Die Kritiker

«Tatort – Weiter, immer weiter»

von

Ungewohnt hysterisch: Der erste Kölner «Tatort»-Film aus dem Jahr 2019 trägt dick auf.

Cast und Crew

  • Regie: Sebastian Ko
  • Drehbuch: Arne Nolting, Jan Martin Scharf
  • Darsteller: Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Roeland Wiesnekker, Roland Riebeling, Joe Bausch, Laina Schwarz, Vladimir Burlakov, Vincent Redetzki, Jewgenij Sitochin, Annette Paulmann, Ekaterina Medvedeva
  • Kamera: Anton Moritz
  • Schnitt: Dora Vajda
  • Musik: Olaf Didolff
Zwei Streifenpolizisten, Frank Lorenz und Vera Kreykamp, wollen bei einem Raser eine Routinekontrolle durchführen. Der durchschwitzte Autofahrer reißt plötzlich die Tür auf und rennt davon. Ohne auf seine Umgebung zu achten. Er rennt direkt vor eine Straßenbahn. Sie kann nicht mehr rechtzeitig anhalten und fährt ihn nieder. Kurz danach erliegt er seinen schweren Verletzungen. Da ein verdächtiges Fahrzeug kurz nach dem Unfall vorbei düst, holen die beiden Streifenpolizisten die Kripo herbei. Frank Lorenz vermutet, basierend auf den knappen Beobachtungen die er machen konnte, dass Drogendealer hinter dem jungen Mann her waren. Max Ballauf und Freddy Schenk übernehmen die Ermittlungen …

Der erste Kölner «Tatort» des Jahres 2019 weicht ein Stück weit von der Norm der ARD-Sonntagskrimis ab, indem er sich nicht nur auf unsere alteingesessenen Kriminalpolizisten einschießt, sondern auch Streifenpolizisten in den Fokus rückt. Während Vera Kreykamp mit Bodenhaftung versucht, den harten Berufsalltag auf sich zu nehmen, ist Frank Lorenz labiler: Seine Ehefrau wirft ihm vor, er würde Menschen mit seiner Art überfahren. Als er seinen ehemaligen Kumpel und Kollege Freddy Schenk wiedersieht, denkt er, dass sich eine alte Freundschaft wiederaufleben lassen könnte und er die Chance hat, der Kripo eifrig bei den Ermittlungen zu helfen. Aber seine mit Feuereifer, sogar Wahn, rüber gebrachten Theorien sorgen nur dafür, dass eine Mauer zwischen ihm, Freddy und vor allem seinem Ermittlungspartner Max Ballauf entsteht …


Der Ansatz der «Tatort»-Ausgabe «Weiter, immer weiter» ist zweifelsohne reizvoll, zumal die Kölner-Ermittler zu den "normalsten" in der momentanen «Tatort»-Riege gehören und daher jeder atypische Ansatz, der sich dennoch dem Standard-Krimi-Tonfall dieser Subreihe unterordnet, willkommen ist. Man will ja auch normale, geradlinige Krimis nach über 20 Jahren frisch halten. In der Umsetzung gerät diese Erzählung allerdings durch die hysterische Charakterzeichnung Frank Lorenz' ins Stolpern: Lorenz steigert sich innerhalb weniger Filmminuten vom Streifenpolizisten, der gerne mehr wäre, in eine regelrechte Manie hinein, die nicht nur jeder Vernunft ins Gesicht lacht, sondern sich auch maßloser Klischees bedient.

Roeland Wiesnekker erscheint in der Rolle des Verschwörungstheoretikers, der überall Korruption und die russische Drogenmafia vermutet, so, als würde er sich einerseits bemühen, dieser Figur eine gewisse Menschlichkeit mitzugeben. Doch das Drehbuch gibt ihm dafür zu wenig an die Hand, während andererseits Regisseur Sebastian Ko, der unter anderem mit «Tatort – Kartenhaus» bereits einige der stärksten Kölner Fälle der jüngeren Vergangenheit abgeliefert hat, hier offenbar das Motto "Viel hilft viel" verfolgt: Nicht nur Wiesnekker lässt er mehrmals extrem dick auftragen, wenn sich Lorenz in Rage redet. Auch andere Episoden-Nebendarsteller agieren in «Tatort – Weiter, immer weiter» wie nach einem Koffein- und Zuckerschock, was dieser filmischen Abhandlung über die niedrige Zuverlässigkeit von Beobachtungen und Zeugenschilderungen die dramatische Haftung raubt.

In den dialogarmen Szenen macht sich Kos inszenatorisches Gespür aber wieder bemerkbar: Sowohl der schmerzliche Auftakt mit dem dramatischen, die Handlung ins Rollen bringenden Unfall, als auch eine Actionszene im mittleren Akt sind atmosphärisch und schneidig gefilmt. Und im dritten Akt treffen auch die Autoren Arne Nolting sowie Jan Martin Scharf dank konsequenter, trotzdem drastisch-erzählerischer Entwicklungen doch noch einige thematische Noten, die zuvor verfehlt wurden. Über die Sinnhaftigkeit lässt sich streiten, tonal setzt der Fall aber in den letzten Minuten ein klares Statement. Dass man sich in ähnliche Gewässer begibt wie bei einem der besten «Tatort»-Fälle des vergangenen Monats, ist ja nicht die Schuld der Autoren – da hätte die «Tatort»-Programmkoordination besser mitdenken müssen, damit dieser Neunzigminüter nicht angesichts der kurz getakteten Ausstrahlung wie der blasse Zwillingsbruder dasteht.

Fazit: Gut gemeint, aber viel zu dick aufgetragen (oder alternativ nicht dick genug): Das Kölner «Tatort»-Jahr beginnt ambitioniert, aber es fehlt an Konstanz.

«Tatort – Weiter, immer weiter» ist am 6. Januar 2019 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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