Die Kritiker

«Auch Lügen will gelernt sein»

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Inhalt:


Ein verschrobener, ambitionierter Kollege versucht Horst um seine Arbeitsstelle zu bringen und seine Familie treibt ihn mit ihren nichtigen Problemen in die eigene Verzweiflung. Horst bemüht sich zwar, den Anforderungen seines Umfelds gerecht zu werden, macht sich allerdings vorerst mit Frau Marion und den beiden Kindern auf in den Urlaub nach Polen. Ein kleiner Zwischenfall mit dem hochbegabten Sohn Niklas führt zu weitaus größerem Unheil: Der leicht angetrunkene Horst fährt den Fußgänger Süleyman an. Statt ihn in ein Krankenhaus zu bringen und sich den Fehler einzugestehen, kehrt Horst ohne weitere Erklärungen um und nimmt den Verunglückten kurzerhand mit.

Süleyman, der eigentlich unverletzt ist, aber von den Behörden wegen Diebstahl gesucht wird, gibt vor, unter retrograder Amnesie zu leiden. Sein wahres Ziel ist jedoch die Barschaft der Familie Michalke. Eben diese ist wenig begeistert von dem befremdlichen Gast. Vor allem Marion, die von René in den Tathergang eingeweiht wird, sorgt sich um die Folgen der eskalierenden Lügen. Während Horst sich immer tiefer in seinen Täuschungsmanövern verstrickt, hilft Süleyman Niklas und Tochter Sandra ihre jeweiligen Engpässe zu überwinden – auf seine Weise.

Darsteller:


Sophie Schütt («Typisch Sophie») ist Marion Michalke
René Steinke («Alarm für Cobra 11») ist Horst Michalke
Tim Seyfi («Die Tür») ist Süleyman
Maximilian Grill («Der letzte Bulle») ist Bender
Lotte Flack («Die Päpstin») ist Sandra Michalke
Maximilian Werner («Der Landarzt») ist Niklas Michalke

Kritik:


Ein Mann mit alltäglichen Problemen, der in den Tiefen seiner Midlife Crisis als leicht überspitzte Identifikationsfigur dient, geht wider Willen den letzten Schritt, der sein Dasein zur perfekten Filmvorlage macht: Er trifft vorsätzlich die falsche, aber für Außenstehende belustigende Entscheidung und gefährdet damit nicht nur sich selbst, sondern auch andere. Grundsätzlich ist die simple Abstraktion, der «Auch Lügen will gelernt sein» zu Grunde liegt, eine der perfekten Quellen, die viele Independentperlen auszeichnen. Ein Familienvater nach Vorschrift hat zwei Gläser Schnaps intus und fährt daraufhin einen flüchtigen Verbrecher um. Die Lösung: Den Pechvogel auf den Rücksitz verfrachten und die Rückreise antreten, um die Gedanken zu sammeln und anschließend alles zu vertuschen. Die Probleme: Die eigene Familie und nicht zuletzt der Background des Verletzten selbst. Traurig, dass eben diese inhaltlichen Erschwernisse zu den Storyelementen gehören, die den Film so unglaublich nichtssagend und fad gestalten. Denn selbstverständlich ist die Sat.1-Produktion «Auch Lügen will gelernt sein» kein Independentfilm mit schwarzem Humor, sondern eine missglückte Familienkomödie, die an den eigenen Phrasen erstickt.

Unbekannt ist der verarbeitete Plot nicht: Ein Fremder wird unter seltsamen Umständen Mitglied einer Gemeinschaft und bringt neuen Sinn in deren tristen Alltag. Sei es nun das Musterbeispiel «Einer flog über das Kuckucksnest», die Filme «Pleasantville» und «K-Pax» oder die Serie «Kyle XY» - sie alle bauen auf diesem Prinzip und folglich der Geschichte des jeweiligen Unruhestifters auf. Im Falle von Süleyman tritt hierbei bereits die erste Komplikation auf, wird aus seiner Vergangenheit doch kein Mehrwert gewonnen. Der Zuschauer hat mit ähnlichen Hindernissen wie vermeintlich Süleyman zu kämpfen. Zu Beginn ist alles etwas undurchsichtig und bremst die Entwicklung der Figur, gegen Ende wünscht man sich fast, es wäre bei Familie Michalke geblieben. Süleymans Vertrauter/Geliebter Sasha, verkörpert von Edward Piccin («ManneZimmer»), trägt so gut wie nichts zum roten Faden bei und lässt die dunkle Vita der Hauptfigur nur umso lachhafter erscheinen. An Tim Seyfis Darstellung des geheimnisvollen Gastes gibts es desweiteren nichts zu beanstanden, ebensowenig wie an den Leistungen des Filmpaares Sophie Schütt und René Steinke. Nach «Traumprinz in Farbe» (2003) und «Entführt – Ich hol Dich da raus» (2008) stehen sie bereits das dritte Mal für Sat.1 vor der Kamera. Die Vertrautheit ist spürbar, doch über die schwachen Charakterzeichnungen täuscht das nicht hinweg.

Die klaren Sympathiepunkte, die sich das Duo sichert, gelten nicht zwangsläufig für ihren Nachwuchs. Rebellische Tochter, deutlich angetan vom attraktiven Fremden und überdurchschnittlich intelligenter Sohn, verunsichert vom angeblichen Gedächtnisverlust – wenig überzeugende Muster, die nur von der oberflächligen Lebensphilosophie Süleymans übertroffen werden. Kein Zweifel, die Darsteller geben ihr Bestes, scheitern aber am Drehbuch, das sich zur sehr auf den familenfreundlichen Faktor des Themas versteift. Die unumstößliche Tatsache eines Happy Ends muss das Drama schließlich nicht gänzlich zunichte machen. Highlights des Filmes sind deshalb auch die irrationale Angst Horsts, seine Frau könne von Süleyman verführt werden und der darauf basierende Sextraum sowie das anfängliche Geheimnis, das sich um Niklas und seine Herkunft spannt. Leider funktioniert letzteres nicht sonderlich gut als Sprungbrett für den Showdown, den man definitiv schon ausgereifter an anderer Stelle gesehen hat.

Hinsichtlich der finalen Sequenz fühlt man sich stark an «Slumdog Millionaire» erinnert. Die Filmbotschaft dürfte dem Publikum auch ohne antiseptische Tanzeinlage klar werden, dennoch hielt man daran fest, eben diese durchgehend in den Vordergrund zu stellen. Prinzipiell interessante Szenen kommen deshalb nicht in Fahrt, die Dialoge und der Humor bleiben oftmals ganz auf der Strecke. So gerne man Horst und Marion auch beim Lügen beobachtet, ihre nervösen Versuche den Arbeitskollegen Bender, der unangemeldet auftaucht, loszuwerden und von ihrem kulturellen Lebensstil zu überzeugen, kennt man zur Genüge. Amüsanter wird dieser Teil der Geschichte durch Maximilian Grill, - gegenwärtig als Micks Partner Andreas in «Der letzte Bulle» zu sehen -, der seiner kleinen Rolle Bender etwas Farbe verleiht. Ohnehin hat Regisseur Michael Wenning bei «Der letzte Bulle» sein großes Geschick bewießen und mehrere äußerst unterhaltsame Stunden in Szene gesetzt. «Auch Lügen will gelernt sein» ist bedauerlicherweise weniger empfehlenswert als die neue Serie. Ein Idee mit Potential, die man zu sehr für die falsche Richtung bemüht hat. Sendeplattform hin oder her, Familienkomödien sind nicht die Antwort auf jeden Gerüst, das man etwas leichter aufzuziehen gedenkt. Vor allem, wenn man der eigenen Struktur erliegt.

Sat.1 zeigt «Auch Lügen will gelernt sein» am Dienstag, den 25. Mai 2010, um 20:15 Uhr.

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