Schlüter sieht's

«Schlüter sieht's»: neo? neo!

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ZDFneo ist der neue Sender für die jüngeren Zuschauer. Hält das Programm aber, was es verspricht?

Aus dem digital empfangbaren ZDFdokukanal wird ab 01. November ein neuer Sender namens ZDFneo, der sich nach eigenen Angaben hauptsächlich an die 25- bis 49-Jährigen richtet. Also an genau jene Zielgruppe, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen und besonders das ZDF bisher konsequent verschmäht. Dies soll sich durch das neue Angebot nun ändern. Kann aber das kürzlich bekannt gegebene Programm den Anspruch erfüllen, für eine junge Zielgruppe attraktiv und interessant zu sein? Und was bedeutet überhaupt der Sendertitel?

„Neo“ ist die griechische Bezeichnung für das Wort „neu“ – einleuchtend, dass die in vielen Augen angestaubte Sendeanstalt ZDF sich konsequenterweise mit diesem Begriff in Verbindung bringen möchte. Und warum dann nicht gleich im Titel? Auf lateinisch wird das Wort übrigens mit "ich spinne" übersetzt. „Neo“ bezeichnet allerdings auch eine Plansprache (wie Esperanto), die globale Kommunikation unter der Weltbevölkerung erleichtern soll. Allumfassend. Global. Verständlich. Kommunikativ. Ein wahrer Reichtum an Assoziationen für die Marketingabteilung des ZDF. Neo ist gleichzeitig der Name der Hauptfigur aus der „Matrix“-Filmreihe – Neo, der Auserwählte. Kämpfer gegen die Agenten und für die Wahrheit. ZDFneo – Kämpfer gegen schlechtes TV-Programm?

Ob die Sendungen, die künftig auf ZDFneo ausgestrahlt werden, aber wirklich mit jenen Adjektiven in Verbindung gebracht werden können, die man beim Hören des Sendertitels vermuten lässt, ist fraglich. Das Werktagsprogramm bis 17.30 Uhr liest sich teilweise wie ein Sendeplan des ZDF vor drei Jahren: Neben Telenovelas wie «Bianca» und «Alisa» hat man noch die sogar aktuell im Hauptsender ausgestrahlte «Küchenschlacht» sowie Tier-Dokus wie «SOS Tierbabys» im Programm. Hervorragend: Der Sitcom-Klassiker «Seinfeld» wird montags bis freitags um 14.30 Uhr in Doppelfolgen gezeigt. Leider überschneidet sich dieser Sendetermin mit den kabel-eins-Sitcoms, weiterhin wirkt eine US-Serie zwischen Dokus und Telenovelas nicht wirklich passend. Das Tagesprogramm ist daher insgesamt eine Enttäuschung.

Die wahren Stärken will ZDFneo aber wie jeder Digitalsender am Abend ausspielen. Ab 19.00 Uhr zeigt man Reality-Dokus und Reportagen und erinnert mit den Konzepten der Sendungen daran, dass das Reality-Genre nicht von vornherein mit dem RTL- und ProSieben-Trash am Nachmittag gleichzusetzen sein muss, sondern auch interessant produziert sein kann: In der Serie «Der Straßenchor» wird gezeigt, ob Arbeitslose, Drogensüchtige und Obdachlose wieder in ein normales Alltagsleben zurückgeführt werden können, indem sie sich zu einem Gesangschor zusammenschließen und eine große Aufführung vorbereiten müssen. Ein innovativer Ansatz, der mit eingekauften Doku-Serien fortgesetzt wird: In «Die Extremtester» probieren sich die Protagonisten an skurrilen und riskanten Berufen und testen aus, wie es sich als Paparazzo lebt.

An Fiction-Produktionen hat ZDFneo eine interessante Mischung zum Auftakt: Neben erwähntem «Seinfeld» wird wöchentlich die preisgekrönte und in den USA höchst erfolgreiche Comedy «30 Rock» gezeigt, die den Arbeitsalltag bei NBC hinter den Kulissen persifliert. Die UK-Comedy «Taking the Flak» handelt von der Konkurrenz zwischen Auslandsreportern im Kriegsgebiet – ein brisanter Ansatz mit dem Potenzial für lustige Geschichten. Mit «Spooks» gibt es eine britische Crime-Serie. Überhaupt befinden sich im Programm viele Sendungen von der Insel – ein Paradies für UK-Fans.

An deutschen Eigenproduktionen abseits der Dokus präsentiert ZDFneo wöchentlich die «Süper Tiger Show», eine Ethno-Comedy mit Late-Night-Anspruch. Im Internet schon bekannt, soll Gastgeber „Tiger“ mit türkischem Ghetto-Slang aus einem Kreuzberger Keller seine Gäste begrüßen. Damit diese Serie allerdings ansatzweise zu Format gelangt, muss sie sich gegenüber den im Internet zu sehenden Filmen deutlich steigern. Überhaupt: Es gibt bessere Web-Comedys als diese. Ein sprichwörtlicher „Kracher“ ist allerdings die monatliche Musiksendung «neoMusic», die von Die-Happy-Sängerin Marta Jandová moderiert wird. Neben der Vorstellung der Top20-Musikvideos wird sie mit Gästen über die aktuellen Trends des Musikmarktes reden. Wer also VIVA und MTV nicht mehr ernst nehmen kann, hat hier eine vielversprechende Gelegenheit, endlich eine gute Musiksendung zu entdecken. Ist es Zufall, dass sich auch eine Elektro-Band den Namen „neo“ gegeben hat?

Insgesamt ist das Programm des neuen Senders vielversprechend, wenn auch noch wirr und ohne klare Linie. Doch vielleicht ist es gerade dies, was ZDF-Intendant Markus Schächter lanciert, wenn er ein dem Namen nach „neues“ und frisches Programm machen will, das über jegliche Genregrenzen hinweg für alle potenziellen jüngeren Zuschauer etwas bieten soll. Natürlich wird ZDFneo wie die anderen öffentlich-rechtlichen Spartensender eine kleine Nische im TV-Markt sein und bleiben, doch der findige und intelligente Zuschauer findet hier ein weiteres durchaus vielversprechendes Angebot, das sich zumindest inhaltlich vom Free-TV-Einheitsbrei abhebt und ihm ein zufriedeneres Gefühl geben könnte, wenn er die nächste GEZ-Rechnung bezahlt.

Als ein „arte für Junge“ könnte ZDFneo vorerst tituliert werden. Und wer weiß? Möglicherweise wird der Titel ZDFneo sogar passenderweise zum Neologismus für neues, frisches und junges Fernsehprogramm. Bis zu diesem Ziel ist der Weg nicht mehr allzu weit.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.


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