Schlüter sieht's

«Schlüter sieht's»: Bohlen und Beuys

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Dieter Bohlen vergleicht sich mit Joseph Beuys und sieht seine Sprüche als Kunst bis ans Lebensende. Ein Kommentar.

Die Diskussion um Dieter Bohlen und seine Fähigkeiten begann mit der Rechtsfrage, ob er durch sein Wirken in «Deutschland sucht den Superstar» und anderen TV-Shows als Künstler oder als Experte gilt. Bei Ersterem müsste Arbeitgeber RTL der Künstlersozialversicherung Beiträge zahlen, was bisher nicht geschah. Das Bundessozialgericht klärte den Fall und urteilte Anfang Oktober: Bohlens ist Künster; seine Arbeit auf den Fernsehbildschirmen damit quasi Kunst – und so muss Geld an die Versicherung gezahlt werden.

Für ihn selbst ist wohl immer klar gewesen, dass er mit Sprüchen wie "Hast du Verstopfung? Ich meine Gesangsverstopfung", "Das ist keine Ruhe, das ist Leichenstarre“ und "Das ist wie 'ne Kläranlage. Außen Beton, innen Scheiße“ ein Künstler ist. Der Zeitschrift „Bunte“ sagte er kürzlich: „Meine Wortgebilde sind nach meiner Meinung minimum so viel wert wie ein Honigkunstwerk von Beuys." Dieser wird sich von solchen Sprüchen im Grabe umdrehen. Joseph Beuys war Aktionskünstler und wurde mit seinen Installationen berühmt. Untrennbar verbunden ist er mit der Stadt Düsseldorf, wo er studierte und die er später künstlerisch prägte. Dass Bohlen Beuys überhaupt kennt, ist die eigentliche Situation. Dass er ihn nicht besonders gut kennt, zeigt seine Aussage.

Weiterhin gab Bohlen im besagten Interview bekannt: „Meine Sprüche sind Kunst bis ans Lebensende.“ Größenwahn? Narzissmus? Paranoia? Mit vielen Substantiven werden solche Sprüche schnell assoziiert. Aber hat der Mann, der bei «DSDS» auf eine diskussionswürdige Weise im Minutentakt Träume zerstört, vielleicht recht?

Fest steht, dass Bohlen mit seinen Shows viel erreicht hat, quasi eine ganze TV-Generation geprägt und verändert hat. Denn ohne den umstrittenen Mann wäre «DSDS» nicht zu einem solch riesigen Erfolg geworden und folgerichtig hätte es auch keinen Castingshow-Boom gegeben, dessen Nachwirkungen wir heute noch im Fernsehen bestaunen können («Popstars», «Topmodel»). Ist es aber nun Kunst, vorgefertigte Sprüche – ob selbst ausgedacht oder nicht – in die Kamera zu sagen und damit Menschen zu verletzen, nur um die Gunst der Quote? Ist Provokation zur Unterhaltung der Massen, die an „Brot und Spiele“ erinnert, also Kunst? Nach der Definition des Sozialgerichts schon. Nach Ihrer auch?

Man kann über dieses Thema so gut wie über kein anderes streiten – die Paradoxie besteht aber darin, dass man es eigentlich doch nicht kann, weil der Kunstbegriff von jedem Individuum anders interpretiert wird und keiner festen Definition unterliegt. Selbst wenn das Bundessozialgericht jemanden als Künstler einstuft, so ist der Begriff der „Kunst“ viel zu mächtig und umfassend, als dass er durch Gerichtsbeschlüsse oder Wikipedia-Einträge definiert werden könnte. Darum muss letztendlich jeder selbst entscheiden, ob er Bohlens Arbeit als Juror als Kunst auffasst oder nicht. Um auf Vergleiche zwischen Bohlens Sprüchen und Beuys Werk zu kommen, bedarf es allerdings wirklich einiger anders gepolter Hirnsynapsen, die ein gewisses Talent zur Außergewöhnlichkeit offenbaren. Ob das wohl Kunst ist?

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.


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