Die Kino-Kritiker

«Jeder stirbt für sich allein»

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Hans Falladas Roman «Jeder stirbt für sich allein» gehört zu den herausragenden Werken deutscher Nachkriegsliteratur. Die mittlerweile fünfte Leinwandadaption stammt von dem Schweizer Vincent Perez, der sein Werk auf Englisch drehte.

«Jeder stirbt für sich allein»

  • Kinostart: 17. November
  • Genre: Drama
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 103 Min.
  • Kamera: Christophe Beaucarne
  • Musik: Alexandre Desplat
  • Buch: Achim von Borries, Vincent Perez
  • Regie: Vincent Perez
  • Darsteller: Emma Thompson, Brandon Gleeson, Daniel Brühl, Mikael Persbrandt, Katharina Schüttler, Louis Hofmann
  • OT: Alone in Berlin (UK/FR/DE 2016)
Die nunmehr fünfte Adaption von Hans Falladas Jahrhundertroman «Jeder stirbt für sich allein» hat Glück im Unglück: Die vollständig auf Englisch gedrehte Bestsellerverfilmung ist trotz der Vorlage kein rein deutsches Projekt und kann es sich somit nicht zum Vorwurf machen lassen, den Ruf des ohnehin angeschlagenen (da „immer gleichen“), deutschen Nachkriegsdramakinos noch weiter zu beschädigen. Trotzdem erfüllt die britisch-deutsch-französische Koproduktion sämtliche Klischees, die man als Zyniker von einem solchen Projekt erwarten würde. Und das bei einem Skript, bei dem sich eigentlich alle einig sind, dass eine solche Geschichte mehr als erzählenswert ist. Dass Perez‘ Version von «Jeder stirbt für sich allein» jedoch niemals die Identität vorausgegangener Verfilmungen oder gar des Buches selbst erreicht, liegt weniger am Inhalt; dahingehend orientiert sich das Autorenduo aus Achim von Borries («Ich und Kaminski») und Vincent Perez («In deiner Haut») sehr nah an der Romanhandlung. Das Problem ist vielmehr die Umsetzung. «Jeder stirbt für sich allein» wirkt in Aufmachung und Inszenierung an vielerlei Stellen fast schon dilettantisch. Der eigentlich starke Cast agiert seltsam hölzern, das Setting versprüht das Flair einer abgefilmten Theaterbühne und die – pardon – hundsmiserable Synchronisation lässt uns rückwirkend erst recht hinterfragen, weshalb dieser Film überhaupt auf Englisch gedreht werden musste.

Berlin, Anfang der Vierzigerjahre


Berlin 1940, Jablonskistraße 55. Die Hausgemeinschaft bildet einen Querschnitt der Bevölkerung der Zeit. Ein Blockwart, eine versteckte Jüdin, ein ehemaliger Richter, ein Denunziant, ein Kleinkrimineller, ein Hitlerjunge, eine Briefträgerin und das Arbeiterehepaar Anna (Emma Thompson) und Otto Quangel (Brendan Gleeson). Angst in allen Facetten ist das bestimmende Gefühl dieser Zeit. Durch einen Schicksalsschlag getroffen, beschließt das Ehepaar Quangel, etwas zu tun. Auf der Suche nach Gerechtigkeit kämpfen sie mit klaren Botschaften auf schlichten Postkarten gegen Hitler. Kommissar Escherich (Daniel Brühl) kommt ihnen auf die Spur, die Gestapo drängt auf Ergebnisse. Der scheinbar aussichtslose gemeinsame Kampf gegen das Böse lässt Otto und Anna nach Jahren der Einsamkeit wieder zueinander finden und wird nicht nur deshalb am Ende nicht umsonst gewesen sein…

Es ist kein Geheimnis, dass sich englischsprachige Projekte im Ausland besser vermarkten lassen. Trotzdem hätte gerade eine Geschichte wie «Jeder stirbt für sich allein» das größtmögliche Maß an authentischer Umsetzung verdient. Bei der Besetzung greift man dafür auch auf starke Charakterköpfe zurück. Emma Thompson («Saving Mr. Banks») und Brendan Gleeson («Im Herzen der See») gefallen per se gut in ihren Rollen. Auch die allgegenwertige Angst machen sie in ihrer Interaktion spürbar. Trotzdem erwecken beide zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, die Rollen würden ihnen in Fleisch und Blut übergehen. Stattdessen fokussiert der Regisseur die vielen, vielen Dialoge, die von Anna und Otto vorgetragen werden. Der Inhalt ebendieser ist zwar schon beklemmend genug, doch zum Spielen kommen die beiden nicht. «Jeder stirbt für sich allein» wirkt wie eine Mischung aus einer (immerhin sehr engagierten) Lesung und einem Theaterstück, festgehalten mit der Kamera. Auch die anderen Darsteller haben dem kaum etwas gegenzusetzen. So agiert auch ein Daniel Brühl («Im Rausch der Sterne») mit überraschend wenig Elan. Erfordert es seine Figur, hier und da doch inbrünstiger aufzuspielen, kratzt er an einem holprigen Overacting; Energie und Leidenschaft, wie man beides normalerweise von Brühl (und allen anderen) gewöhnt ist, können sich hier nie entfalten. Gleichwohl trägt auch die vollkommen leblose, durchgehend abgelesen wirkende Synchronisation einen Großteil zu diesem Eindruck bei. Weshalb ausgerechnet ein Film über die deutsche Geschichte vor deutscher Kulisse mit einem teilweise deutschen Cast auf Englisch gedreht wurde, lässt sich wohl vor allem auf die besagten vermarktungstechnischen Taktiken zurückzuführen.

Inhaltlich zäh, darstellerisch hölzern, inszenatorisch blass


Inhaltlich ermöglicht «Jeder stirbt für sich allein» in gewisser Weise tatsächlich neue Perspektiven auf die Zeit während des Zweiten Weltkrieges; vorausgesetzt, man kennt die Geschichte noch nicht. Vincent Perez bleibt bei seiner Inszenierung sehr nahe an den Geschehnissen innerhalb des Romans und macht ein Hochhaus samt Querschnitt der deutschen Bevölkerung zu einem eigenen Mikrokosmus, bei dem die Gesamtbetrachtung nach und nach dem Fokus auf das Ehepaar Quangel weichen muss. Wie diese beiden erst unter der wachsenden Bedrohung von Außen zu leiden haben, später aus dieser Schockstarre ausbrechen und sukzessive immer agiler darin werden, etwas gegen die unwirtlichen Umstände zu unternehmen versuchen, ist ein Musterbeispiel dafür, dem Weltgeschehen nicht einfach nur zuzusehen. So besteht ein Großteil der Spannung tatsächlich darin, abzuwarten, ob die von den Quangels verfassten Postkarten irgendwann entdeckt und die Autoren derselben enttarnt werden. Perez inszeniert die täglichen Streifzüge von Otto und Anna Quangel fast schon im Stile klassischer Spionage-Thriller (mehr als einmal fühlt man sich bei der Sichtung an Steven Spielbergs «Bridge of Spies» erinnert); leider braucht «Jeder stirbt für sich allein» eine sehr lange Zeit, bis er überhaupt an diesen Punkt gerät.

«Jeder stirbt für sich allein» lebt zwar auch von seinem komplexen Figurenkonstrukt. Dadurch, dass sich Vincent Perez und sein Co-Autor mit der Zeit aber immer klarer auf die Quangels als Protagonisten festlegen, brechen viele Erzählstränge mitten im Film einfach ab. Die Geschichte einer unter dem Nazi-Regime leidenden Postbotin wird ebenso nur kurz angerissen, wie das Schicksal einer versteckten Jüdin; letztere wiederum wird so beiläufig aus der Handlung verabschiedet, dass man darin entweder eine Betonung der zum damaligen Zeitpunkt vorherrschenden Menschenfeindlichkeit, oder mangelndes Fingerspitzengefühl von Seiten des Autors sehen kann. Bei uns hinterließ besagte Szene einen mehr als bitteren Beigeschmack. Hinzu kommt, dass der Subplot um den von Daniel Brühl gespielten Kommissar dem Geschehen zwar weitere Erzählperspektiven beifügen kann. Tempo, Dynamik und Emotionalität entwickeln sich dadurch in noch ausufernde Sphären. Doch Perez scheint sich nie sicher zu sein, was für einer Dramaturgie sein Film nun eigentlich folgen soll. Willkürlich wechselt er zwischen den einzelnen Handlungssträngen hin und her, lässt sie sich mal ergänzen und mal vollkommen für sich alleine stehen. Was sich in der Theorie als üppiges und rundes Großes Ganzes anhört, verwässert in der Praxis zu einem erzählerischen Einerlei. Am Ende ist das Leinwandgeschehen den Umständen entsprechend zwar immer noch tragisch, aber mitreißen tut es nicht.

Fazit


«Jeder stirbt für sich allein» basiert zwar auf einem herausragenden Roman, dessen erschreckend aktuell wirkende Thematik nach wie vor für die Leinwand gemacht ist. Doch ausgerechnet auf das Werk von Vincent Perez trifft das nicht zu. Abgesehen von einigen nett inszenierten Einzelszenen im kühlen Stile handelsüblicher Spy-Thriller wirkt sein Film selbst für eine Fernsehproduktion viel zu lieb- und leidenschaftslos.

«Jeder stirbt für sich allein» ist ab dem 17. November in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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