Die Kritiker

«Tatort - Hardcore»

von

Ein bisschen granteln, ein bisschen Victim Blaming. Was dieser «Tatort» von weiblicher Sexualität erzählt, ist mitunter erschreckend reaktionär.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Udo Wachtveitl als Franz Leitmayr
Miroslav Nemec als Ivo Batic
Ferdinand Hofer als Kalli Hammermann
Stefan Betz als Ritschy Semmler
Robert Joseph Bartl als Matthias Steinbrecher
Götz Schulte als Rudolf Kysela
Luise Heyer als Stella Harms

Hinter der Kamera:
Produktion: Hager Moss Film
Drehbuch: Philip Koch und Bartosz Grudziecki
Regie: Philop Koch
Kamera: Jonas Schmager
Produzentin: Kirsten Hager
Kurz nach Beendigung eines einschlägigen Drehs wird in München eine 25-jährige Pornodarstellerin erdrosselt. Im Magen findet die Gerichtsmedizin Spermaspuren von etwa zwei Dutzend Männern; ob das Opfer vor seiner Ermordung vergewaltigt worden ist, lässt sich nicht mehr zweifelsfrei feststellen. Als endlich die Identität feststeht, macht das die Sache für die Münchener Polizei nicht viel einfacher: Die Tote ist die Tochter des Oberstaatsanwalts. Wenn die genauen Umstände ihres Ablebens bekannt werden, wird der Fall zum Politikum und die Reputation des ehrenwerten Amtsträgers nachhaltig belasten – was der natürlich mit allen Mitteln verhindern will.

Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) haben freilich noch ganz andere Probleme. „Hardcore“, so der direkte Titel der Folge, will einen Großteil seines Reizes daraus beziehen, zwei alte, etwas verklemmte Männer sich durch das junge Münchener Porno-Business ermitteln zu lassen.

„Dieses ganze perverse Scheißzeug ist frei verfügbar“, grantelt Batic im Auto vor sich hin, und der Zuschauer soll dabei denken: „Unfassbar. Da muss doch einer was machen.“ Und als der junge Kollege aus dem Mittleren Dienst eine Sackladung Hintergrundinformationen über den Pornokonsum des Deutschen ablädt, soll dieser standarddeutsche «Tatort»-Zuschauer wohl ein bisschen in sich gehen: Donnerwetter.

Wer jetzt eine tiefgehende Auseinandersetzung mit Pornographie erwartet, ein einnehmendes künstlerisches Traktat über Sexualität im Spiegel des fließenden Übergangs von Privatheit und Öffentlichkeit in der modernen Welt, ist hier natürlich vollkommen falsch. Stattdessen hält es die Dramaturgie für tragfähig, eineinhalb Stunden lang den gekünstelten Ekel von Ivo Batic abzubilden, wenn der von Berufs wegen mit allerhand Schmuddelkram in Berührung kommt: Entrüstung statt Reflexion.

Ausflüge ins Moralisierende inklusive: Eine alte Freundin und (ehemalige) Kollegin des Mordopfers ist Stella Harms (Luise Heyer). Die ist aus dem Geschäft ausgestiegen und wohnt nun in einem hübschen, kleinbürgerlichen Reihenhaus, mit einem Steuerberater (was sonst) als Ehemann und einem kleinen, süßen Sohn. Doch hin und wieder wird sie wehmütig und holt die alten Pornos raus, bis sie – um das, was hier als Charakterwandlung durchgeht, perfekt zu machen – wieder Kontakte zum alten Geschäft knüpft. „Keine Gedanken, keine Scham, einfach nur Ficken“, versucht sie ihrem glattgekämmten Steuerberatersgatten ihre Empfindungen zu erklären, dass ihm fast die kleinbürgerlichen Karos seiner kleinbürgerlichen Kleidung zerlaufen, bevor der Kleinbürger ihr kleinbürgerlich eine knallt.

Wenn Sie diese penetrante Aufsummierung des Adjektivs kleinbürgerlich stört, ist dieser «Tatort» nichts für Sie: Denn „Hardcore“ vollzieht in seiner Erzählhaltung einige gedanklich abstruse Schritte. Zum Einen wird die kleinbürgerliche Steuerberaterswelt als zwar nicht offensichtlich bedrohlich oder einschränkend, aber doch emotional kalt, abweisend und – in letzter Konsequenz – auch gewalttätig und brutal gezeichnet. Ihre in diesem Film als radikaler Gegenpol aufgefasste Welt – die unsittliche Hemmungslosigkeit der Pornographie – ist dagegen gleichsam ein Sodom und Gomorrah, das nicht nur im Exitus schützenswerter, junger Frauen endet, sondern auch noch ihre Familien in den Morast zieht, dem jungen Sohn die Mutter nimmt, den altehrwürdigen kleinbürgerlichen Oberstaatsanwaltseltern die Tochter. Was bleibt nun als Conclusio? Ein Mittelweg? Und wenn ja, welcher?

Fragen, die dieser «Tatort» hätte beantworten können. Doch das hätte einen intellektuellen Scharfsinn vorausgesetzt, der zu Batic und Leitmayr, wie sie diese Folge auffasst, so sehr im Widerspruch steht wie das Oktoberfest zur Askese. Stattdessen also zwei alte Männer, die die Welt nicht mehr verstehen und über „dieses WhatsApp“ granteln, in einem Film über Pornographie, der so modern erzählt wie der «Schulmädchenreport».

Erschreckend wird es, wenn man sich vor Augen führt, wie „Hardcore“ seine Frauenfiguren erzählt. Denn die werden weniger von den notgeilen Männern zum Objekt gemacht als von der einfältigen, krampfhaft versimpelten narrativen Struktur: Ihr Suchen nach sexueller und persönlicher Erfüllung im Porno-Geschäft muss zwangsläufig in der Katastrophe enden: im Tod oder in der Zerrüttung familiärer Strukturen. Eine entfesselte selbstbestimmte weibliche Sexualität kann sich dieser Film nicht in einem anderen Kontext vorstellen als im völligen persönlichen wie gesellschaftlichen Untergang. Das ist ein starkes Stück – vor allem wenn das positive Gegenmodell zwei grauhaarige Internetausdrucker sind, die die Scherben aufsammeln müssen, die ihnen diese Frauen mit ihrer nonkonformistischen Sexualität so angerichtet haben.

Das Erste zeigt «Tatort – Hardcore» am Sonntag, den 8. Oktober um 20.15 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/96226
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