Schlüter sieht's

«Schlüter sieht's»: Die Rettung der Castingshow

von
«The Voice» verleiht dem Castingshow-Genre in Deutschland wieder Bedeutung.

23,8 und 26,6 Prozent Marktanteil bei den Werberelevanten, insgesamt vier Millionen Zuschauer und mehr: «The Voice of Germany», angekündigt als Musikshow-Revolution, hat Wort gehalten und ProSiebenSat.1 eine vorzeitige Bescherung eingebracht. Bei der ersten Folge überbot man sogar eine Extra-Ausgabe des «Supertalents» bei RTL, das einen Prozentpunkt weniger bei den Marktanteilen einfuhr. Am zweiten Sendetag schickte man Günther Jauch und Oliver Pocher in die Unterdurchschnittlichkeit und zu einem Negativrekord beim 14- bis 49-jährigen Publikum.

Dabei war im Vorfeld nicht ganz klar, ob die deutschen Fernsehzuschauer wirklich noch eine Castingshow brauchen. Oder ob diejenigen Menschen, die das Format erreichen soll, überhaupt noch eine solche sehen wollen. Denn «The Voice» unterscheidet sich klar von allen anderen Casting-Formaten, die derzeit in Deutschland auf Sendung sind: In den ersten beiden Episoden wurde bewusst kein einziger Kandidat vorgeführt oder lächerlich gemacht. Die Zuschauer bekamen ausnahmslos talentierte Sängerinnen und Sänger zu sehen, die größtenteils sympathisch waren. Dass überhaupt keine talentfreien Deppen die Bühne betreten, die nur der Volksbelustigung dienen, hat es bei großen Privatsender-Castingshows zuletzt vor sieben Jahren bei «Star Search» in Sat.1 gegeben.

Einziger Kritikpunkt an «The Voice of Germany»: Handwerklich hat man sich nicht getraut, die bei «DSDS» und Co. bewährten dramaturgischen Konzepte über Bord zu werfen. So erklingen auch bei «The Voice» plötzliche Beifallsklatscher aus dem Publikum, das aber offensichtlich regungslos dasitzt, wenn man den Bildern Glauben schenken will. Auch sind zufällig Kameras dabei, wenn Kandidaten zu Hause von ihrer zukünftigen Teilnahme bei der Show erfahren.

Abgesehen davon weiß «The Voice» allein mit seinem einzigartigen und doch so simplen Konzept zu begeistern. Die Einschaltquoten – und insbesondere deren Zunahme innerhalb eines Tages – zeigen, dass das Publikum vom Format überzeugt ist. Es gibt offensichtlich eine sehr große Gruppe an Zuschauern, die eine Castingshow ohne Klamauk und Pathos sehen will. Die von Anfang an große Gesangstalente auf ihrem Weg begleiten und positive Emotionen sehen will. Und beleidigende Jury-Sprüche nicht braucht.

«The Voice» ist damit die Ehrenrettung des Castingshow-Genres in Deutschland, das bei vielen Zuschauern durch «Das Supertalent» oder «DSDS» in Verruf geraten ist. Denn die Castingshow ist hierzulande fast ein Synonym für das Konzept dieser Sendungen, die zum Teil damit Quote macht, talentfreie Menschen vorzuführen und die Zuschauer damit zu belustigen. Auch «X Factor» oder «Popstars» setzten auf solche Mittel, wenn auch in deutlich geringerem Maße. Beide Shows waren aber nicht erfolgreich genug, um die Castingshow in Deutschland rein zu waschen.

Übrigens ist der miese Ruf dieser Sendungen fast ein heimisches Problem, sind internationale Pendants wie «American Idol» deutlich weniger auf Klamauk aus als deutsche Shows. Der frühere Endemol-Geschäftsführer Borris Brandt hat Recht damit, wenn er im Interview sagt: „Dann kam «DSDS» mit einem riesen Marketinggetöse und hat das Genre Castingshows fast zerstört. (…) Welches ist das Wort, das innerhalb kürzester Zeit am meisten an Wert verloren hat? Superstar.” «The Voice» könnte es unter der Obhut von John de Mol schaffen, nicht nur die Castingshow bei neuen Zuschauergruppen wieder salonfähig zu machen, sondern einen echten Superstar zu kreieren, der seinen Titel wert ist. Eigentlich unglaublich, dies bereits nach nur zwei gesendeten Ausgaben der Show zu konstatieren: Aber es waren darin bereits einige Talente zu sehen, die sich für einen solchen Titel als würdig erweisen könnten.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.

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