktion, die bei neun Oscar-Nominierungen nur einen einzigen Award mit nach Hause nahm, nämlich den für das beste Original-Drehbuch – und dabei wurde er von Buhrufen begleitet. Ein Paradebeispiel dafür, dass die Academy sich gelegentlich irrt? Gut möglich. Doch «Citizen Kane» war zudem Opfer einer finanzschweren Schmierkampagne. Publizist William Randolph Hearst, der Erfinder des Boulevard- und Hetzjournalismus wie wir ihn heute kennen und somit der Großvater im Geiste von Julian Reichelt, befand sich im persönlichen Krieg gegen «Citizen Kane», dessen Titelfigur eine schwach verschleierte Kritik an ihm darstellte.

Hearst verbat es sämtlichen Zeitungen und Radiostationen in seinem Imperium, den Film auch nur zu erwähnen, zudem wurde eine Flüsterkampagne gegen Regisseur Orson Welles gestartet und branchenintern Stimmung gegen seinen Film gemacht. Ob «Citizen Kane» deshalb nur einen Oscar gewann, werden wir nie hundertprozentig erfahren, doch es ist einer der spannendsten Fälle in Sachen Academy-Award-Schmutz.

Die vielleicht zweitgrößte (verbuchte) Oscar-Schmierenkampagne fand 1998 statt, als Hollywood für gefühlte Ewigkeiten nur noch ein Thema kannte: Die Ursprungsgeschichte von «Good Will Hunting». Die Tragikomödie war eine überraschende Erfolgsgeschichte des Winters 1997 und sackte nicht nur massive Einnahmen ein, sondern auch neun Oscar-Nominierungen. Daraufhin begann in der Filmbranche plötzlich das Gemunkel: Haben die Darsteller, die damaligen Newcomer Ben Affleck und Matt Damon, gar nicht das Drehbuch verfasst? Haben sie es geklaut? Wurde es heimlich von Kevin Smith geschrieben? Oder doch von «Die Unbestechlichen»-Autor William Goldman? Ist es ethisch vertretbar, Regisseur Gus van Sants Film zu würdigen, wenn alle Beteiligten nur Komplizen eines riesigen Lügenkomplott sind, um zwei durchstartende Schauspieler als Multitalente zu pushen? Am Ende reichte es für «Good Will Hunting» nur in zwe Kategorien für einen Preis – bester Nebendarsteller (Robin Williams) und allem Schmutz zum Trotz in der Drehbuchsparte.

Nur ein Jahr später kam es bei den Academy Awards zum seither von vielen Filmfans unvergessenen Überraschungssieg der Kostüm-Dramödie «Shakespeare in Love», die unter anderem gegen Steven Spielbergs sehr erfolgreiches Kriegsdrama «Der Soldat James Ryan» antrat. Nicht wenige Oscar-Experten zeigen, wenn sie sich dies erklären wollen, mit dem Finger auf eine Reihe an Artikeln, laut denen Veteranen des Zweiten Weltkriegs über den historisch inakkuraten Film hoch erbost sind, was eine lange Diskussion auslöste – genau inmitten der Oscar-Abstimmungsphase.

Das sind nur drei von vielen Beispielen. Da wäre aber etwa auch noch das rätselhafte Kapitel «Die Farbe Lila»: Spielbergs Rassismusdrama wurde von der Organisation NAACP zunächst kritisiert, es würde Stereotypisierungen schwarzer Amerikaner verbreiten und ging daraufhin trotz elf Nominierungen völlig leer aus. Danach kritisierte die NAACP die Academy, sie sei rassistisch, weil sie einen Film mit schwarzen Themen ignoriere – nicht wenige mutmaßen, dass sich die Organisation damals für eine Oscar-Schmutzkampagne hat instrumentalisieren lassen.

Und allein in den vergangenen paar Jahren fielen etwa auch «Zero Dark Thirty», der lange als Frontrunner galt und auf einmal zum Spielball von "Verherrlicht dieser Film Foltermethoden?"-Essays wurde, und «Blue Jasmine» auf, in dessen Oscar-Fahrwasser das Thema der Misshandlungsvorwürfe gegen Woody Allen stärker hochgekocht wurde als zuvor etwa mit «Midnight in Paris».

Wenn überhaupt, könnte man also – mit den üblichen Abstrichen – sagen: So weit wir es dieses Jahr überblicken können, ist dies eine vergleichsweise ehrliche Oscar-Saison, da dieses Mal keine Kontroversen aus der Luft herbeigedichtet werden, sondern manche potentielle Anwärter wie «Green Book»-Autor Nick Vallelonga über eigene Fehltritte stolpern. Oder auch nicht. Wir werden schließlich nur das Abstimmungsergebnis bei den kommenden Awards sehen – nicht die Beweggründe für diese Entscheidungen.

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Nr27
21.01.2019 16:13 Uhr 1
Außer in Extremfällen kann ich mir nicht wirklich vorstellen, daß sich sowas großartig auswirkt - immerhin sind die OSCAR-Juroren allesamt selbst Filmschaffende und sollten sowas daher durchschauen können ...
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