Die Kino-Kritiker

«Gemini Man»: Zwei Will Smiths, der alte Jerry und Ang Lee mit neuer Technologie

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Ab sofort im Kino: Kernige Action im 90er-Blockbuster-Stil und ein täuschend echter, junger Will Smith.

Filmfacts «Gemini Man»

  • Regie: Ang Lee
  • Produktion: Jerry Bruckheimer, David Ellison, Dana Goldberg, Don Granger
  • Drehbuch: David Benioff, Billy Ray, Darren Lemke
  • Story: Darren Lemke, David Benioff
  • Cast: Will Smith, Mary Elizabeth Winstead, Clive Owen, Benedict Wong
  • Musik: Lorne Balfe
  • Kamera: Dion Beebe
  • Schnitt: Tim Squyres
  • Laufzeit: 117 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Der Großteil des «Gemini Man»-Marketings dreht sich darum, dass in diesem Film ein erwachsener Will Smith gegen einen jungen Will Smith kämpft, während der zweitgrößte Werbefokus auf Regisseur Ang Lee liegt. Das Gros der Presse rund um «Gemini Man» wiederum fokussiert sich darauf, welch technologischer Aufwand betrieben wurde, um diesen Kampf Junior gegen Senior zu verwirklichen. Denn während in «Looper» inhaltlich Zeitreisen für den Kampf Jung gegen Alt sorgen und zu diesem Zwecke Joseph Gordon-Levitt mittels Make-up in einen jungen Bruce Willis verwandelt wurde, erzählt «Gemini Man» vom Klonen – und geht dafür den digitalen Weg.

Und das nicht etwa, wie es vor allem die Marvel Studios in den vergangenen Jahren angegangen sind: In Filmen wie «Ant-Man», «Captain Marvel» und «Avengers || Endgame» bekommen wir jüngere Versionen bekannter Schauspieler zu sehen. Diese haben ihre Szenen wie gewohnt gespielt, woraufhin die Effektschmiede Lola VFX ihre Gesichter am Computer verjüngt hat. Der junge Will Smith in «Gemini Man» ist das Produkt eines anderen Vorgehens: Ang Lees hat seinen Hauptdarsteller nicht digital manipulieren, sondern am Computer zu klonen lassen. Das ist so aufwändig und beeindruckend, dass in der «Gemini Man»-Berichterstattung ein Punkt nahezu völlig untergeht: «Gemini Man» ist nicht nur der Film, in dem ein junger und ein alter Will Smith gegeneinander kämpfen. Es ist auch die Rückkehr des alten Jerry Bruckheimer.

Jerry Bruckheimer ist trotz einiger wirtschaftlicher Fehlschläge in der jüngeren Vergangenheit noch immer einer der erfolgreichsten Produzenten der Hollywood-Geschichte. Zuletzt primär für seine Abenteuerfilme bekannt, stand der «Fluch der Karibik»-, «Prince of Persia – Der Sand der Zeit»- und «Das Vermächtnis der Tempelritter»-Produzent zuvor jahrzehntelang synonym für temporeiche, kernige Popcorn-Action, die sich Jugendliche und junge Erwachsene als Kernzielpublikum auserkoren hat. Ob «Top Gun», «Armageddon», «The Rock», «Der Staatsfeind Nummer eins» oder die «Bad Boys»-Filme: Wo Bruckheimer drauf stand, waren ein moderner Hochglanz-Look, schmissige Actionszenen und knackige High-Concept-Plots drin. Die Einen nennen so etwas Disposable Entertainment, die Anderen feiern es als pures, köstliches Popcorn-Vergnügen ohne Schnörkel.

«Gemini Man» ist in vielerlei Hinsicht der erste klassische Jerry-Bruckheimer-Film seit über einem Jahrzehnt: Der Plot ist schnell erklärt. Will Smith spielt den hervorragenden Geheimdienst-Auftragskiller Henry Brogan, der eines Tages von einem Mann verfolgt wird, der so taktiert und handelt wie er – nur dass er jünger, schneller und agiler ist. Die Figurenzeichnung ist schlicht und effizient: Henry Brogan ist ein alternder Killer mit schleichend aufkommenden Gewissensbissen sowie einem guten Herzen. Wie es sich für diese Art Film gehört, macht er eine Zufallsbekanntschaft, die ihm zur Seite steht: Danny Zakarweski, eine kluge, vorausschauende, aber noch etwas unerfahrene Frau, gespielt von einer alles aus dem ihr gegebenen Material holenden Mary Elizabeth Winstead («10 Cloverfield Lane»). Außerdem holt er einen alten Bekannten ins Boot – den schnippischen Baron («Doctor Strange»-Nebendarsteller Benedict Wong).

Die Stützen von «Gemini Man» sind die ausführlichen Actionszenen – dynamisch, jedoch nie unübersichtlich, gefilmt von Kameramann Dion Beebe («Collateral»). Dazwischen grübeln die Figuren über ihr weiteres Vorgehen, die moralischen Konsequenzen des Geschehenen und ihre Beziehungen zueinander – stets in griffigen Dialogen ausformuliert. Keine Plattitüden, aber auch nichts weltbewegend-sinnierendes – Effizienz hat das Sagen, und das gilt auch für die spärlich, aber gezielt eingesetzten Dialogwitz-Einsprengsel.

Das weckt 90er-Jahre-Bruckheimer-Gefühle, und wer diese Art des Popcorn-Filmvergnügens vermisst hat, wird «Gemini Man» allein schon dafür beknien. Nur die effektive, jedoch nicht sehr einprägsame Musikuntermalung des Komponisten Lorne Balfe («Mission: Impossible – Fallout») klingt mit ihren schweren, schnellen Streichern eher nach heutigem Blockbusterkino. Für die volle Bruckheimer-Retropackung bräuchte es einen rockigeren, E-Gitarren-treffen-auf-eine-Armee-an-Synthesizern-Score, wie ihn etwa ein Trevor Rabin («Armageddon») beherrscht – und zumindest die «Gemini Man»-Sequenz, in der sich die zwei Will Smiths mit Motorrädern erst jagen und dann bekämpfen, schreit geradezu nach solch einem Score.

Alles in allem fügen sich Balfes Kompositionen aber durchaus in das «Gemini Man»-Gesamtkonstrukt, da Ang Lee den Film zwar unentwegt in Bewegung hält, aber durch einen ruhigeren Schnitt («Tiger & Dragon») und einen besonneneren Tonfall der Figuren auf eine gesetztere Grundstimmung setzt als bei Bruckheimer üblich. Das dürfte teils eine rein stilistische Entscheidung sein, hilft aber auch, die eigentlich hanebüchene Grundprämisse ("Alter Killer-Profi gegen jungen Klon!") filmisch zu erden.



Letztlich ist es aber die Umsetzung des jungen Will Smiths, die die Prämisse verkauft: Obwohl völlig am Computer erschaffene Menschen üblicherweise befremdlich aussehen, sofern es sich nicht um karikierte Geschöpfe wie etwa in «Die Unglaublichen» handelt, ist es dem Effekt-Team hier gelungen, eine täuschend echte Figur zu animieren. Die auf Referenzmaterial aus «Der Prinz von Bel-Air», «Das Leben – Ein Sechserpack» und «Bad Boys» basierende, digitale Figur, deren Mimik mit Hilfe einer Motion-Capturing-Darbietung Smiths erschaffen wurde, sieht vollauf] überzeugend aus. Aber nicht nur, dass die Figur absolut fotorealistisch aussieht und sich glaubwürdig bewegt, sie ist auch nahtlos ins Filmmaterial eingefügt. Es ist, als sei der Will Smith der frühen bis mittleren 1990er-Jahre aus einem Zeitloch gefallen und auf das «Gemini Man»-Set gestolpert.

Für zusätzlichen Wow-Faktor lohnt es sich, «Gemini Man» in 3D und High-Frame-Rate (Lee drehte den Film mit 120 Bildern pro Sekunde) zu schauen: Die höhere Bildrate sorgt hier für gestochen scharfes 3D und eine die beeindruckenden Effekte sowie die knalligen Stunts unterstreichende Detailstärke des Bildes – praktisch ohne die Kinderkrankheiten dieser Technologie, die noch die «Hobbit»-Trilogie zu durchstehen hatte. Das dürfte daran liegen, dass Ang Lee sich intensiv mit der Technik auseinandergesetzt und «Die irre Heldentour des Billy Lynn» quasi als Testlauf inszeniert hat, um möglichst viele Patzer zu vermeiden. «Gemini Man» ist auf die Bedürfnisse von 3D und HFR hingebogen, weshalb der Film in der "alltäglichen" Fassung schwächer aussieht:

Lee und Beebe setzen beispielsweise durchweg auf eine sehr einheitliche Lichtsetzung, Tagszenen sind sehr überbelichtet, Nachtszenen unterbelichtet. Damit rückt Lee das 3D und HFR in den Mittelpunkt – die Schauplätze in «Gemini Man» wirken sehr plastisch, als könnte man in sie hineingreifen, und die zappenfinsteren Nachtszenen haben in HFR eine eindrückliche Wirkung. In normaler Bildrate (und insbesondere bei 3D in normaler Bildrate) dürfte sich dagegen ein "Die große Schlachtepisode aus der finalen «Game of Thrones»-Staffel"-Effekt einstellen. Auch bekannt als: "Soll das so, das ich nichts erkenne?" Also: Wenn schon «Gemini Man», dann auch all the way.

Fazit: «Gemini Man» ist kerniges Actionkino mit einem überzeugenden Will Smith (in jung und alt) und bahnbrechender Technologie, das seinen Plot effizient als Sprungbrett für Schauwerte nimmt.

«Gemini Man» ist ab sofort in vielen deutschen Kinos zu sehen. In 2D, 3D, Standard-Bildrate und in 60 oder gar 120 Bildern pro Sekunde.

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