Die Kino-Kritiker

«Joker»: Warum denn so scheu?

von   |  4 Kommentare

Er wurde preisgekrönt. Er wurde kontrovers diskutiert, manche nannten ihn als potentiell gemeingefährlich. Er wurde über den grünen Klee gelobt. Er wurde als leichtsinnig verrissen. All das, und letztlich entlockt er … ein Schulterzucken. Der «Joker».

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Berge von Kompromissen


Zumeist aber mangelt es «Joker» an dieser Wuchtigkeit, an diesem schöpferischen Mumm: Todd Phillips' freie Comicverfilmung bleibt viel zu häufig in einer Kaugummizone gefangen. Immer wieder nimmt der Film sein Publikum am Händchen und geleitet es durch plottechnische, inszenatorische und verbale Erläuterungen, weshalb es falsch wäre, sich mit der Titelfigur zu identifizieren, sie als Vorbild zu nehmen. Klar: Kein sauber tickender Mensch will einen Aufruf zu Mord und Totschlag drehen, und in Zeiten, in denen sich diverse dunkle Winkel des Internets den Joker zu ihrem Schutzpatron zurechtbiegen, ist es vielleicht klüger, in einem Film über gerade diese Figur doppelt und dreifach zu unterstreichen, dass sie kein Vorbild ist.

Doch in «Joker» gerät dies so verkrampft und in so hoher Schlagzahl, dass es zulasten des künstlerischen Ausdrucks gerät – die Abgrenzung zur Hauptfigur nimmt mehr Raum ein als die Darstellung ihrer Wandlung. War obig beschriebene Szene nicht genug? Nun dann, der Joker urteilt in einem zweiten Gänsehaut-Moment, dass er sein Leben als Tragödie betrachtet habe, nun aber erkennen würde, dass sie eine Komödie sei. Allein dadurch, dass bis zu diesem Zeitpunkt «Joker» noch immer ein paar rare, pechrabenschwarze Gags aufgewiesen hat und diese daraufhin (weitestgehend) verstummen, wird erneut unterstrichen, dass Arthur eine kaputte Perspektive auf sein Leben und sein Handeln hat. Es würde gewiss zu einer noch stärker nachhallenden Textzeile aufsteigen, würde nach ihr nicht eine einzige Pointe mehr vorkommen – aber die Vorher/Nachher-Diskrepanz ist trotzdem deutlich. Und Phoenix sagt diesen Satz so eiskalt-seelenlos daher, dass Arthur mit ihm den letzten Rest Menschlichkeit verliert.

Aber auch dem nicht genug: «Joker» hält das Publikum nahezu kontinuierlich auf Abstand, statt es in die verquere, gefährliche, selbstzentrische Weltsicht seines Protagonisten zu versetzen. Eine kurze Passage, die aus Arthurs Perspektive erzählt wird, findet eine schnelle, unzeremonielle Auflösung, sonst bleiben wir in einer entfernten Beobachterposition. Und wenn Arthur, vollständig zum Joker geworden, Gewalt rechtfertigende, nihilistische Monologe hält, dann in einem affektierten Duktus sowie in einer feminisierten Tonlage – so dass keinerlei Gefahr besteht, dass irgendwelche vereinsamten, grantigen, dauerpubertierenden Buben (die Art, die schon den Frauen-«Ghostbusters» als Angriff auf ihre Existenz sieht), sich den Joker zum Vorbild nehmen und zu Gewalt angestachelt Papis Waffenschrank plündern. Und es gibt sogar einen vernünftig ausformulierten, besonnenen und ebenso bestechenden Dialogwechsel, in dem die Taten des Jokers als falsch, übertrieben und unverzeihlich deklariert werden.

«Joker» wird durch diese und diverse weitere "Sicherheitswarnungen" zu einem ermüdend zahnlosen Film: Es ist die Skizze eines Schwerverbrechers, die mehr Energie dafür aufwendet, sich von diesem Schwerverbrecher zu distanzieren, als ihn zu skizzieren. Was die Frage aufwirft: Wieso dann überhaupt erst den Joker in den Mittelpunkt stellen, wenn man zu große Scheu davor hat, wie er wirken könnte?

Entgegen sämtlicher visueller und thematischer Martin-Scorsese-Verweise macht dies «Joker» nämlich nicht zu einem komplexen, "erwachsenen" Film. Denn die «Joker»-Vorbilder haben ein thematisches Fundament, wo «Joker» nur Fassade aufweist: Sich nicht an die Sogwirkung eines «Taxi Driver» ranzutrauen, ist eine Sache, nicht die (medien-)gesellschaftliche Beobachtungsgabe eines «King of Comedy» zu versuchen, ist eine andere: Wenn wir aus Fehldeutungsangst weder zwei Filmstunden in den Schuhen eines werdenden Mörders verbringen sollen, noch mit scharfem Blick auf die Umstände blicken, was soll das dann alles?

Denn aus seiner ständigen Draufsicht macht «Joker» nicht viel. Denn abgesehen von einer Handvoll "Die Reichen scheren sich nicht um die Bedürftigen!"-Kommentaren, die immerhin einen thematischen Ansatz darstellen und insbesondere beim US-Publikum Salz in offene Wunden streuen dürften, scheut sich «Joker» vor größerer Gesellschaftskritik. Ja, wir haben die Schusswaffe als Initiator allen Übels, doch es ist nicht so, als zeichneten Phillips und Scott Silver ihre Interpretation Gothams als waffenverrücktes Pulverfass von einer Gesellschaft. Das Element "Die Waffe als Stein des Anstoßes" wird in die visuelle Scorsese-Hommage und Phoenix' Schauspieltortur geknallt und damit hat es sich.

So zieht es sich durch «Joker»: Einzelne Elemente werden präsentiert, aber nicht zu einem argumentativen, thematischen oder formellen Ganzen verbunden. So wird am Rande behauptet, Gotham stünde kurz vorm Überkippen, aber erzählerisch starren wir so stur auf Arthur Fleck, dass die zwei, drei Szenen über eine aufkeimende Revolte wie aus einem anderen Film wirken. Und die Medienkritik, die auf dem Rücken von Robert De Niros Late-Night-Show-Moderator ausgetragen wird, ist überaus dünn sowie zurückhaltend.

Anderweitig versteift sich «Joker» viel zu sehr darauf, seine Titelfigur zu einem absurden Einzelfall zu formen: Mehrere psychische Konditionen, eine abgefuckte Kindheit, Armut, eine Reihe mieser Tage, eine generell schnell verurteilende Persönlichkeit und Unfähigkeit, mit den Tücken des Lebens umzugehen: Damit sich ja niemand mit Arthurs Zorn auf die Welt identifizieren kann, türmen Phillips und Silver lieber einen Berg an Argumenten auf, wieso der Joker nur für sich spricht und weswegen kein realer Mensch solch einen Wandel durchmachen würde wie er. Nämlich, weil die Wahrscheinlichkeit, dass so viel genau so zusammenfällt wie in «Joker», einfach viel zu niedrig ist. Gesellschaftskritik wird so aber auch nicht ausgeübt, summiert sich in «Joker» doch vieles zu einem: Ja, Arthur, Pech gehabt – aber stell dich nicht so an.

Dadurch verliert «Joker» den potentiellen Reizpunkt, durch eine "Scorsese trifft DC-Comics"-Brille gefiltert zu spekulieren, wo reale Gewalttäter herrühren. «Joker» verbleibt seinem beeindruckend-widerlichen Moloch-Produktionsdesign zum Trotz also in einer rein hypothetischen Welt, in der comichafte Zustände ineinandergreifen, um aus einem Arthur einen Joker zu formen. Dass zusätzlich zu all dem dieser vermeintlich alleinstehende DC-Film eben doch noch ausführliche, verkrampfte Verbindungen zum größeren DC-Mythos aufweist und so Arthurs Aufstieg zum Monstrum trivialisiert, grenzt an Hohn.

Aber nicht zu widerlich


Ungeachtet all dieser Distanzierungselemente bleibt «Joker» ein mutloser Film. Angesichts sämtlicher besagter Elemente könnte der Film ja noch immer völlig aus dem Mainstreamkino fallen und einen Zwei-Stunden-Ritt ohne Sympathiefigur kreieren, einen Abstecher in eine Welt, in der das Elend regiert. Aber auch das soll nicht sein. Frei nach dem Motto "Die Leute sollen sich unwohl fühlen, aber schon noch gerne den Film gucken!" bleiben die Gewaltspitzen zwar hart, aber so rar und mit so großem Abstand gesät, dass sie verdaulich bleiben. Wie schon angedeutet, ist der Film allem zum Trotz mit ausreichend dunkelhumorigen Lachern durchsetzt, und selbst wenn «Joker» mir alle paar Minuten entgegen schreit, sich nicht mit seiner Hauptfigur zu verbrüdern, so will er noch immer, dass ich ihm gern zuschaue. Also bleiben Schreckmomente oder lange Phasen verstörenden Materials aus, jede Wende zum schlechten wird klar und deutlich telegrafiert, damit man sich ja emotional wappnen kann.

«Joker» hat, kurzum, in erster Linie ein Skriptproblem. Denn Phoenix' entstellter Körper und seine trommelfellattackierend-künstliche Lache heben diesen Joker (trotz manch zu bemüht aufgetragener Szene) weit über das Storymaterial hinaus, genauso wie Kameramann Lawrence Sher («Hangover II») ein sehenswertes, körnig-abgestandenes, gallig-grünliches Bild erschafft und Komponistin Hildur Guðnadóttir («Sicario 2») knarzend-dröhnende Musikstücke der Düsternis über diese ruhmlosen Anblicke legt.

Doch so sehr Phillips darin überzeugt, sein Idol Scorsese ästhetisch nachzuahmen und auf die Comic-Vorlage hinzubiegen, fehlt seiner Regiearbeit der nötige Punch. Sei es der Schwefelgeruch einer Pulverfass-Gesellschaft, der die filmische Atmosphäre so sehr verpestet, dass es einem den Magen umdreht. Sei es der abscheuliche Wahn eines aggressiven Geistes, in den wir hinabgleite. Sei es die rasiermesserscharfe Kritik eines Systems, das jene fallen lässt, die es beschützen sollte. Und dabei wissen wir, dass es möglich ist, den nötigen Punch zu verteilen: Heath Ledgers Joker vollbringt einen packenden Ritt auf dem ebenso scharfen wie schmalen Grat zwischen Verabscheuungswürdigkeit und Magnetismus, womit er die Faszination des elendigen Chaos spürbar macht, ohne sie zu verherrlichen – und das in «The Dark Knight», einem Film, dem deutlich mehr an Action gelegen ist als «Joker».

Das Fazit und die Alternativen


Die starken Momente in «Joker» werden durch die frustrierenden ausgeglichen, und so bleibt ein visuell einprägsamer, klangästhethisch intensiver Film mit einem sich sichtbar abmühenden Joaquin Phoenix in der Hauptrolle, der jedoch mit einem Skript arbeiten muss, das viel schmächtiger ist, als der Martin-Scorsese-Retroaufzug vermuten lässt. Den wiederholt gehemmt wirkenden Film bei Seite genommen, ist dennoch beeindruckend, dass so ein großes Franchise wie «Batman» im heutigen Hollywood-Klima tatsächlich auch einmal in Form einer 70er-/80er-Scorsese-Hommage in die Kinos gelangt. Selbst wenn «Joker» mehr Schall und Rauch als Inhalt ist, darf dieses Experiment gerne (im Idealfall zudem bessere) Nachahmer finden.

Und vielleicht schafft es «Joker» außerdem, eine neue Generation von Filmfans auf «King of Comedy» und «Taxi Driver» hinzuweisen, auf dessen Schultern dieser Film in die Kinos spaziert. Und als weniger offensichtliche Sehempfehlung bieten sich noch an: «Alexandre Ajas Maniac», der wirklich kompromisslos ins Wesen eines instabilen Serientäters absteigt. «The House That Jack Built», Lars von Triers deutlich spitzfindigere Psychodrama-Komödien-Mixtur über einen Mörder, der sich fehlverstanden fühlt. «Christine» aus dem Jahr 2016, der die reale Geschichte einer Frau skizziert, die durch einen Wust an Rückschlägen und gesellschaftlichen Verfehlungen zu ganz anderen Konsequenzen getrieben wird, womit der Film als (ausgefeilteres) Komplementärwerk von «Joker» betrachtet werden kann. Und die Dramödie «The Clapper» mit Amanda Seyfried und Ed Helms, die deutlich leichtgängiger ist als alle hier genannten Filme, und dennoch mehr über den in «Joker» angerissenen Aspekt "Was, wenn die Medien Träume zerstören?" zu sagen hat als dieser Goldene-Löwe-Gewinner.

«Joker» ist ab dem 10. Oktober 2019 in vielen deutschen Kinos zu sehen.

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Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
Cheops
01.10.2019 16:22 Uhr 1
Mit dem Joker von Heath Ledger gar nicht vergleichbar, denn schon die Musik ist die einer alten Show in Las Vegas und passt einfach nicht zur Figur!
Anonymous
01.10.2019 16:42 Uhr 2
Hat da wer nur den Trailer gesehen? Der Film hat mehr als Showtunes zu bieten ... ;)
Kingsdale
01.10.2019 18:28 Uhr 3
Langsam nervt es. Immer wieder ei neuer Joker! OK, natürlich gibt es in der Geschichte der Comics um Batman auch nicht nur Einen. Aber es werden im Kino jetzt etwas zu viele. Ich redegar nicht von Ledger, seine Darstellung war fantastisch. Aber DC bekommt es mit seinen Comic-Universum sowieso nicht auf die Reihe, den auch einen neuen Batman wird es bald wieder geben. Hätten sie mal mehr von Marvel gelernt, da der Anfang mit der Dark Knight Trilogie wirklich gut war. Danach ist alles zusammen gebrochen. Traurig.
Anonymous
01.10.2019 19:32 Uhr 4


Gerade, wenn du die miteinander verbundenen Filme ab "Man of Steel" nicht mochtest, müsstest du es doch begrüßen, dass es nun einen Film gibt, der als Einzelwerk gedacht ist?

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