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Joko und Klaas verlassen ZDFneo - droht dem Spartensender ein Relevanzverlust? Ein Kommentar von Julian Miller.

Jetzt also doch: Joko und Klaas brechen bei ZDFneo ihre Zelte ab und wechseln exklusiv zu ihrer alten Zweitheimat ProSieben. Aus der Affäre wird was Ernstes.

Dort erhalten sie nach der Beendigung von «NeoParadise» eine wöchentliche Sendung, in der sie sich laut Geschäftsführer Wolfgang Link „nach Herzenslust austoben und verwirklichen können“. Klingt ein wenig, als würde «MTV Home» schlicht und ergreifend in seine dritte Inkarnation gehen und der innovative Wahnsinn der beiden nun bei einem großen Sender sich fortsetzen. Porno-Ping-Pong, Bunga-Bunga-Partys, Showlympiaden in stockbesoffenem Zustand und Frittieren bis der Arzt kommt in einem Hauptprogramm, in dem die Chance besteht, dass es Zuschauer im mindestens sechsstelligen Bereich sehen werden.

Natürlich können die beiden auch Mainstream-Unterhaltung, was sie mit «17 Meter» bewiesen haben. Doch sie können Beklopptheiten besser. Ein wenig Skepsis, ob all die Ecken und Kanten von «NeoParadise» bei einem großen kommerziellen Sender möglich sein werden, mag nicht unangebracht sein – doch ProSieben ist schon immer der innovationsfreudigste Privatsender gewesen, in dem sich auch Konzepte, die polarisieren, entwickeln können. Man denke an «TV total» in den frühen Jahren, als Stefan Raab noch als obszöner Prolet galt.

Über die Motive von Joko und Klaas, die öffentlich-rechtliche Nische zu verlassen, kann indes nur spekuliert werden. Ein möglicher Grund könnte nicht nur darin liegen, dass über ProSieben ein größeres Publikum erreicht werden kann, sondern auch darin, dass die private Sendeanstalt finanzkräftiger sein könnte als ZDFneo, das im Vergleich zum Gesamtetat des ZDF nur über verschwindend geringe Budgets verfügt. Gerüchte, dass die ZDFkultur- und ZDFneo-Gesichter schlecht bezahlt werden, gibt es zuhauf – auch Harald Schmidt hat sich dazu schon desöfteren zu einigen Spitzen hinreißen lassen.

Bereits vor einem Monat äußerte sich Jan Böhmermann vom Schwestersender ZDFkultur über eine Fortsetzung seiner Talkshow «Roche und Böhmermann» dahingehend, dass er „keinen Bock [habe], mit Nischenproduktionsbudget eine Nischenproduktion für ein Nischenhonorar zu machen.“ Angesichts dessen, dass manch weniger talentierte Moderatoren mit schlechteren Formaten im Hauptsender sicherlich ein Vielfaches von Böhmermanns Honorar beziehen, ist das natürlich verständlich.

Das ZDF reagierte nun mit dem Schritt, «Roche und Böhmermann» ins Hauptprogramm zu holen, auch wenn die Erstausstrahlungen weiterhin bei ZDFkultur laufen werden. Ob das mit einer Gehaltserhöhung für das Moderatorenduo einherging, ist indes nicht bekannt.

Für ZDFneo verstärkt sich währenddessen ein Abwärtstrend in Puncto Relevanz. Denn mit Joko und Klaas hat man nun die Aushängeschilder verloren, während vor einigen Monaten bereits Sendergesicht Benjamin von Stuckrad-Barre zu Tele 5 gewechselt ist. Und auch das TV Lab konnte 2012 nicht die qualitativen Erwartungen erfüllen, die man nach den hervorragenden Testsendungen im letzten Jahr hatte. ZDFneo steht unter Zugzwang und muss jetzt liefern.

Und vielleicht muss auch der gesamte ZDF-Apparat überdenken, ob es sinnvoll ist, mit Nischenbudgets Nischensendungen für ein junges Publikum zu produzieren, während weite Teile des Hauptprogramms immer noch mit Altherrenunterhaltung für ein Vielfaches des «NeoParadise»- oder «Stuckrad Late Night»-Etats hergestellt werden. Es ließe sich sicherlich zumindest darüber streiten, ob die Produktionsbudgets auf die Altersstrukturen gerecht verteilt sind - denn zu oft entsteht der Eindruck, dass das junge Publikum mit wenigen Sendeplätzen im Hauptprogramm und niedrigbudgetierten Spartensendern abgespeißt werden soll, während sich die Rentnergeneration in der ZDF-Prime-Time mit deutlich größerem Produktionsaufwand nach Herzenslust austoben kann. Vielleicht nicht gerade der nachhaltigste Weg.

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