Popcorn & Rollenwechsel

'Und wenn ihr meine Stimme mögt: Bitte abonniert diesen Channel und lasst 'nen Like da!'

von   |  3 Kommentare

YouTuber schleichen sich immer wieder in Form von Mini-Sprechauftritten in deutsche Synchronfassungen ein. Damit ist allerdings niemandem geholfen ...

Was tun, wenn dem Riesen auf dem Tanzparkett die Puste ausgeht? Sich freuen, dass immerhin ein Riese da ist, um die Tanzfläche auszufüllen? In sofortiger Panik ausbrechen? Oder einen Plan austüfteln, um den Riesen bei Atem zu halten? Eben diesen Fragen muss sich Kino-Deutschland stellen. Denn die 10 – bis 29-Jährigen waren 2016 mit insgesamt 44,2 Millionen Eintrittskartenkäufen wieder einmal die aktivste Altersgruppe in der Bundesrepublik. Doch mit einem Rückgang von 21 Prozent gegenüber dem Vorjahr sind sie zugleich mit Abstand die Altersgruppe, bei der die Kinounlust am stärksten zunimmt – und das ist leider wahrlich kein neuer Trend.

Die deutschen Ableger der großen Hollywoodstudios sind daher auf folgenden Clou gekommen: "Wie wäre es, einfach YouTuber ins Synchronstudio zu zitieren, damit sie in der Synchronfassung Rollen übernehmen? Die werben dann auf ihren Kanälen für ihren Auftritt und somit für den Film – und wir werben in unserem Material ebenfalls mit diesen hippen Leutchen!" So hätte man Zugpferde, die eben diese junge Zielgruppe ansprechen, fest eingespannt. Vor allem die sogenannten Tweens und Teens lassen sich bekanntlich von YouTubern alles mögliche aufschwatzen! So einfach lassen sich Lockmittel finden!

Neu ist diese Taktik natürlich nicht. Sie ist älter als YouTube selbst. Zwischen klassischen "Promisynchros" und den YouTuber-Besetzungen der jüngsten Vergangenheit bestehen aber zwei wichtige, große Unterschiede. An dieser Stelle seien sie "Betrug am Fan" und "Strafe fürs Restpublikum" genannt …

Der Betrug an den Fans


Auf der vorbildlichen Seite unseres Vergleichs hätten wir Filme wie «Der König der Löwen». Darin übernimmt Moderator und Entertainer Ilja Richter die Figur des Erdmännchens Timon. Richter ist für eine bestimmte Altersgruppe ein prominenter Name – immerhin moderierte er einst unter anderem die populäre Musikshow «Disco». Wer sich extra wegen Ilja Richter «Der König der Löwen» (in der deutschen Fassung) anguckt, bekommt etwas für sein Geld: Timon ist eine wichtige Nebenrolle mit großem Redeanteil und zudem mit einem Humorverständnis, das sehr gut zu Richter passt. Wer abseits der Richter-Zielgruppe ist, der wird überhaupt nichts bemerken. Da hat halt irgendein Synchronsprecher gute Arbeit geleistet, Ende. Selbiges gilt für Komikerin Hella von Sinnen in der etwas kleineren Rolle der Hyäne Shenzi oder für Schauspieler Thomas Fritsch in der tragenden Schurkenrolle Scar.

«Der König der Löwen» mag das Paradebeispiel für eine rundum gelungene Promisynchro sein – dennoch gibt es viele ähnlich geartete Exempel. Man nehme eine bekannte Person, gebe ihr eine irgendwie zu ihr passende Figur, die nicht zu wenig Raum einnimmt – und nur in Ausnahmefällen gibt man dem Promi sogar die Hauptrolle. Das kann sehr gut ausgehen (Markus Maria Profitlich ist göttlich in «Die Unglaublichen»), geht zugegebenermaßen aber auch hin und wieder schief (Cassandra Stehen ist in den Sprechparts in «Küss den Frosch» sehr steif). So oder so: Wer diesen Promi hören will, bekommt ihn verflixt noch eins zu hören!

Ganz andere Regeln gelten hingegen bei der momentanen Flut an YouTuber-Synchros. Wer wegen Matthias Roll alias TC und Phil Laude von Y-Titty eine Kinokarte für «Alles steht Kopf» gelöst oder sich die Blu-ray gekauft hat, bekommt im ersten Fall einen Satz spendiert und im zweiten einen mehrmals wiederholten Satz. Wenigstens kriegen die Comedymusiker diese Aufgabe makellos geschaukelt, was längst nicht alle YouTuber von sich behaupten können. Daniele Rizzo hat in «Muppets Most Wanted» ebenfalls nur einen Satz, und Fans der YouTuber Aaron Troschke, Julian "Jarow" Hannes und Amir "Kurono" Yarahi werden bei «Findet Dorie» geradezu geneppt: Die drei dürfen in einer Szene ein bisschen kreischen und brabbeln, das war es schon.

Wer glaubt, dass nur Disney gerne YouTube-Fans reinlegt, irrt. Im DreamWorks-Animationsfilm «The Boss Baby» sind mit Wiederholungstäter Daniele Rizzo, Food-Vloggerin Sally und Musik-YouTuber Marti "The Clavinover" Fischer sogleich drei YouTuber zu hören. Gesetzt den Fall, dass man nicht im falschen Moment zu laut hustet und daher die halbe Handvoll an Sätzen versäumt, die die drei Webstars haben. In «Die Schlümpfe – Das verlorene Dorf» hat Fashion-YouTuber Sami Slimani einen Auftritt, der nach wenigen Sekundenbruchteilen vorbei ist, während Bianca Heinicke (die vom chartstürmenden Beauty Palace) ein paar Sätzlein mehr sagen darf. Auch Realfilme sind nicht vor YouTubern sicher, wie die verschwindend kleine Rolle von LeFloid in der diesjährigen «Ghost in the Shell»-Adaption beweist.

Auch wenn böse Zungen gerne anderes behaupten: Fans von YouTubern sind nicht gehirnamputiert. Und daher werden Synchronstudios (und vor allem die Verleiher, die den Synchronfachleuten diese Besetzungen vordiktieren) mit dieser Taktik über kurz oder lang auflaufen. Wie oft werden 12-Jährige wohl ihr Taschengeld für eine Kinokarte auf den Kopf hauen, um ihren YouTube-Star zu hören, nur um frustriert festzustellen, dass er selbst in seinen kürzesten YouTube-Videos mehr zu sage hat – und manchmal sogar bei Snapchat mehr Redezeit erhält?

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Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
Strangeduck
16.05.2017 18:29 Uhr 1
Im Falle von Ilja Richter und Thomas Fritsch, muss allerdings noch der Unterschied gemacht werden, dass beide klassisch ausgebildete Schauspieler sind, die ohnehin schon regelmäßig als Synchronsprecher arbeiteten und immer noch arbeiten. Selbst in weniger werbewirksamen Rollen. (Fritsch ist z.B. der Stammsprecher von Russell Crowe.) Da kann man nur bedingt von "Promisynchro" reden. Auch Christian Tramitz war vor seinem Erfolg vor der Kamera Jahrzehntelang eher in der Sprecherkabine (u.a. als Jefferson in "Eine schrecklich nette Familie") vorzufinden. Da ist es natürlich ein Glücksfall für die Branche, wenn man nicht nur einen echten Profi bekommt, sondern ihn auch gleich medienwirksam vermarkten kann.



Trotzdem, die "echte" Promisynchro wird ärgerlicher. Wer hätte gedacht, dass Boris Becker oder "Supa Richie" noch nicht das Ende waren. Was wird wohl nach den YouTubern kommen? Fußgänger, die vor dem Kino aufgelesen werden und interaktiv vor jeder Vorstellung mal eben ein, zwei Sätze sprechen dürfen? Nein, ich will der Branche jetzt keine Ideen geben, sorry...
Anonymous
16.05.2017 19:04 Uhr 2
Dass Richter, Fritsch und einige andere bekannte Namen dank Schauspielerfahrung ihr Werk beherrschen und öfters ins Synchronstudio dürfen, ist mir natürlich bekannt. :) Ich stelle ja "Der König der Löwen" auch bewusst als Paradebeispiel heraus. Denn solche Fälle sollten den Studios als Leitbild herhalten: Für Person A ist Fritsch/Richter/Tramitz ein Star und Ins-Kino-geh-Grund, für Person B unbekannt und nicht negativ auffallend, weil er seine Arbeit gut macht.



Eine Mode-, Food-, Beauty-Vlog-Persönlichkeit hingegen muss ja fast schon ein Naturtalent sein, um da mitzuhalten. Das gilt natürlich auch für schauspielunerfahrene Promis der "alten" Medien (wie mit der Cassandra-Steen-Erwähnung erklärt werden sollte). Und genauso gibt es YouTuber, die Schauspielerfahrung haben (die Y-Titty-Jungs machen ja Comedy, und, huch, genau die sind in der jungen Flut an YouTuber-Synchrobesetzungen die Positivbeispiele).



Neu ist halt das Problem, dass nun nicht nur hin und wieder fachfremdes Personal wegen seiner Bekanntheit ins Studio geholt wird, sondern praktisch durchweg die Fans für dumm gehalten werden: "Hier, drei Sekunden von deinem Star! Geil, 'ne!" Derartige Minibesetzungen gab es vor dem YouTube-Boom nur selten ("Cars" lässt grüßen).



Mit dieser relativ neuen Methode verjagt man im Worst-Case-Scenario auf langer Sicht durch eine Vielzahl an "Vertrauensbrüchen" die Altersgruppe, die man anlocken wollte. Und das musste ich mal loswerden. :D
Aries
17.05.2017 06:58 Uhr 3
Hervorragender Beitrag. Sehe ich als Kinosuchti ganz genau so wie du. Aber... wer trägt diese Kolumne jetzt an die (verzeiht) hirnverbrannten Verantwortlichen in den Tonstudios / deutschen Vermarktern heran, damit die das auch endlich mal kapieren?



Zudem: Mich schreckt ein "Mit der Stimme von Gronkh" Werbespruch eher ab, den Film zu sehen. Auf mich hat ein "prominenter" Youtuber im Synchroncast eher einen negativen Effekt, denn ich weiß, dass sie keine ausgebildeten Schauspieler & Sprecher sind. Für mich steht "Youtube Stimme" eher für minderwertige Qualität. Und genau so geht es vielen anderen Kinofans (u.a. all meine Kinofreunde).
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